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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


noch heutigen Tages oft genug die „Räuber“ in dieser „verdalbergten“ oder vielmehr „verballhornten“ Gestalt über die Bühne gehen.

Von einzelnen annehmbaren Zusätzen, wie die eingelegte Scene zwischen Franz und Hermann abgesehen, waren es besonders zwei wichtige Aenderungen, gegen welche sich der Dichter vielleicht lange gesträubt haben mag, welche die Physiognomie des Stückes zu Ungunsten desselben veränderten. Die erste betraf das Costüm: die „Räuber“, die zur Zeit des siebenjährigen Krieges spielen sollten, wurden in die Zeit Maximilian’s und des deutschen Landfriedens zurückverlegt. Wo blieb da das tintenklecksende Säculum, aus dessen Geist heraus das Stück gedichtet war? Schiller selbst sagt in seiner anonymen Selbstkritik darüber: „die Zeit wurde verändert; Fabel und Charakter blieben. So entstand ein buntscheckiges Ding wie die Hosen des Harlekin.“ Noch empfindlicher war die zweite Aenderung; denn sie traf den dramatischen Nerv des Stückes. In der Theaterbearbeitung tödtet sich Franz nicht selbst, sondern er wird gefesselt vor seinen Vater und das Tribunal der Räuber geführt und von Karl in den Thurm geworfen, in dem der alte Graf so lange schmachtete. Damit war Karl’s Charakter aus den Fugen geworfen; er wird dasselbe Scheusal wie Franz, und aus einem Räuber von großartigem Schwunge zu einem Marterknecht und raffinirten Mörder, wie sein Bruder.

Für die Aufführung mußte Schiller sogar noch weitere Zugeständnisse machen, die er nicht in die Theaterausgabe aufnahm: so den Selbstmord Amaliens, mit welchem er dem Kunstgeschmack des Freiherrn von Dalberg eine kleine Freude bereitete, während er selbst als Dichter an dem Ausspruch festhielt: „Moor’s Geliebte darf nur durch Moor sterben.“

Daß das so zugerichtete Stück einen glänzenden Erfolg davon trug, müßte Wunder nehmen, wenn nicht die Macht des echten Genius einen Kern schüfe, der als unverwüstlich sich bewährt, mag auch die Schale noch so sehr zerhackt werden. Und glänzend war der Erfolg, den die „Räuber“ bei ihrer ersten Aufführung in Mannheim am 13. Januar davontrugen. Die Aufführung sollte eigentlich schon früher stattfinden; doch am 10. Januar war der Geburtstag der Gräfin Franziska von Hohenheim, und Schiller mußte sich bei der Gratulationscour mit einfinden. Am 13. Januar aber war überall in Mannheim der Theaterzettel angeschlagen: „Die Räuber, Trauerspiel in sieben Handlungen, für das Mannheimer Nationaltheater vom Dichter neu bearbeitet; gleichzeitig war dem Publicum über die sittliche Tendenz des Stückes eine beruhigende Auskunft ertheilt, welche Schiller selbst verfaßt, Dalberg aber verbessert hatte. Die Aufführung begann wegen der Länge des Stückes um fünf Uhr Nachmittags, doch schon lange vorher hatten sich die Räume des Theaters gefüllt; denn aus allen Nachbarstädten waren zu Roß und Wagen Schaulustige gekommen. Schiller selbst hätte sich fast verspätet, wie Petersen berichtet. Ein Kellnermädchen in Schwetzingen übte solche Anziehungskraft auf ihn aus, daß er sich verplauderte, die Zeit darüber vergaß und die Versäumniß nur mit Mühe wieder einholen konnte.

Wenige wußten, daß der Dichter bei der Aufführung seines Stückes anwesend war, wäre es aber auch allen bekannt gewesen, die Unsitte unserer Tage, die Dichter selbst auf die Bretter zu rufen, war der damaligen Zeit fremd. Mit welchen Gefühlen mag Schiller zum ersten Male die Gestalten seiner Phantasie verkörpert auf der Bühne vor sich gesehen haben! Der Antheil des Publicums war nicht gleich von Anfang an ein begeisterter, erst die letzten Acte schlugen zündend durch. So mochte Schiller selbst nicht ohne eine gewisse Bangigkeit dem Ausgange dieser ersten Feuerprobe seines dramatischen Genius entgegensehen. Was ihn aber von Hause aus ermuthigen mußte, war das glänzende Spiel der Darsteller der Eckhof’schen Schule, welche sich durch einen glücklichen Zufall in Mannheim zusammengefunden hatten, um das erste Werk eines Dichters über die Taufe zu heben, der später die deutsche Bühne beherrschen sollte.

