Seite:Die Gartenlaube (1881) 867.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

empor; sein ganzes Sinnen und Trachten, der Zweck seines Blattes, war ihm nur der Geldpunkt, dem er sich selbst, sein Privatinteresse und sein zeitliches Wohl opferte. Er war ein Original und machte im Leben Alles anders als andere Leute; so erzählt man sich über seine Heirath Folgendes:

„Bill!“ sagte er eines Morgens zu Atree, einem seiner vornehmsten Reporter, „würdest Du wohl am Sonntag eine Fahrt nach Coney Island machen?“

„Ja; Herr,“ antwortete jener erstaunt.

„Und Bill!“ fuhr Bennett fort, „Du kannst Deine Frau mitbringen.“

„Jawohl, Herr,“ entgegnete Atree verwirrt.

„Und Bill! Du kannst einen Wagen bestellen, uns an’s Dampfschiff zu bringen.“

„Ja, Herr,“ war die einzige Antwort, welche Atree zu geben wagte. Er wollte sich eben zurückziehen, als er durch die weitere Bemerkung noch mehr in Staunen versetzt wurde:

„Und Bill! Du kannst auch das junge Frauenzimmer mitbringen, welches ich neulich in Deinem Hause gesehen habe.“

Dieses junge Frauenzimmer, deren Mädchenname Krean war, wurde die spätere Frau Bennett’s.

Er hatte nicht nach Geld geheirathet; sein „Herald“ mußte ihm seinen Reichthum schaffen, und nur das Geld, welches ihm dieses Blatt einbrachte, hatte für ihn Werth. Daher war er mit Bezug auf seinen „Herald“ ebenso sehr Autokrat, wie er im gewöhnlichen Leben dem demokratischsten Gleichheitsgrundzuge huldigte.

Der „Herald“ war sozusagen das Klatschtagebuch der Nation. Sein Gründer, obwohl an Fähigkeiten und Bildung tief unter Greeley und Raymond stehend, war ihnen an Tact und Fertigkeit weit überlegen. Während sie ihr Augenmerk auf politische Vortheile und auf die Erlangung von Einfluß und Würden im Staatsleben richteten, lebte Bennett ausschließlich seinem „Herald“ und den durch denselben zu erlangenden pecuniären Vortheilen. Keine Versuchung war stark genug, ihn aus dieser Lebensstellung heraus zu drängen, und selbst der von Lincoln ihm angetragene französische Gesandtschaftsposten war nicht im Stande, ihn wankend zu machen. Natürlich wirkte er bei dieser Beharrlichkeit Gutes, indem er keine Kosten und keine Mühe scheute, stets das Allerneueste seinen Lesern zu bringen, koste es, was es wolle. So nahmen in seinem Blatte alle Raub- und Mordgeschichten aus beiden Welttheilen natürlich einen hervorragenden Rang ein, und der „Herald“ ersetzte auf diese Weise das Bedürfniß einer besonderen Criminalbibliothek, wie wir sie nun schon seit vielen Jahren in Deutschland haben, vollständig.

Die Berichte dieses Blattes waren stets sorgfältig gearbeitet und die Gerichtsverhandlungen stenographisch nachgeschrieben. In diese letzteren dictirte Bennett selbst während vieler Jahre allen seinen Mitarbeitern kurze vernichtende Ausrufe sittlicher Entrüstung hinein, welche jene dann nach bestem Gutdünken an geeigneter Stelle in ihre Berichte woben. Das war auch lange Zeit seine Gewohnheit mit Bezug auf Leitartikel und andere wichtige Aufsätze, wie er denn bis in seine späten Tage nicht ohne geistigen Einfluß auf den Ton und die Haltung des gesammten Blattes blieb. Aber dasselbe enthielt nie einen Aufsatz, der mit Bezug auf seine äußere Gestalt mustergültig genannt werden konnte, und kein Blatt von der Verbreitung des „Herald“ hat jemals einen so geringen politischen Einfluß ausgeübt, wie gerade er.

Es kam vor, daß der „Herald“ factisch in einer Woche die Farbe drei- und viermal änderte. Was kümmerte es Bennett, ob vor seinem Locale ein patriotischer Volksauflauf das Herausstecken einer Unionsfahne auf der „Herald“-Expedition verlangte? Warum sollte er nicht den bunten Lappen an die Lüfte setzen, den Jene sehen wollten, weil er in seinen letzten Nummern mit aller Macht gegen den „Bruderkrieg“ gedonnert hatte? Hoch flatterte die Fahne, und am nächsten Morgen erschien der „Herold“ mit einem patriotischen Artikel, der fantastisch das Gegentheil von dem verlangte, was erst gestern den Volksauflauf verursacht hatte.

Bennett, der Tribun des wetterwendischen Volkswillens, hatte mit nichts angefangen. In einem Kellergewölbe begann er seine Laufbahn; dort schrieb er seine eigenen Leitartikel; dort war er sein eigener Berichterstatter und Laufbursche; dort verrichtete er auch alle Geschäftsarbeiten selbst auf einem improvisirten Ladentische, der aus einem Brett bestand, das über zwei umgestülpte Fässer gelegt war. Er erwarb sich mit seinem Systeme ein Vermögen von über fünf Millionen und hinterließ seinem Sohne ein Blatt, das, wie man allgemein behauptet, eine jährliche Revenue von 700,000 Dollars abwirft.

