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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

anzurufen. Es läutet nur an der angerufenen Station, läutet aber dort so lange, bis der Beamte kommt und den Wecker stellt. Der Telegraphist braucht hier also nicht den ganzen Tag in seinem Bureau zu bleiben; denn wenn man ihn braucht, wird ihm geläutet. Es kann sogar der Telegraph in der Nacht zur Verfügung gestellt werden, was oft von außerordentlicher Bedeutung ist.

Die Behandlung des Läutewerkes ist eine sehr einfache; an der Vorderseite gewahrt man ein Zifferblatt nebst Zeiger, der im Ruhezustande auf Null weist. Jede Station hat ihre bestimmte Ziffer. Drückt man nun an irgend einer Station den Taster nieder, so bewegen sich die Zeiger aller Stationen und ebenso der eigenen, und dauert der Druck ununterbrochen fort, bis der Zeiger eine bestimmte Zahl erreicht hat (worauf man den Taster auslöst), so läutet es an der der Ziffer entsprechenden Station. Dieses Signalsystem ist in Baiern bereits auf mehreren Bahnlinien in Anwendung gebracht worden und hat sich als vollkommen sicher bewährt. Die allgemeine Einführung für Baiern steht bevor.

Das Bereich des Eisenbahnwesens hat sich in dem kurzen Zeitraume eines halben Jahrhunderts zu so ungeahnter Höhe gehoben – wir erinnern nur daran, daß zur Zeit in dem Eisenbahnnetze unserer Staaten über 100,000 Locomotiven und eineinhalb Millionen Waggons cursiren – und ist mit der Entwickelung unseres modernen Culturlebens so eng verknüpft, daß es sich wohl lohnt, an dieser Stelle noch eines zweiten wichtigen Punktes zu gedenken, der eine nicht minder einflußreiche Rolle in der Wahl der Mittel für die Sicherung des reisenden Publicums spielt. Es sind dies die verschiedenen Systeme der Bremsvorrichtungen. Wir beabsichtigen nicht, eine eingehende Beschreibung oder Auseinandersetzung dieser oft sehr sinnreichen Constructionen zu geben, sondern wollen nur den Vorgang des Bremsactes uns einmal näher betrachten. Die Hauptaufgabe der Eisenbahn-Ingenieure bei Erfindung neuer, rationell wirkender Bremsvorrichtungen gipfelt stets darin, den Zug so schnell wie möglich, aber auch so sanft wie möglich zum Stehen zu bringen.

Wohl zur Genüge bekannt ist die immense Geschwindigkeit unserer Bahnzüge, die im Verein mit dem Gesammtgewicht aller fahrenden Waggons die sogenannte „lebendige Kraft“ des ankommenden Bahnzuges repräsentirt. Diese Kraft, oder wenn wir wollen, die Gewalt, welche jeder zu bremsende Zug in sich trägt und welche durch die Bremsoperation erst vernichtet werden muß, damit der Zug zum Stillstand kommt, ist, wie leicht ersichtlich, sehr bedeutend. Summirt man diese lebendige Kraft aller fahrenden Bahnzüge unseres irdischen Eisenbahnnetzes, so braucht man keineswegs Fachkenner zu sein, um zu dem Resultat zu gelangen, daß sich in einem Zeitraume von fünfzig Jahren, bei progressiver Steigerung des Verkehrs, eine ganz erstaunliche Gesammtkraftleistung ergeben muß, die wir durch unsere Eisenbahnbremsen bisher leider stets vernichtet haben. In der That, stellt man in dieser Richtung eine genauere Rechnung an, so stoßen wir auf einen Verlust von „Milliarden“, die in national-ökonomischer Hinsicht besser hätten verwerthet werden können.

Es ist das Verdienst der Elektricitäts-Ausstellung, auch auf diesem, wie wir sehen, interessanten Gebiete wiederum einen bedeutsamen Schritt vorwärts gethan zu haben. Das Gebiet der „Accumulatoren“ hat in dem System Planté-Faure (vergl. Nr. 29) einen sehr wesentlichen Fortschritt erfahren. Während Planté den Besuchern der Ausstellung in seiner Abtheilung auf das Instructivste die Art und Weise vor Augen führt, wie und in welchem Zeitraume er die Erfindung seiner „Secundär-Batterie“ – bestehend aus Blei-Elementen von großer Oberfläche mit verdünnter Säure, welche die empfangene Elektricität in sich aufstapeln und nach beliebiger Zeit und an beliebigem Orte wiederum abgeben – gemacht, zeigt uns Faure in seiner Abtheilung das Wesen dieser elektrischen Kraftsammler in höchst anschaulicher Weise. Hier stehen solche Blei-Elemente in sehr beträchtlicher Anzahl und werden den ganzen Tag über durch die Rotations-Elektricität der aufgestellten dynamo-elektrischen Maschinen gespeist. Beim Beginn des Abends bemerkt man das Auslösen einiger Elemente; dieselben werden auf einen Schubkarren geladen und fort an einen entfernten Ort der Ausstellung gefahren, um dort, eingeschaltet in die Drahtleitung eines Glühlichtcomplexes, die zur elektrischen Erleuchtung nöthige Kraft abzugeben. Ein Element Faure wiegt 25 Kilogramm und kostet 100 Franken. Was die Kraft und die Dauer dieser Elektricitätssammler anlangt, so haben sorgfältig angestellte Ermittelungen, welche Thomson in Paris, Glasgow und London sammelte, ergeben, daß beispielsweise

