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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

von dem hörte, was ihr Begleiter mit geläufiger Zunge erzählte; nur dort, wo eine Antwort unerläßlich war, gab sie dieselbe kurz und zerstreut. So viel Mühe er sich auch nahm, die Zeit der Fahrt angenehm auszufüllen – ihr war noch nie eine solche langweiliger erschienen als die gegenwärtige, und sie war froh, als endlich die einfachen Linien des zwar nicht großen, aber doch recht stattlichen Schloßbaues hellerleuchtet aus der Finsterniß auftauchten.

„Allerdings – recht praktisch – nichts fehlt – auch die weißgekleideten Ehrenjungfrauen nicht,“ stimmte sie den scherzhaften Bemerkungen ihres Begleiters zu, indem sie dieselben fast wörtlich wiederholte und dabei an ganz andere Dinge dachte:

„Die Gastzimmer und dann der Tisch – zwei Gedecke mehr, und ob auch die Susanne –“

Der Wagen hielt an. Eiligst huschte Hilda voran in’s Haus, während ihr Bruder mit Frau und Schwiegermutter noch unter der grünen Triumphpforte stand und beim bunten Scheine der in dem Fichtenreisig angebrachten Lämpchen die Glückwünsche von seinen Leuten entgegennahm.

Da krachte plötzlich ein Schuß durch die Nacht und darauf noch ein zweiter. Frau Rohrwek, welche mit großer Genugthuung und herablassendem Kopfnicken die Anreden mit angehört, stieß einen Schrei aus und klammerte sich an den Altknecht, der ihr zunächst stand.

„Ein Attentat, ein Attentat!“ kreischte sie auf.

Sie achtete nicht auf seine beschwichtigenden Worte, es sei ja nur das gnädige Fräulein gewesen; da brauche man nicht zu erschrecken. Aber zu gleicher Zeit fast ließ sich Mimi’s Stimme vernehmen mit einem schallenden:

„Hurrah!“

„Weißt Du, Papa,“ setzte sie dann erläuternd hinzu, „Tantchen wollte von Böllern nichts wissen – da mußt Du schon mit meiner kleinen Jagdflinte vorlieb nehmen. Eine Hochzeit muß doch angeschossen werden! Hurrah!“

„Teufelsmädel!“ meinte der Vater schmunzelnd und wehrte den Hunden, die winselnd vor Aufregung an ihm hinaufsprangen. Die junge Frau äußerte ihre Besorgniß über die Gefahr.

„Es ist keine Gefahr dabei, soll ich wieder laden?“ lachte Mimi.

„Ich sterbe,“ ächzte Frau Rohrwek. „Ein entsetzlicher kleiner Kobold.“

Der Kobold aber lachte über die gelungene Verherrlichung des Einzuges.

(Fortsetzung folgt.)




Mohammed und sein Werk.

Ein Vortrag von Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)


3.

Am 20. April des Jahres 571, eines Montags, gebar zu Mekka eine Frau des Stammes Koraysch, Amina geheißen, deren Gatte Abd Allah etliche Monate zuvor gestorben war, einen Knaben, welcher den Namen Mohammed erhielt. Dieser Name wird verschieden geschrieben und gesprochen: Mohammed, Muhammed, Mohammad, Muhammad – und A. Sprenger, der gründlichste Biograph des Propheten, ist geneigt, den Namen nicht für einen ursprünglichen Eigennamen, sondern für einen späteren Ehrennamen zu halten, welcher bedeutet „der Vielgepriesene“ und seinem Träger beigelegt worden wäre, wie seinem Vorgänger Jesus der Verehrungsname Christus. Seine Zukunft wäre dem Neugeborenen nicht an der Wiege gesungen worden, auch wenn er eine solche gehabt hätte. Das ganze Vermögen, welches Abd Allah seinem nachgeborenen Sohne hinterlassen, soll bestanden haben aus zwei Kameelen, etlichen Schafen und einer abyssinischen Sklavin. Der Knabe war demnach arm und sah sich, als ihm auch die kränkliche Mutter bald wegstarb, auf den Schutz seines Großvaters von väterlicher Seite, Abd-Al-Mokalib, und nach dessen ebenfalls bald erfolgtem Tode auf den seiner beiden Oheime Abu Talib und Zuheir verwiesen. Sie konnten aber bei eigener Dürftigkeit nicht viel für ihn thun, und er sah sich genöthigt, in früher Jugend schon sein Brot zu verdienen und zwar als Schafhirtenjunge. Dann, mehr herangewachsen, hat er seinen Oheimen, welche Händler waren, auf Karavanenzügen als Kameeltreiber gedient, sowie gelegentlich auch als Bogen- und Köcherträger in einer der Klanfehden, in welcher seine Verwandten mitfochten. Viele Jahre nachher hat die Erinnerung an seine gedrückte Jugend dem Propheten die Verse in der 93. Koransure in den Mund gelegt: „Hat Gott dich nicht gefunden als Waise und dich behütet? Hat er dich nicht arm gefunden und dich reich gemacht? Hat er dich nicht gefunden irregehend und dich geleitet auf den richtigen Weg?“ Später hat die gläubige Einfalt der Muslîm diese einfache und armsälige Jugendgeschichte Mohammeds mit den buntesten Mirakeln ausstaffirt, mit allen den wunderbaren Umständen und Vorgängen, womit die myhthenbildende Volksphantasie die Herkunft, Zeugung, Geburt und Kindheit der Helden, Helfer und Heilande der Menschheit auszuschmücken liebt, nicht bedenkend und nicht verstehend, daß die Gestalten dieser Unsterblichen nur um so größer und strahlender erscheinen, je enger und dunkler der Hintergrund ist, aus welchem sie hervortreten. Schade übrigens, daß neben allen den überflüssigen Wundern, womit die Legende Mohammeds Kindheit umgeben hat, das nothwendige nicht geschah, nämlich die Heilung des Knaben von Anfällen der Epilepsie oder, wie die moderne Forschung wissen will, der von Schönlein so benamseten Hysteria muskularis, welche Krankheit auch noch den Mann häufig heimsuchte.

