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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die unser Pädagog machen mußte, war folgende. Nicht lange nach seiner Geburt im Pfarrhause zu Oberweißbach starb seine Mutter, und nun „schaltete an verwaister Stätte die Fremde liebeleer“. Friedrich zeichnete sich weder aus durch ein angenehmes Wesen, noch durch frühzeitig hervortretende Begabung. Die Stiefmutter, welche bald ihre eignen Kinder zu pflegen hatte, stieß ihn daher zurück, und der streng orthodoxe, pflichttreue Vater, welcher über die Seelen von 5000 Menschen zu wachen sich für verpflichtet hielt, hatte keine Zeit zur Pflege seines Sohnes, hätte auch schwerlich die Mutter ersetzen können. So irrte und träumte der Knabe, sich selbst überlassen, und sein Blick wurde früh nach innen gelenkt. Den einzigen Trost gewährte ihm ein mit Mauern umgebener Garten hinter dem Pfarrhause. Hier beschäftigte er sich frühzeitig mit Naturbeobachtung und Naturpflege; diese Beschäftigung, dieses edle Vergnügen wollte später der Gründer der „Kindergärten“ der gesammten Jugend verschaffen, weil er ihre wohlthätige Kraft ehemals an sich selber verspürt hatte.

Die Leiden des Knaben im Elternhause wurden aufgehoben durch einen Oheim mütterlicherseits, den Superintendenten Hoffmann in Stadtilm, der ihn in sein Haus nahm. Oheim und Neffe verkehrten in einem liebevollen, vertrauten Tone; der ehemals an Haus und Garten gebannte Knabe durfte mit seines Gleichen frei verkehren, sich austummeln in Gottes freier Natur und seiner jugendlichen Laune freien Lauf lassen. Bei dieser Gelegenheit lernte der zukünftige Erzieher, daß Liebe mehr wirkt, als bittere Strenge, erfuhr auch, daß das beste Spielzeug für Kinder die Kinder selber sind, will sagen: daß in fröhlicher, spielender Gemeinschaft die Jugend am besten gedeiht. Endlich erfuhr er an sich und seinen Genossen die erfreuende, belebende und entwickelnde Macht des Spieles, den Einfluß einer periodischen Ungebundenheit und die Zucht, welche unverdorbene Kinder auf einander auszuüben im Stande sind. Als Schöpfer der Kindergärten hat er alle diese Erfahrungen und früh gewonnenen Einsichten vortrefflich zu verwerthen gewußt.

Die glücklichen Tage im Hause des Oheims rauschten schnell vorüber; die erste Jugendzeit war dahin, und es sollte nun zur Berufswahl geschritten werden. Da man im Elternhause das unerschütterliche Vorurtheil gefaßt hatte, daß der Friedrich kein Talent zum Studium habe, und da man auch wohl die Kosten des Studiums scheute, so ersparte man dem Knaben die Wahl und damit die Qual, gab ihn bei einem Förster in die Lehre und überließ ihn sorglos diesem Manne und sich selbst. Die Sorglosigkeit rächte sich; denn der Förster that seine Schuldigkeit nicht. Wohl aber gefiel dem Lehrlinge das ungebundene Herumstreifen durch Wald und Feld, und ob er gleich nicht systematisch zum Lernen angehalten wurde, so erregte doch Mutter Natur, der er sich stets innig vertraut fühlte, sowie die Lectüre einiger wissenschaftlicher Bücher, die ihm im Forsthause zufällig in die Hände fielen, seinen Hunger nach geistiger Speise dermaßen, daß der heiße Wunsch in ihm aufstieg, gleich seinem Bruder Christoph sich der altbewährten und altberühmten thüringischen Alma mater an die Brust zu werfen und auch zu schöpfen aus den dort reichlich fließenden Quellen menschlicher Erkenntniß. Gedacht, gethan!

Ausgerüstet mit einem kleinen mütterlichen Erbtheil, rennt er ganz unreif auf die Universität, treibt sprachliche und alle möglichen Studien und beschließt nach verhältnißmäßig kurzer Zeit diese Studien Schulden halber im Carcer. Jetzt ist er entblößt von allen Mitteln und dem Anscheine nach von Gott und aller Welt verlassen; er soll und muß Geld verdienen und verdingt sich zu dem Behufe als Schreiber in technischen Anstalten Süddeutschlands und wirkt als solcher zuletzt auf einem Rittergute in Mecklenburg. Ersparnisse und ein kleines Erbtheil setzen ihn endlich in den Stand, seine mechanische Thätigkeit, die ihm selbstverständlich als eine drückende Last erschien, abzuschütteln. Immer aber weiß er noch nicht, was er will und wozu er eigentlich bestimmt ist. Nur seines riesigen Bildungsdranges und der ihm von der Natur verliehenen technischen Anlagen ist er sich bewußt. Letztere hofft er am besten verwerthen zu können als Architekt; er beschließt deshalb, sich dem Baufache zu widmen, und wendet sich zu dem Behufe nach Frankfurt am Main, da er gehört hat, daß ihm hier die beste Gelegenheit, ein geschickter Baumeister zu werden, geboten sei. In dieser Stadt trifft er nach kurzem Aufenthalte mit dem damaligen Direktor der dortigen „Musterschule“, einer Schule, die den ausgesprochenen Zweck hatte, Pestalozzi’sche Ideen zu verwirklichen, mit Gruner, zusammen, erzählt diesem von seinem Leben und Streben, Hangen und Bangen und erhält von ihm schließlich den Rath, Schulmann zu werden, also seine ganze Kraft der Jugenderziehung zu widmen. Da fällt es ihm, wie er selbst sagt, wie Schuppen von den Augen, und da ihm Gruner zugleich auch die helfende Hand reicht, so erfaßt er diese freudig und wird Lehrer an der „Musterschule“ zu Frankfurt am Main.

