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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

hätte ihn bewegen können, seinen auf die Erziehung gerichteten Sinn zu ändern. Trotzdem nahm er nach dem Kriege eine Stellung als Custos im mineralogischen Museum zu Berlin an, schlug aber eine Professur der Mineralogie, die man ihm anbot, aus, legte plötzlich seine Stelle nieder und verschwand ebenso plötzlich und ohne Abschied zu nehmen aus dem Gesichtskreise seiner beiden intimen Freunde Heinrich Langethal und Wilhelm Middendorff.

3. Fröbel als pädagogischer Reformator.

Bald aber hörten die beiden Freunde wieder von ihm. Er war im Jahre 1816 nach Griesheim, einem thüringischen Pfarrdorfe, gezogen. Allda war sein geistlicher Bruder am Typhus gestorben, und die Wittwe fühlte sich verlassen mit ihren drei Söhnen Julius, Karl und Theodor. Dieser seiner Schwägerin wollte er Hülfe bringen und mit ihren Söhnen zugleich seine „allgemeine deutsche Erziehungsanstalt“ beginnen. Wilhelm Middendorff, sein vertrautester Freund, trat ihm alsbald zur Seite, während Heinrich Langethal zunächst seine theologischen Studien vollendete.

1817 wurde die Anstalt, die sich verhältnißmäßig rasch entwickelte, von Griesheim nach Keilhau bei Rudolstadt, in einen an Naturschönheiten reichen Thalkessel, verlegt, der von der Natur eigens für eine Erziehungsanstalt geschaffen zu sein scheint. Hier nun begann ein so reges und originelles erziehliches Leben und Streben, wie es die Welt vielleicht kaum zum zweiten Male gesehen hat. Bald schloß sich auch Langethal dem Kreise an, und so war für alle Lehrfächer des erziehlichen Ganzen gesorgt.

1818 giebt Fröbel dem Institute eine weibliche Stütze in einem feingebildeten, edlen Weibe, das in Keilhau von Anfang an in hohem Grade verehrt wurde. Henriette Wilhelmine, Tochter des Kriegsraths Hoffmeister in Berlin, verließ ihre großstädtische Situation, um dafür ein Leben in Dürftigkeit und voller Opfer und Entbehrungen aller Art einzutauschen. Bis zum Jahre 1839 hat sie ihrem ruhelos wirkenden Manne treu beigestanden und ist ihm auf geistigem Gebiete eine zuverlässige Stütze gewesen. Sie ruht auf dem Friedhofe zu Blankenburg in Thüringen.

Leider wurde das herrlich sich entwickelnde, originelle erziehliche Leben in Keilhau sehr bald gestört. Auf die Zeit des nationalen Aufschwunges folgten die Tage eines schmählichen Niedergangs. Nachdem 1819 die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse gefaßt waren, galten vaterländische Gesinnung und Erziehung plötzlich für ein Verbrechen. Und da beide in der Fröbel’schen Anstalt warm gepflegt wurden, so sah man sie bald mit scheelen Augen an und häufte Anklagen auf Anklagen gegen sie, die von der Rudolstädter Regierung energisch abgewehrt wurden, dennoch aber ihre Wirkung nicht verfehlten. Trotz der Großthat Christian Fröbel’s, des ältesten Bruders unseres Friedrich, der sein einträgliches Fabrikgeschäft verkaufte, all sein Hab und Gut dem Bruder bedingungslos zu Füßen legte und sich mit seiner ganzen Familie in seinen Dienst stellte, gerieth die Anstalt gegen das Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hart an den Rand des Verderbens, da man ihr den Zuzug abzuschneiden wußte. Der Schöpfer des Ganzen verließ 1831 verstimmt, aber nicht entmuthigt, die Stätte seiner ersten Wirksamkeit, gründete in der Schweiz zu Wartensee eine neue Anstalt, verlegte sie nach Willisau, richtete ein Waisenhaus in Burgdorf ein und leitete einen Wiederholungscursus für schweizerische Lehrer.

Dann aber geht er über seine bisherige Wirkungssphäre hinaus und richtet den Blick auf die früheste Erziehung. 1837 eröffnet er eine Anstalt für die früheste Kindheitspflege in Blankenburg und gelangt allmählich zur Darstellung jener erziehlichen Institution, die unter dem Namen „Kindergarten“ bekannt ist. Die alte Mutteranstalt Keilhau wurde inzwischen von dem Neffen und späteren Schwager Wilhelm Middendorff’s, Johannes Barop, fortgeführt und glücklich über Wasser gehalten, sodaß sie stets einen festen Stützpunkt für die weitgehenden Bestrebungen ihres Gründers bilden konnte. 1840 erläßt Fröbel einen Aufruf zur Gründung eines allgemeinen deutschen Kindergartens. Dann macht er, stets in Begleitung seines Busenfreundes Middendorff, gewissermaßen Missionsreisen in Deutschland; so wirkte er z. B. für seine Sache in Dresden und in Hamburg. 1849 siedelte er über nach dem Jagdschlosse Marienthal bei Liebenstein, das ihm der Herzog von Meiningen eingeräumt hatte. Hier erlebt er einen namenlosen Schmerz. Er wird nämlich von dem preußischen Ministerium unter von Raumer als ein Unchrist geächtet, und seiner jüngsten Schöpfung wird der Eintritt in Preußen verboten. Bald aber richtet die deutsche Lehrerwelt das Auge auf ihn, bereitet ihm 1852 zu Gotha eine herzerhebende Huldigung und nimmt sich seiner Sache an. Das war die letzte große Freude seines kampferfüllten, arbeitsvollen und vielbewegten Lebens. Er stirbt am 21. Juni 1852, und sein Freund Wilhelm Middendorff folgt ihm schon am 27. November 1853 nach.