Er war 25 Jahre alt geworden, als sein Geschick eine günstige Wendung nahm. Diese kam vonseiten einer Frau, der reichen Kaufmannswittwe Chadyga, deren Name jetzt in der Anschauung der islamischen Welt mit den Namen der Schwester Mose’s, Mirjam, der Mutter Jesu, Maria, und der Tochter Mohammeds, Fatima, die Vierzahl der auserwählten und vollkommenen Frauen ausmacht. Chadyga muß jedenfalls ein Weib von ungewöhnlichen Gaben und hoher Sinnesweise gewesen sein. Der große Einfluß, welchen sie auf Mohammed übte, welcher ohne ihre Liebe, ihren Glauben, ihren Muth und ihre Standhaftigkeit wahrscheinlich nie zum Propheten geworden wäre, ist ein vorragendes Beispiel von jener stillen, unscheinbaren und doch so wunderbar mächtigen Wirksamkeit, welche die Frauen, und zwar nicht allein die auserwählten, in der Geschichte der Civilisation von jeher entfaltet haben und hoffentlich, mit Beiseitelassung aller der lächerlichen Verrücktheiten der sogenannten Frauenemancipation, zum Segen der Menschheit auch fürder entfalten werden. Der reichen, nicht mehr ganz jungen, d. h. vierzigjährigen Händlerswittwe Chadyga empfohlen, wußte sich Mohammed als Führer ihrer Geschäfte rasch das Vertrauen seiner Dienstherrin zu erwerben und bald noch mehr. Die Ueberlieferung meldet uns: Als Mohammed von seiner zweiten im Dienste der Wittwe unternommenen Geschäftsreise heimkehrte, sah Chadyga vom Söller ihres Hauses aus, wie zwei Engel den Heimkehrenden mit ihren Fittigen bedeckten. Hätte die gute Dame etwas von griechischer Mythologie gewußt, so würden ihr die zwei Engel zweifelsohne wie Amoretten vorgekommen sein, und übersetzen wir den Vorgang aus dem Legendarischen ins Deutsche, so gewinnen wir das Facit: Chadyga hatte ihren Diener, der ein stattlicher, kluger, anstelliger und redlicher Mann war, herzlich liebgewonnen. Sie reichte ihm ihre Hand, nachdem sie ihrem Vater Chuwaylid, welcher von einem so armen Schwiegersohne nichts wissen wollte, seine Einwilligung abgelistet, d. h. dem von ihr trunken Gemachten weisgemacht hatte, daß er in die Heirat gewilligt hätte. Mohammed war dankbar. Er hielt seine Frau, welche an Intelligenz und Bildung offenbar ihre Landsmänninnen weit überragte, sehr hoch. Um ihr Aerger und Kummer zu ersparen, zähmte er, so lange sie lebte, seine nachmals unbändig hervorgebrochene Sinnlichkeit, welche der dunkelste Fleck an seiner Erscheinung war, und ergab sich erst nach Chadyga’s Tod der Vielweiberei. Aber auch dann noch blieb ihm ihr Andenken heilig.

Bei jeder Gelegenheit pries er ihren hohen Sinn und ihre Tugenden, so daß seine spätere Lieblingsfrau, die schöne Ayischa, ärgerlich zu sagen pflegte, sie wäre auf kein Weib eifersüchtig als auf die todte Chadyga. Daß sie Grund dazu hatte, dafür ist uns ein schönes Zeugniß überliefert worden. Eines Tages fragte die prächtige, aber ränkevolle und nicht eben sehr tugendliche Ayischa

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_026.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)