4 Elemente treiben können 1 Nähmaschine während 1 Woche,
6 1 Velociped oder
1 Boot mit 2 Personen
6 Stunden,
8 1 Wagen mit 2 Rädern 6
16 1 Wagen mit 4 Rädern 6
40 1 Omnibus v. 24 Plätzen 3
60 1 Omnibus v. 40 Plätzen 3

Die Elemente Faure kann man jetzt bereits bis zu einer Intensität mit Elektricität füllen, daß man mit einem einzigen Elemente ein kleines Glühlicht zum Leuchten zu bringen vermag, und was die Verwendung dieser elektrischen Accumulatoren im Bereiche des Bahnbremsens anlangt, so wird dieselbe dahin zielen, durch geeignete Vorrichtungen die schnelle Rotation der Räder während der bisherigen Bremsdauer zur Erzeugung von Elektricität zu benutzen, dieselbe sodann in den Elementen aufzuspeichern und nach Belieben vermittelst Drahtleitung nach den Glühlicht-Vacuumglocken der einzelnen Coupés zu führen, um dieselben zu beleuchten.

Eine weitere vielverheißende Richtung der Verwendung der elektrischen Kraft, welche sowohl für die gesammte Industrie wie auch für eine große Reihe anderer Zweige von gleichem Werthe sein dürfte, eröffnete sich aus jenem merkwürdigen Experiment, welches in der letzten Zeit der Ausstellung vor einer zahlreichen Versammlung der Congreßmitglieder in der Siemens’schen Abtheilung ausgeführt wurde. Ein unscheinbares Gefäß von Graphit, durch einen Deckel lose verschlossen, in den ein Bündel starker Kohlenstäbe führte, wurde mit einer Menge einzelner Stahlstücke in der Größe einer Wallnuß angefüllt. Die Kohlenstäbe, sowie der Boden des Graphitgefäßes waren in elektrischer Verbindung mit einer dynamo-elektrischen Maschine. Sobald der Strom geschlossen wurde, stieg sofort aus dem Graphitgefäß ein dicker, weißer Rauch auf. Durch ein gefärbtes Glas konnte man, sowie der Deckel abgehoben wurde, erkennen, daß die einzelnen Stahlstücke zusammensanken und bald eine flüssige Masse bildeten. Der elektrische Strom hatte also hier auf höchst einfachem Wege durch seine Intensität den festen „Stahl“ in schneller Zeit geschmolzen. Daß dieses so vollendete interessante Experiment als der Ausgangspunkt einer völlig neuen Aera unserer zukünftigen Schmelz-, Heiz- und Kochmethoden anzusehen ist, darüber kann nur derjenige im Zweifel sein, welcher diesen in jeder Weise gelungenen Untersuchungen nicht beigewohnt hat.[1]

Wie wir uns heute in unseren Häusern und Wohnungen der Annehmlichkeiten der Wasser- und Gasleitungen, sowie der elektrischen Signal-Vorrichtungen erfreuen und sich schon das elektrische Telephonnetz in großen Zügen zu entfalten beginnt, so wird die nächste, zum Theil auch schon die jetzige Generation die unleugbaren Vortheile der elektrischen Kraftleitung, der elektrischen Lichtleitung und der elektrischen Heiz- und Kochleitung genießen. Die Speisen, welche unsere Nachkommen verzehren werden, werden in Wahrheit durch „Elektricität“ zubereitet sein, die Theater und Concerte, die wir dann hören, per Elektricität in unser Ohr gelangen; denn schon besitzt, um ein Beispiel anzuführen, der Präsident der französischen Republik, Mr. Grevy, seit einiger Zeit drei Telephon-Theater in seinem Hause.

Das Gebiet der sogenannten „directrotirenden Maschinen“, welches bisher schon manchem Erfinder erwartungsvolle Stunden, aber auch oft getäuschte Hoffnungen gebracht, wird in nächster Zeit auf elektrischem Felde eine bedeutende Rolle spielen. In der russischen Abtheilung, System Zveritinow, sowie auch in der deutschen von Siemens, nach dem System Dolgoruki, waren kleine rotirende Maschinen ausgestellt, welche direct ohne jede Vermittelung von Riementransmission die Achse der dynamo-elektrischen Maschine in Rotation versetzten. Ein ähnliches Princip, die Vermeidung der Riementransmission, liegt auch der großen elektrischen Kraftmaschine von Edison zu Grunde, welche allabendlich unter großer Präcision bei der rapiden Kurbelumdrehung von 350 Mal in der Minute circa 1000 bis 1200 Glühlichter der gesammten elektrischen Ausstellung mit Elektricität versorgte. Edison läßt aber den Dampf nicht auf einen rotirenden Kolben, sondern auf einen in gerader Linie hin- und hergehenden wirken. Jedenfalls ist aber die hier eingeschlagene Richtung, sich möglich von jeglicher Riementransmission zu emancipiren[WS 1], als eine sehr gerechtfertigte zu bezeichnen, und wird dieselbe den elektrischen Anlagen nur zum Vortheil gereichen. – –


  1. Ob unser Herr Berichterstatter sich hier nicht allzu sanguinischen Hoffnungen hingiebt? D. Red.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: emanicipiren
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_863.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)