Seite:Die Gartenlaube (1881) 857.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 52.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



An unsere Leser.

Um die Nummern-Bezeichnung unserer Zeitschrift in genauen Einklang mit der Wochenzahl des Jahres zu bringen, lassen wir, statt der üblichen 13, in diesem Quartale ausnahmsweise 14 Nummern erscheinen, und wird daher dieser Nr. 52 in nächster Woche noch eine Nr. 53 folgen, welche alle Abonnenten des 4. Quartals gratis zu beanspruchen haben. – Nr. 1 des neuen Jahrganges wird am 5. Januar 1882 ausgegeben werden.

Die Verlagshandlung von Ernst Keil. 




Der schwarze Fritz.
Weihnachtserzählung aus dem Handwerkerleben.0 Von Zoë von Reuß.
1.

Immer näher rückt die Weihnacht. – Als die Kleinen heute Morgen vom Schlafe erwachten mit der seit Wochen gewöhnlichen Frage: „Wie oft müssen wir nun noch schlafen?“ hatte die Mutter beruhigend geantwortet: „Nur noch ein einziges Mal – morgen schon ist heiliger Abend.“

Aber auch die Spannung der Erwachsenen stieg, und mit ihr jene fieberhafte Thätigkeit, der die Tagesstunden nicht lang genug sind und welche darum längst die Nacht zur Hülfe genommen hat. Auf den Straßen und Plätzen rennt man in lauter Uebergeschäftigkeit hin und her, und in den Läden und Gewölben drängen sich seit gestern förmlich die Käufer. Am dichtesten aber war das Gedränge doch wohl dort an der Marktecke. Das alte, etwas rauchgeschwärzte Giebelhaus war aber auch ganz besonders günstig gelegen – man fiel sozusagen ordentlich hinein. Auch strahlte der stattliche, kürzlich renovirte Bäckerladen des Parterregeschosses in bunter festlicher Licht- und Farbenfülle bis weit auf den Marktplatz hinaus, und wo sonst die liebe, schlichte Gottesgabe in wohlgerathenen braunen Laiben neben den zierlichen frischen Semmelreihen aufgepflanzt stand – wie junge stramme gutgeschulte Recruten – da thürmten sich augenblicklich den kommenden Festtagen zu Ehren wahre Berge von Leckereien in allerlei verführerisch buntem Süßkram; denn das Weihnachtsfest macht ja die Spiel- und Naschfreuden fast zur Pflicht. Wenn man an dem unscheinbaren Hause vorüberging, war’s wohl wie ein warmer, würziger Odem, der Einem entgegenzog und sogar die Eiszapfen zu schmelzen versuchte, die oberhalb der Ladenthür und Fenster hingen. Drinnen drängten sich auch förmlich die Käufer; selbst die Ladenstube war ausgeräumt worden und beinahe zu einem gaumenreizenden Kunstgewölbe umgestaltet – auch hier stand die kaufende Menge Kopf an Kopf gedrängt. Der stattliche Bäckermeister, der aus der daneben gelegenen Wohnstube durch’s Ladenfensterchen in den bunten Trubel hinübersah, strich sich auch immer von Neuem das Bürgermeisterkinn und schmunzelte gar vergnüglich – der Jahresabschluß versprach gut zu werden.

Stetig hatte sich das Geschäft gehoben, so klein es begonnen. Es sind just fünfundzwanzig Jahre, daß des Meisters seliger Alter mit Weib und Kind aus der Vorstadt draußen in das rauchgeschwärzte Haus an der Marktecke gezogen. Damals standen die Kunden in erster Morgenfrühe noch draußen auf der Straße unter dem braunen Wetterdache, und die Mutter reichte ihnen das frische Gebäck zum Fenster hinaus. Aber der auf den saubern Verkaufstisch hineinstiebende Schnee konnte unmöglich weißer und weicher sein, als die duftenden Semmeln des Bäckermeisters. Das hatten die Reichen der Stadt bald gemerkt und kamen jeden Morgen in den neuen Laden. Die Armen aber stellten sich von weit und breit ein, weil an dem auf dem ausgehangenen Zettel verzeichneten Gewichte niemals ein einziges Quent fehlte. Und so mehrte sich der Wohlstand langsam, aber sicher. Ohne Kampf freilich ist’s auch nicht abgegangen. Es gab eine böse Zeit, wo die rissigen altersgrauen Mauern des Hauses ungleich fester standen, als drinnen der Friede der Familie!

Es werden nun bald ein zwanzig Jährchen sein, da brannte es drinnen lichterloh – Vater und Sohn lagen mit einander in Hader und Streit. Der älteste Sohn und heimliche Liebling des Bäckermeisters sollte eine reiche Bürgerstochter freien, damit man die kostbare Schmeer- oder vielmehr Mehlgrube hier an der Marktecke käuflich erwerben könne; denn bisher hatte sie der Meister nur in Pacht gehabt. Dann wollte ihm der Vater das aufblühende Geschäft überlassen und sich mit der Mutter auf den Altentheil zurückziehen.

Aber der Wilhelm hatte von jeher seinen eigenen Kopf und ging seinen eigenen Weg. Die dunstige Backstube war ihm zu eng, und vor dem Backofen war es ihm zu heiß. Am liebsten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_857.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)