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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

er ein Geist von ausgezeichneter Art und zeigte oft eine humoristische Ader von genialer Frische und Liebenswürdigkeit.

Raymond, der Letzte des großen Zeitungstriumvirats der Stadt New-York, war, so zu sagen, aus Greeley und Bennett zusammengesetzt, aber er besaß weder des Einen noch des Anderen große Eigenschaften und war weniger selbstständig als seine beiden Vorgänger. Seine ursprüngliche Idee, als er mit seiner „New-York Times“ auftrat, war, dieses Blatt wie einen Keil zwischen die Blätter Greeley’s und Bennett’s hineinzutreiben. Er wollte weniger dem Irrthum unterworfen erscheinen als Greeley und würdiger dastehen als Bennett. Nicht ohne politischen Ehrgeiz, jedoch ohne die große ideale Anschauung Greeley’s, suchte er sein Glück für und für in der Geschicklichkeit, mit der er seine Stellung behauptete und seine Sache führte, und kam dadurch in die Gefahr des Seiltänzers, der ohne Balancirstange seine Kunst ausübt; er erregte mehr Staunen und Bewunderung, als daß er sich dauernde Sympathien zu erwerben vermochte. Die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, war eine so schwierige, daß seine größte That darin bestand, daß er ihr nicht unterlag. Der kleine energische Mann, der unermüdlich wie eine Infusorie zwischen den beiden Riesen hin- und herfuhr, dessen unermüdliches Bestreben es war, sich mit der größtmöglichsten Gewandtheit durch die Klippen, welche ihn bedrohten, hindurchzuwinden, erwarb sich daher bei seinen Zeitgenossen den Beinamen „das kleine Ungeheuer“. Auch ihm glückte es nie, zu einer Staatsstellung zu gelangen, obschon er darnach begehrte, und zwar in noch höherem Muße als Greeley. Er starb, wie Letzterer, verhältnißmäßig arm, obschon die Zeitung, welche er geschaffen hatte, ein werthvolles Besitzthum vorstellte. Aber er wie Greeley sahen sich genöthigt, die Hülfe des fremden Capitals in Anspruch zu nehmen, um mit den Ereignissen und den gesteigerten Anforderungen der Zeit Schritt zu halten, während der nur auf den Gelderwerb bedachte Bennett bis zu seinem Tode alleiniger Redacteur und Besitzer des „Herald“ blieb.

Erst nach Raymond‘s Tode stieg der Glücksstern der „Times“ plötzlich empor, indem eines Tages James O’Brien, Ex-Sheriff von New-York County, sehr gelegen in den Redactionszimmmern mit einer Zusammenstellung der erschreckendsten Zahlen erschien, welche jemals der Welt vorgelegt worden sind. Er war von dem berüchtigten, später erschossenen Tweed (vergl. Nr. 1, 1874) in seinen eigenen Plänen hintergangen worden und suchte Rache und eine Belohnung von fünftausend Dollars für seine Enthüllungen. Diese Enthüllungen enthoben die „Times“ mit einem Schlage der Sorge um ihre weitere Existenz.

Aber nicht Alles, was in den drei großen Zeitungen erschien, war die Arbeit der drei eigenthümlichen Männer, welche ihnen die Seele einhauchten, Es gab in den Redactionsbureaus eines jeden derselben Unterredacteure, aus deren Federn viele der Leitartikel flossen, die den Ruhm der Blätter begründen halfen; namentlich Bennett überließ in seinen späteren Jahren einen großen Theil der Führung seines Blattes jüngeren Kräften, und nur in finanzieller Beziehung behauptete er bis zuletzt seine autokratische Selbstherrlichkeit.

Greeley, in Allem sein Gegenstück, bewahrte sich indessen seine intellectuelle Oberherrschaft unwandelbar bis zuletzt und überließ umgekehrt nur die finanzielle Leitung den Actionären seines Blattes. Mochten sie darin im Sinne ihrer Parteizwecke nach Gutdünken schalten!

Beide Herren, Bennett und Greeley, zogen sich später, müde und überarbeitet, auf’s Land zurück. Es giebt in der Welt eben kaum einen Beruf, der so aufreibend wäre, wie die Redactionsführung eines großen Blattes – andauernde Aufregung und stets angespannte Geistesarbeit verzehren frühzeitig auch eine eiserne Kraft.

Soviel über die drei Tribunen der amerikanischen Presse! Die Zeit der allmächtigen Triumvirn im amerikanischen Zeitungswesen ist heute, wo das Capital sich der Publicistik in Amerika bemächtigt hat, dahin – mit ihr auch die Möglichkeit, daß ein einzelner Mann, wenn auch noch so vielseitig befähigt, im Stande wäre, wie Greeley, durch die Presse die Macht eines Imperators auszuüben. Das Gebiet des Tribunenthums ist heute nicht mehr die Presse, sondern vorwiegend das Parlament. Hermann Riotte.     


