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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Blätter und Blüthen.


Hygienische Milchwirthschaften. Die vor einem Jahrzehnt erwiesene Thatsache, daß ansteckende Krankheiten manchmal durch die Milch verbreitet werden, beschäftigt seit längerer Zeit lebhaft die maßgebenden medicinischen Kreise Englands und bildet auch das Thema eines von Dr. E. Hart auf dem internationalen medicinischen Congresse in London gehaltenen Vortrages. Diese Thatsache selbst und die in neuester Zeit zur Sicherheit der Milchconsumenten theilweise mit Erfolg durchführten Maßregeln sind so interessant und wichtig, daß wir es für unsere Pflicht erachten, die Ausführungen des englischen Arztes kurz mitzutheilen.

Auf die Möglichkeit von Uebertragung ansteckender Krankheiten durch den Genuß roher Milch hat zum ersten Male Dr. Ballard gelegentlich einer Typhus-Epidemie in Islington hingewiesen. Die Aufmerksamkeit weiterer Kreise wurde auf diese Thatsache jedoch erst im Jahre 1873 in Folge einer ähnlichen Epidemie, welche in London aufgetreten war, gelenkt. Mehrere Aerzte machten damals die Beobachtung, daß die von der Krankheit heimgesuchten Familien ihren Milchbedarf von einer und derselben Milchwirthschaft bezogen hatten. Wiewohl die in Folge dessen unternommene amtliche Revision jener Milchwirthschaft für dieselbe günstig lautete, wurde dennoch eine Gegenuntersuchung verlangt. Der nunmehr mit der Ausführung dieses Auftrages betraute Beamte schloß sich in seinem Gutachten dem Urtheil seines Vorgängers in allen Punkten an und trank, um die Richtigkeit seiner Aussagen zu beweisen ein großes Glas der für gesund erklärten Milch. Der Wahrheitsbeweis war ihm jedoch vollständig mißlungen, denn schon nach wenigen Tagen lag er selbst am Typhus darnieder. Jetzt erst erfuhr man, das sich in der Farm, welche die fragliche Milch lieferte, ein Typhuskranker befand, dessen Auswurfstoffe einen Brunnen verunreinigten, aus welchem man Wasser zum Ausspülen der Milchgeräthe zu schöpfen pflegte.

Seit jener Zeit mehrten sich die Beobachtungen ähnlicher Fälle, und in seinem dem medicinischen Congresse in London mitgetheilten Berichte hat Dr. Hart gegen 70 Epidemien aufgezählt, in denen die Milch als die Trägerin des Infectionsstoffes bezeichnet werden mußte. Von diesen Epidemien waren 50 typhöser Natur, während der Scharlach 14 Mal und, wie man annimmt, die Diphtheritis 7 Mal in Folge des Genusses von roher Milch ausgebrochen waren. Die Zahl der unter diesen Umständen Erkrankten betrug bei den Typhus-Epidemien 3500, bei dem Scharlach 800 und bei der Diphtheritis 700 Personen.

Die eingehende Untersuchung ergab ferner, daß die typhöse Ansteckung meist durch die Inficirung des Brunnenwassers mit Abfällen von Typhuskranken bewirkt wurde, da man dieses Wasser bald zum Reinigen der Milchgefäße, bald sogar zur Verdünnung der Milch benutzte. Der Scharlach dagegen verdankte in den oben erwähnten Fällen seine Verbreitung dem Umstande, daß Leute, welche in den Molkereien beschäftigt waren, gleichzeitig Scharlachkranke verpflegten. Was schließlich die Diphtheritis anbelangt, so war es bis jetzt unmöglich nachzuweisen, auf welchem Wege die Ansteckung erfolgte, wiewohl der Milchgenuß in den erwähnten sieben Fällen wahrscheinlich den Ausbruch der Epidemie veranlaßte.

Seit dem Jahre 1873 sann man inzwischen auf Mittel, welche geeignet wären, diese Gefahr zu verringern, und begründete schließlich auf durchaus neuen Principien die bedeutende hygienische Milchwirthschaft von Aylesbury, deren Einrichtung wir im Folgendem kurz beschreiben.