4. Die Weltanschauung Fröbel’s und sein Erziehungssystem.

Der Mann, der also lebte und starb, war nach Geburt, Charakter und Denkweise ein echter Sohn unseres Vaterlandes. Pestalozzi war ein deutscher Schweizer, Amos Comenius ein Czeche. Pestalozzi’s Pädagogik hatte von Anfang an eine socialpolitische Richtung: ihn jammerte des armen Volkes, und er wollte ihm durch eine verbesserte Erziehung aufhelfen; Fröbel aber ließ sich einzig und allein durch seine philosophische Weltanschauung leiten, aus der sich die Fortführung und theilweise Umgestaltung des Erziehungswesens mit nothwendiger Consequenz ergab. Jener erhielt seinen Anstoß durch die Idee Rousseau’s; dieser arbeitete aus sich selbst heraus, und seine Ideen verrathen nur hin und wieder rein zufällige Anklänge an die Geistesarbeit gleichzeitiger Denker. Fröbel ging zwar bei Pestalozzi in die Schule und glaubte zuerst Pestalozzianer zu sein; allein schon in seinem ersten schöpferischen Anlaufe schieden sich seine Wege von denen des großen Schweizers. Schwerlich wird man ihm wirkliche Menschengröße absprechen können; denn die eine Hälfte seines Daseins erscheint, wie bereits angedeutet, als ein unausgesetztes, rastloses, in die Tiefe gehendes Ringen nach innerer Erleuchtung, als ein ruheloses Streben nach Lösung des Welträthsels und Gewinnung einer Lebensidee. Und als ihm diese Lösung, gemäß seiner Individualität, gelungen und diese Idee ihm aufgegangen ist, giebt er sich in der zweiten Hälfte seines Lebens derselben interesselos und mit voller Aufopferungsfähigkeit hin, erträgt willig jede Verfolgung und jedes Ungemach, kennt keine Ermüdung und ist jeden Augenblick bereit, sich für seine Sache allenfalls kreuzigen zu lassen. Getragen und getrieben wird er allein von der Liebe zur Wahrheit, von der Liebe zur Menschheit, von der Liebe zur Jugend. Er erkennt den Entwickelungsgang aller Dinge, das Gesetz der Analogie, den harmonischen Einklang des Menschenlebens mit dem Naturleben. Tief erfaßt er die Menschennatur und täuscht sich doch in dem Einzelnen, bringt Allen ein Herz voll Wohlwollen und Vertrauen entgegen und wird gerade aus diesem Grunde von nicht Wenigen getäuscht.

In Folge seiner gründlichen Naturstudien hatte er die Ueberzeugung gewonnen, daß alles Leben trotz aller Gegensätze und Kämpfe im tiefsten Grunde ein einiges sei. Aber einen außerhalb der Welt wirkenden menschlich-persönlichen Gott konnte er ebenso wenig begreifen, wie ihn Goethe begreifen konnte.

„Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße,
Sich und die Welt am Finger laufen ließe?
Ihm ziemt’s die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen.“

Dieser innerweltliche Gott, den Goethe und mit ihm Fröbel annahm, ist durchaus kein unchristlicher Gott; wenigstens widerspricht er nicht dem Paulinischen Christenthume. Denn dieses lehrt bekanntlich: „Gott ist nicht fern von einem Jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Diese Ansicht von Gott aber führt schließlich zu einer Auffassung der Welt als eines großen, einheitlichen Lebganzen, das, um mit Goethe zu reden, weder Kern noch Schale hat, sondern beides mit einem Male ist und von einem vernünftigen und allmächtigen Allwillen nach ewigen Principien getragen, erhalten und entwickelt wird. Sprößling an diesem nach allen Seiten hin unendlichen Lebensbaume ist alles Lebendige, das, so weit wir das Ganze zu überschauen im Stande sind, im Menschen seinen höchstentwickelten Ausdruck erhält. Das Wesen des Ganzen waltet innerhalb der Schranken der Individualität auch in dem Einzelnen und kündigt sich im Menschen an als ein dreifacher Trieb: einmal als Sehnsucht nach Einklang mit dem alles bestimmenden, vernünftigen Allwillen, der Gottheit; zweitens als Sehnsucht nach Einklang mit allen übrigen Sprößlingen des alles umfassenden und alles erhaltenden Lebensbaumes, zuhöchst der Menschheit, und endlich als Sehnsucht nach innerem Einklang, welcher durch Unterordnung aller Triebe unter die durch ethische Motive erleuchtete Vernunft errungen wird. Es wohnt demnach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_007.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)