2. Fröbel als Schulmann.

Der junge, eifrige Lehrer fühlte sich glücklich und behaglich; denn die Irrfahrten waren vorüber, und all sein Thun und Treiben entsprach seiner Neigung und Begabung. „Dem Fische im Wasser kann nicht wohliger sein als mir“ — schrieb er an seinen Bruder. Wo man die Absicht hatte, dem „Vater Pestalozzi“, dessen Ruhm bereits die Welt erfüllte, in allen Stücken zu folgen, da war natürlich auch von Pestalozzi tagtäglich die Rede. Also ist erklärlich, daß in der feurigen und thatkräftigen Seele unseres jungen Schulmannes der dringende Wunsch entstand, den schweizerischen Reformator und seine pädagogische Werkstatt aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Die erste Ferienzeit schon gab die erwünschte Gelegenheit, diesen Wunsch zu befriedigen. Vor seinem ersten Abschiede aus Yverdun faßte er sogleich den Vorsatz, sobald als möglich dorthin zurück zu kehren, also der Jünger Pestalozzi’s zu werden. Als er wieder in Frankfurt angekommen war, genügte dem aufstrebenden Schulmann die einseitige Thätigkeit in der Schule, die hier nur einen Theil der gesammten erziehlichen Thätigkeit umfaßt, nicht mehr. Er wird daher Erzieher zweier Knaben aus einem vornehmen Hause. Da er nun das vollständige Vertrauen dieses Hauses genießt, so weiß er die Eltern seiner Zöglinge zu bereden, ihn und die Knaben zu Pestalozzi zu senden, damit er Erzieher und Zögling zu gleicher Zeit sein kann und den ihm anvertrauten Brüdern eine Erziehung, die er für eine überaus segensreiche hält, zu bieten vermag. Wie redlich er diese seine Doppelstellung bei Pestalozzi ausgenutzt hat, davon giebt ein an die Fürstin von Rudolstadt gerichteter Bericht ein ausführliches und vollgültiges Zeugniß. Vollständige Befriedigung fand er indessen bei Pestalozzi nicht. Mit dem Meister sah der Jünger ein, daß alles Lernen auf den Erwerb klarer und ausreichender Anschauungen gestützt werden müsse, da, um Schopenhauer’s Worte zu gebrauchen, die Anschauungen in unserem Geiste die Constanten[WS 1], die Begriffe aber die Zettel sind, und da, wo die Anschauungen nicht in genügendem Maße vorhanden sind, der menschliche Geist einer Zettelbank gleicht, in der die nöthigen Deckungsmittel fehlen; allein es wurde unserem Forscher bereits klar, daß zur Erziehung doch noch etwas mehr gehört, als Lernen und wieder Lernen. Auch erkannte er haarscharf, daß nur derjenige von Naturgemäßheit des Unterrichts reden kann, welcher weiß, was Naturgemäßheit überhaupt ist, der also die Natur belauscht und den Gang ihrer Entwickelung erkannt hat. Der Entschluß, das Universitätsstudium wiederum aufzunehmen, lag also nahe. Meister und Jünger schieden übrigens auf das Freundlichste und Freundschaftlichste aus einander. Ahnungsvoll schrieb jener seinem größten Schüler in das Stammbuch: „Der Mensch vollendet sich selber durch Schweigen und Thun.“

1811 bezieht Fröbel, getrieben durch seine in Yverdun gewonnene Ueberzeugung, zum zweiten Mal die Universität und geht dieses Mal nach Göttingen, und ein Jahr darauf nach der neugegründeten Hochschule zu Berlin. Mit heiligem Ernste und riesigem Fleiße betreibt er jetzt das Studium der Naturwissenschaft und ergänzt nebenbei seine lückenhafte philologische Ausbildung. Da steht 1813 das Volk auf, und der Sturm bricht los. Vater Jahn wirbt unter den Studirenden Jünglinge für den Befreiungskampf, wirbt auch Friedrich Fröbel und führt ihn der Lützow’schen Schaar zu. Der also Geworbene lernt im Kriege Heinrich Langethal und Wilhelm Middendorff, beides junge Theologen, kennen und sucht sie für seine Lebensidee zu gewinnen. Für seine Lebensidee, sagen wir; denn in Fröbel’s Seele stand der Vorsatz fest, sich nicht allein der Erziehung auch ferner zu widmen, sondern auch auf dem von Pestalozzi eingeschlagenen Wege pädagogisch-reformatorisch zu wirken. Als Preußen 1806 durch Napoleon niedergeschlagen war, wurde in den edelsten Seelen der Fichte’sche Gedanke einer Totalverjüngung und Totalerneuerung der Nation auf dem Wege einer verbesserten Volkserziehung lebendig; wie also hätte sich ein Friedrich Fröbel diesem allgemeinen Streben und Ringen entziehen können? Keine Aussicht auf ein angenehmes Leben und eine ruhmreiche Stellung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Contanten
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_006.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)