Alle Oekonomien, welche dieser Musteranstalt beitreten wollen, werden zunächst durch einen Ingenieur untersucht, welcher die Beschaffenheit der Brunnen und sonstiger Wassersammler der genauesten Prüfung unterwirft. Ferner verpflichten sich die Besitzer der einzelnen Farmen, die Centralverwaltung der Milchwirthschaft sofort zu benachrichtigen, wenn in ihren Farmen irgend jemand, der zu der Wirthschaft Zutritt hat, von einer anstehenden Krankheit befallen wird oder mit derartigen Kranken in Berührung kommt. Unterläßt einer von den Farmern diese Anzeige, so ist er verpflichtet, eine Conventionalstrafe von etwa 2000 Mark zu zahlen und alle Kosten für den Schaden zu tragen, welchen der Genuß mit Krankheitsstoffen behafteter Milch nach sich ziehen würde. Erfüllt er dagegen rechtzeitig seine Verpflichtungen, so läßt die Administration der Anstalt die betreffenden Kranken auf ihre Kosten verpflegen und garantirt dem Besitzer den vollen Ersatz des Schadens, der ihm aus der Confiscation der Milch erwächst. Nach erfolgter Anzeige wird der Verkauf der Molkereiproducte aus der von einer ansteckenden Krankheit heimgesuchten Farm sofort eingestellt, bis in genügender Weise sanitäre Vorsichtsmaßregeln getroffen worden.

Außerdem verfügt die Anstalt über ein vortreffliches Laboratorium, in welchem die eingehende Milch auf ihre Zusammensetzung etc. von Sachverständigen regelmäßig geprüft wird, und schließlich wird der Gesundheitszustand der Farmbewohner und der dort vorhandenen Thiere von Aerzten und Thierärzten inspicirt, wodurch die Consumenten gegen den etwaigen Gebrauch der von kranken Kühen herrührenden Milch geschützt werden.

Man kann zwar mit Recht einräumen, daß derartige complicirte Anstalten sich allgemein nicht werden durchführen lassen, weil ihre Vorschriften und Satzungen zu tief in das gewohnte Treiben unserer Landwirthe und Milchverkäufer eingreifen. Dieselben sind aber überall anzustreben, wo die äußeren Verhältnisse zum Nutzen der Menschheit die Durchführung dieser Organisation ermöglichen. Der Erfolg der Milchwirthschaft von Aylesbury war wenigstens ein vollständiger, denn schon gegenwärtig sind ihr über 70 Oekonomien beigetreten, welche täglich im Durchschnitt 24,000 Liter frische Milch und 1000 Pfund frischer Butter für die Stadt London liefern, während noch bedeutende Mengen künstlicher menschlicher Milch für Säuglinge (durch Zusatz von Zucker etc.) in der Anstalt selbst bereitet werden. Zum Nachahmen muß auch die Thatsache ermuntern, daß die von dieser Wirthschaft verkauften Producte bis jetzt kein einziges Mal irgend welche Ansteckung hervorgerufen haben.




Der elektrische Schmelztiegel. Ueber den von Wilhelm Siemens erdachten und in unserem Schlußberichte über die erste elektrische Weltausstellung (vergl. „Gartenlaube“ Jahrgang 1881, Nr. 52) bereits erwähnten Schmelztiegel wird uns von sachverständiger Seite noch Folgendes berichtet:

„In diesem Schmelzapparate wird die gewaltige Hitze verwerthet, welche sich in dem sogenannten Voltaischen Bogen, den wir bereits ziemlich vielfach zur Beleuchtung unserer Bahnhöfe, Läden, Fabrikräume und Straßen angewendet sehen, entwickelt. Der elektrische Tiegel ist in der That einer elektrischen Lampe der älteren Construction im Princip völlig vergleichbar. Die beiden, meist wie gewöhnlich aus dicken Kohlenstäben gebildeten Pole treten hier jedoch durch runde Oeffnungen des Deckels und Bodens in den aus Graphit oder feuerfestem Thon gebildeten Schmelztiegel ein, der seinerseits mit einem Mantel von schlechten Wärmeleitern (grobe Holzkohle oder dergl.) umgeben ist. Und zwar tritt der positive Pol, an welchem sich die intensive Gluth entwickelt, durch den Boden ein, sodaß er von dem zu schmelzenden Metall bedeckt wird; der den Deckel durchbohrende negative Pol wird dagegen durch einen selbstthätigen Regulator, wie bei den elektrischen Lampen, in einer bestimmten gleichmäßigen Entfernung von der Metalloberfläche erhalten.