Ein Friedensstörer.

Erzählung von Victor Blüthgen.
(Schluß.)


„Es ist doch wohl besser,“ meinte der glückliche Bräutigam, „Anne-Marie spricht zunächst mit Onkel und ich vermeide vorläufig, ihm unter die Augen zu treten. Er könnte im ersten Zorn wieder Entschlüsse fassen, welche alles verderben, da ihm sein Starrsinn nachher nicht erlaubt, sie zu widerrufen. Ich werde mit Ihrer Erlaubniß wieder den Parkweg wählen, Herr von Pannewitz, und Ihre Mittheilung im Garten abwarten.“

Man stimmte zu, und Herr von Pannewitz verfolgte mit Anne-Marie den Weg allein weiter.

„Hurrah, Papa bringt Anne-Marie!“ rief Hedwig am offenen Fenster. Das schrumpflige Gesicht des alten Barons erschien, und er bog sich weit heraus.

„Ist es gut abgegangen? Mein liebes Anne-Marieken, nun sieh mal, das ist mir doch ’ne rechte Herzensfreude.“

„Wo ist Curt?“ fragten die Frauen oben, Herrn von Pannewitz bei Seite nehmend.

„Alles gut!“ sagte der augenzwinkernd.

„Ja, wo ist die Pogge, Pannewitz? Hast Du sie nicht gefunden? Hat sie der Teufel geholt? Ich hätte da nichts dawider.“

„Leider ist sie heil und gesund, Franz, und nun denk Dir mal, was der Kerl angestiftet hat: der hat sich mit Anne-Mariechen – verlobt.“

Wie eine Bombe fielen diese Worte in den Kreis. Die Mädchen schrieen laut auf, faßten die glühende Anne-Marie um und erstickten sie beinahe mit Zärtlichkeiten. Der Baron aber wurde aschfahl; nur die Nase hielt Farbe. Er stierte Herrn von Pannewitz wie ein Gespenst an. Mit heiserer Stimme rief er:

„Fritz, auf Ehre und Gewissen: das ist nicht wahr.“

„Das ist doch wahr, Franz –“

„Onkel, lieber Onkel, ich habe ihn lieb – ich konnte doch nicht anders. Ich wäre vielleicht doch gestorben ohne ihn“.

Anne-Marie lag vor dem Alten auf den Knieen und bedeckte seine runzlige Hand mit Küssen. Aber er entriß ihr dieselbe und bedeckte die Augen.

„Mein Anne-Marieken nimmt doch den Kerl!“ sagte er mit unverstelltem Schmerz. „So ’nen Kerl, der sich nicht mal mit mir duelliren will! So ’nen Hasenfuß! Nun hat mir der Hund auch noch mein Anne-Marieken gestohlen.“

„Onkel!“ schrie Anne-Marie verzweifelt, „stoße mich nicht fort, mache mich nicht unglücklich –“

Der Baron befreite seine Kniee von ihren Händen, rauh, wie er nie gegen sie gewesen. Dann stiefelte er unsicher zur Thür hin. Herr von Pannewitz winkte beruhigend zurück, ehe er, ihm auf den Hacken, das Zimmer verließ.

„Pannewitz, hast Du ’ne Stube für mich? Mir ist schlecht zu Muthe,“ sagte der alte Herr draußen.

„Natürlich, alter Freund! Komm’, und laß uns ein vernünftiges Wort reden! Wir wollen mal zusehen, was wir mit dem Kerl anfangen.“

„Nein, Fritz; das muß ich erst mit mir allein abmachen.“

Herr von Pannewitz schloß ihm schweigend ein Fremdenzimmerchen auf und wollte gehen. Der Alte stand verlegen, wie mit einem Entschluß ringend.

„Bleib mal hier, Fritz! Sieh mal, Du bist mein alter Freund, und auch ’n Edelmann. Mir ist meine ganze Ehre abgeschnitten von dem Kerl, und er will sich nicht mal mit mir schießen. Du hast von Brandow’n so schöne lütte Pistolen gekauft Es wäre ja doch möglich, daß er sich noch mit mir schösse und da möchte ich so ’n bischen Uebung abhalten. Gieb mir eine in die Stube hier! Das knallt ja nicht sehr.“

„Lieber Franz,“ meinte Herr von Pannewitz ernst, „ich glaube Du könntest Dich mal verschießen und machen, daß Dir selber was passirte, und unser Herrgott will davon nichts wissen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_868.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)