Ein anderer als Bennett war Greeley, der Besitzer der „New-Yorker Tribune“; er starb als ein verhältnißmäßig armer Mann; denn sein ganzes Besitzthum wird nicht über einige hunderttausend Dollar werth gewesen sein, als er das Zeitliche segnete, und doch, ja vielleicht deshalb war er bei Weitem der größere Mann von den Beiden; ein weites, edles Herz schlug in seiner Brust; er fühlte mehr den Beruf, in der Welt zu wirken, als den, Geld zusammen zu scharren, und er hat seinen Beruf erfüllt. Es dauerte lange, ehe er nur die große Bedeutung begriff, welche die schnelle und zuverlässige Veröffentlichung von Tagesneuigkeiten für sein Blatt, „Die Tribune“, haben mußte, und ehe es ihm klar wurde, daß das Publicum nicht in erster Reihe tiefgedachte Abhandlungen wünsche, sondern daß es ihm um das Neueste und Interessanteste zu thun sei. Dabei war Greeley mindestens ebenso selbstbewußt und herrisch in der Führung seiner Zeitungsredaction, wie Bennett es nur je sein konnte. Wenn er früh in seinem Redactionslocale erschien, mit welcher kreischenden Wuth rief er da manchmal, indem er das Redactionswerk des vorhergehenden Tages in seinem Blatte las:

„Wer ist der verdammte Narr gewesen, der einen solchen infernalischen Blödsinn in mein Blatt geschrieben hat?“

Bei solchen Anlässen trat oft seine zwar bedeutende, aber auch schroffe Persönlichkeit empfindlich in den Vordergrund. Jeder Spalte des Blattes war sie in unverkennbarer Weise aufgeprägt, und dies mußte bei einer Tageszeitung von dem Umfange der seinigen eine Einseitigkeit herbeiführen, die den Leser ermüdete, abgesehen davon, daß unvermeidlicher Weise seine persönlichen Schwächen und Launen dabei ebenso wohl zum Ausdrucke kamen, wie seine großen und erhabenen Eigenschaften. Seine Liebe zur Menschheit steigerte sich wie diejenige des älteren Mirabeau zu einer ausgebildeten Schwärmerei; sie schwang sich über die Köpfe seiner kleinlichen alltäglichen Umgebung hinweg, gegen die er oft herrisch und hart erschien, auch wo sie es nicht verdiente, und dies führte ihn jener Lebensaufgabe entgegen, in der seine Menschenliebe sich ganz ideal bethätigen konnte, der Aufgebe der Befreiung des Negers von den Fesseln der Sclaverei. Er kämpfte für den Gedanken und nur für den Gedanken dieser Negeremancipation mit einer Kraft, Zähigkeit und Unermüdlichkeit, die endlich alle wahrhaft menschlich gesinnten Elemente der Union mit sich fortriß. Hierin, wie in seinem ganzen Wesen als Redacteur, war er mehr ein Volksheros, mehr ein Tribun, als ein gewöhnlicher Zeitungsmann. Er blieb auch als solcher stets derselbe freimüthige Vorkämpfer des Ideals und trieb seinen rücksichtslosen Feuereifer oft allzu weit, sodaß der vorsichtige Lincoln gewiß nur in seinem und des Staates Interesse Greeley’s Wunsch, in eine höhere Staatsstellung einzutreten, nicht erfüllte. Und war es nicht eine Rechtfertigung dieses Lincoln’schen Vorgehens, ist es nicht bezeichnend für Greeley’s Charakter, wie für seine ideale Größe, daß er seinen Namen unter die Bürgschaftsurkunde für den Ex-Präsidenten der Conföderation, Jefferson Davis, setzte und dadurch seine gegründete Aussicht auf den Posten eines Senators für den Staat New-York in den Wind schlug? Wahrlich, mit solchen Köpfen ist sicherlich gut Kirsche essen – aber schlecht regieren.

Dasselbe Urtheil, wie Lincoln, hat übrigens das amerikanische Volk über diesen seinen gefeiertsten Tribunen jener Tage gesprochen, als es sich darum handelte, Greeley zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen. Was waren aber auch diesem Manne, der durch ein Jahrzehnt von seinem unscheinbaren Redactionstische aus das Schicksal der Union lenkte, was waren ihm Geld und hohe Stellung? Was hätte er seinem Kranze an Ehren noch für ein Blatt hinzufügen können, er, mit seiner Tribunennatur, umlauert von den Intriguen des Weißen Hauses? Besser für ihn, er ruhte auf seinem lauteren Ruhme, der seinen Namen untrennbar mit einer der größten Epoche der amerikanischen Geschichte verknüpft; denn wer weiß, ob sein Ruhm so lauter geblieben wäre, wenn er in das Staatsleben direct eingegriffen hätte! Es schlummerten aber in seiner Seele Leidenschaften, die Keiner aus seinen ruhigen, freundlichen und vorwiegend liebenswürdigen Zügen herausgelesen hätte. Mit dem idealen Sinne verband er einen gewissen Grad praktischer Klugheit und feurigen Ehrgeizes, und dieser Ehrgeiz hätte dem Staatsmann gefährlich werden können. Uebrigens war

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_867.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)