Dieser negative Pol kann für bestimmte Zwecke aus Kupfer oder Platin hohl hergestellt und durch darin circulirendes Wasser kühl erhalten werden, während der zwischen ihm und dem positiven Pol überschlagende Funkenstrom eine Hitze entwickelt, die mit Leichtigkeit Stahl und Platin oder Iridium, also die schwerstschmelzbaren Metalle, schmilzt. Unter Anwendung einer dynamoelektrischen Maschine, zu deren Betriebe sieben Pferdekraft Dampf hinreichen, können in einem solchen Tiegel, der sofort in jedem Laboratorium oder Hörsaal aufgestellt werden kann, in einer Viertelstunde zwei Kilogramm Stahl geschmolzen werden. jedes Pfund Kohle, welches zum Heizen der Dampfmaschine verwendet wird, schmilzt hier ein Pfund Gußstahl, während in den Sheffielder Gebläse-Ofen anderthalb bis drei Tonnen Coaks erfordert werden, um eine Tonne Gußstahl zu schmelzen. Ebenso leicht lassen sich die anderen schwerschmelzbaren Metalle und Metallgemische in diesem bequemen Laboratoriumsapparat in Fluß bringen. Ja, während es schwer ist, in einem Schmelzofen eine Hitze zu erzeugen, welche über 2500 bis 2800 Grad hinausgeht, ist die Hitze, welche der elektrische Schmelztiegel liefert, unbegrenzt, und man wird darin vermuthlich auch gewisse längst angestrebte chemische Experimente ausführen können, die eine Hitze erfordern, wie man sie bisher nur auf dem Sonnenball und gewissen sehr hell leuchtenden Fixsternen aus der Spectralanalyse vermuthet hat. Es handelt sich nämlich dabei um eine wahrscheinliche weitere Zersetzung unserer sogenannten chemischen Elemente oder Grundstoffe, die man in sehr großer Hitze zu bewerkstelligen hofft. In dieser Richtung erscheint uns der elektrische Tiegel zugleich als ein Werkzeug der Zukunftschemie, mittelst dessen der Wissenschaft vielleicht dereinst ganz neue Bahnen erschlossen werden können.“




„Een Boot is noch buten.“ (Mit Abbildung S. 25.) Jedes Land, jeder Himmelsstrich bedroht seine Bewohner mit besonderen Gefahren; Bergrutsche und Lawinenstürze sind die Schrecken der Gebirgsvölker; der Samum und die sengende Hitze des Sommers gefährden das Leben der Beduinen der Wüste, und das Meer mit seinen Stürmen und Ueberschwemmungen hält täglich und stündlich die Küstenbewohner in Schach. Aus dem gefahr- und kampfvollen Leben der Letzteren bietet uns unser heutiges Bild eine fesselnde Scene dar.

„Een Boot is noch buten – ein Boot ist noch draußen.“ Dieser Schreckensruf erschallte an einem stürmischen Abende durch die Gassen eines kleinen Fischerdorfes an der Nordseeküste. Sie waren des Morgens in die ruhige See hinausgefahren, die Fischer des Dorfes, jung und alt, eine ganze Karavane von Böten, und im Laufe des Tages waren sie einzeln heimgekehrt, je nachdem das Glück des Fanges und das persönliche Bedürfniß den Entschluß des Einzelnen bestimmt hatte. Da plötzlich war der Wind umgeschlagen, die See hatte ihre weißen Häupter erhoben; die Wellen gingen hoch, und die Fahrt durch die Brandung war im Handumdrehen eine gefahrdrohende geworden. Nun wendeten auch die letzten noch draußen befindlichen Boote den Kiel und suchten, kundig und vorsichtig, die sichere Küste zu erreichen. Inzwischen brach die Nacht herein – dunkler und dunkler. Der Fischer-Aelteste zählt die eingelaufenen Boote, und „Een Boot is noch buten“ – sagt er. Jochen Langhinrich treibt noch in der stockfinsteren Nacht mit seiner Jolle (kleines Boot) auf der brandenden See. Wie leicht kann er in der Dunkelheit auf die schlimmen Sandbänke der Küste getrieben werden! Vergebens sucht er den richtigen Curs, die Nacht ist zu schwarz. Jede Minute erhöht die Gefahr. Da ist schnelles Handeln nöthig, und der Seemann handelt stets schnell, denn der Kampf mit den Elementen hat ihm rasches, entschlossenes Eingreifen anerzogen. Auf der äußersten Spitze eines hohen sturmfesten Mastbaumes, der im Küstensande tief in den feuchten Grund gegraben wurde, wird ein Bündel theergetränkten Wergs befestigt und zu einer helllodernden Flamme entzündet. Dieser improvisirte Leuchtthurm ist die letzte Rettung des draußen auf der öden Salzfluth angstvoll Irrenden, und wenn das Boot seetüchtig und der Lenker desselben ein erfahrener kaltblütiger Mann ist, so pflegt die nächste Stunde den Vermißten glücklich in die Arme der Seinigen zurückzuführen.

In die Arme der Seinigen! Auch auf unserem stimmungs- und lebensvollen Bilde harrt neben den ruhig ihres Amtes waltenden Fischern eine bang hinausschauende Gattin, ein ängstlich wartendes Kind des ausgebliebenen Familienvaters. Möge er, dem weithin leuchtenden Scheine des Küstenfeuers folgend, bald heimkehren an das rettende Land, an die klopfende Brust der Seinigen, unter das schützende Dach seines strohbedeckten einfachen Hauses!



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_040.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)