Böck als Karl Moor hatte hinreißendes Feuer, obschon er in seiner Erscheinung die ideale Jünglingsgestalt des Räuberhauptmannes nicht deckte. Der dreiundzwanzigjährige Iffland aber machte als Franz Moor den größten bewältigenden Eindruck auf das Publicum; er wußte diesem Charakter, welchem der Dichter in seiner Selbstkritik später alle menschliche Wahrheit absprach, dennoch große Wirkungen abzugewinnen, besonders wo er die innere Zerrüttung und Gewissensangst des Bösewichts darstellte, in den großen Scenen des letzten Actes. Nach allen Schilderungen war dieser Franz Moor Iffland’s eine ebenso großartige wie in allem Detail kunstverständig ausgeführte Leistung. Beil als Schweizer, Beck als Kosinsky werden als treffliche Darsteller gerühmt. Nach dem glänzenden Erfolge speiste Schiller mit den Schauspielern zusammen; das Gespräch war anregend; es lief indeß auch viel „Kunstgeschwätz“ mit unter.

Nach Stuttgart zurückgekehrt, empfand Schiller um so tiefer den Zwang seiner freudlosen Lebensstellung. Der Herzog war sehr ungnädig über das wüste Stück wie über des Dichters ganzen Lebenswandel, und als dieser ohne Urlaub, in Begleitung seiner Freundinnen, der Frau von Wolzogen und jener mumienhaft häßlichen Frau Vischer, in welcher man jetzt allgemein das Ideal seiner „zur Statue entgeisternden“ Laura erblickt, abermals einer Aufführung der „Räuber“ in Mannheim beigewohnt hatte, erfuhr der Herzog davon und gab ihm Arrest. Das Verbot, Dichtungen zu veröffentlichen, die nicht vorher dem Fürsten selbst zur Prüfung und Beurtheilung vorgelegt worden waren, reifte seinen Entschluß zur Desertion und Flucht, den er am 17. September 1782 mit seinem Freunde Streicher während eines Festes auf der Solitude ausführte; er ging nach Mannheim, dem Eldorado seiner Zukunftshoffnungen. Doch noch stand ihm eine Zeit schwerer Prüfungen bevor.

Jedenfalls war die erste Aufführung der „Räuber“ vielleicht das entscheidendste Ereigniß in Schiller’s Leben; er selbst schrieb bald nach der Aufführung an Dalberg, dem er den wärmsten Dank aussprach:

„Beobachtet habe ich sehr vieles, sehr vieles gelernt, und ich glaube, wenn Deutschland einst einen dramatischen Dichter in mir findet, so muß ich die Epoche von der vorigen Woche an zählen.“

Nun, Deutschland hat seinen größten dramatischen Dichter in Schiller gefunden und wahrt mit Recht eine pietätvolle Erinnerung an jenen wichtigsten Tag der Mannheimer Theaterchronik.




Die Heidenlöcher bei Ueberlingen.

„Drüben, am Ueberlinger See, wo die Felswand sich steil in die Fluth herabsenkt, ist aus alten Zeiten mancherlei Gelaß zu menschlicher Wohnung in den Stein gehauen.“
 Scheffel’s „Ekkehard.“

Ich kam mit einem guten Freunde vom Hohentwiel. Der „Ekkehard“ hatte es uns angethan.

Es ist überhaupt mit dem „Ekkehard“ eine gar böse Sache. Wer ihn mit einem bischen Liebe zu den kräftigen Gestalten der alten deutschen Geschichte gelesen und sich in unserer nervös hastenden Zeit noch etwas Sinn bewahrt hat für die letzten, ehrfurchtgebietenden Reste einer weit zurückliegenden Vergangenheit, der ist einem bestrickenden Zauber verfallen, der ihn bei Tag und Nacht verfolgt. Ihm ist ein wunderlich Traumbild erstanden, nicht mehr Sage und doch auch nicht Geschichte; all die Personen, die schon längst zu Staub geworden, umringen ihn wie gute alte Bekannte und nehmen ihm die Sinne gefangen; er kann sich von ihnen nicht trennen, bis er selbst dort gewesen, wo sie dereinst geschaltet, bis er mit eigenem Fuß die Scholle betreten, auf der sie gewandelt, und mit vollen Zügen die Luft geathmet, in welche sie der Dichter versetzt.

Wir waren nun endlich oben gewesen auf dem wunderbaren Berge mit seinen unendlichen Trümmermassen und hatten in Romantik geschwärmt. Wohl sind von der Burg der gestrengen Frau Hadwig kaum noch einige Grundmauern zu erkennen – aber was thut’s? Aus dem Dunkel des Kellers leuchtete uns des ewig durstenden Spazzo Nase; im Flüstern des Windes hörten wir bald das silberne Lachen des fröhlichen Griechenkindes, bald Virgil’s schön gebaute Verse. Und dazu dröhnten Kanonen eines fernen Manövers, Salve auf Salve, und zwei unserer Begleiter,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_047.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)