Seite:Die Gartenlaube (1881) 846.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Ach, der Onkel!“ fiel es Anne-Marie plötzlich ein.

„Sei ruhig, Kind, ich hoffe, es ist alles geordnet,“ versicherte Curt.

„Gott sei gelobt! – Curt, Du bist ja verwundet!“

„Schrammen – das hat nichts zu bedeuten. Nun da sehen Sie ein Brautpaar, Herr von Pannewitz.“

„Kinder, Kinder, wir haben lange gewußt, daß es so kommen würde; nun könnt Ihr Euch unsere Angst denken, daß einem von Euch etwas passiren möchte bei diesem schauderhaften Orkan. Ich pfeife auf alle Windbrüche, da ich Euch heil wieder habe und die Hülfsinstrumente dort unbenutzt wieder nach Branitz schicken kann. Und nun gratulire ich; Ihr habt’s Euch saurer werden lassen, als weiland ich und meine Alte.“

„Wie geht’s dem Onkel, Herr von Pannewitz?“

„Vorläufig denkt er an nichts, als an sein Anne-Marieken; meine Frauensleute haben ihn zu sich genommen und trösten ihn, was ein hartes Stück Arbeit sein wird. Na, na, und Ihr seid endlich so vernünftig geworden! Das wird wohl das einzige Vernünftige sein, was dieses sackermentsche Wetter angerichtet hat. Sie hat’s übrigens gehörig mitgenommen, Herr von Boddin, wie’s scheint –“

Ihr Hut wird sich inzwischen wohl auch mit dem meinigen verlobt haben, Herr von Pannewitz,“ lachte Curt.

„Und unser Anne-Mariechen wird bald wie ’ne Loreley aussehen; ja, Haarnadeln habe ich nicht mitgebracht. So ist’s recht – immer fallen lassen, was sich nicht halten läßt! Kind, was bist Du hübsch!“

Anne-Marie hatte ihrem schönen Haare erröthend die volle Freiheit gegeben, und Curt betrachtete sie mit heimlichem Entzücken.

„Ja, nun wird’s wohl das Beste sein, Ihr kommt gleich Beide mit zu dem Alten. Nun wird unser Anne-Mariechen wohl ihre ganze Macht üben, um ihn mit dem Friedensstörer da auszusöhnen, und der eclatante Abfall seiner besten und einzigen Verbündeten muß ihn mürbe machen.“

Es war ein mühsamer Weg bis Branitz. Grauenhafte Verwüstungen gab es da, und dieselben hatten zuweilen Hindernisse aufgethürmt und verstreut, die nur vermittelst equilibristischer Kunststückchen zu überwinden waren. Mehr als ein Dutzend Baumriesen versperrten den Pfad, und stellenweise mußten die Leute Aeste und Reisig wegräumen bevor Anne-Marie vorwärts schreiten konnte. Ganze Straßen hatte der Sturm in den Wald gerissen; ein großer Windbruch sah, mit den Erdmassen an den herausgekehrten Wurzeln und den tiefen gähnenden Höhlen darunter, wie ein Schlachtfeld aus, auf dem Riesen einen Kampf mit hundertjährigen Baumstämmen ausgefochten hatten. Herr von Pannewitz konnte einige Stoßseufzer bei solchen Bildern nicht unterdrücken, ohne indeß auf länger als ein paar Secunden seine gute Laune einzubüßen, Curt hob und trug die Geliebte, wo er irgend konnte.

„,Denkst Du daran‘ – und ‚Darf ich jetzt?‘“ fragte er neckend dazu. Und sie sah ihn mit liebem Lächeln an und nickte verständnißvoll.

Die Erlebnisse während des Sturmes wurden ausgetauscht. Anne-Marie war auf dem Platze von dem Unwetter überrascht worden, wo Curt sie gefunden. Seinen Ruf hatte sie gehört und in der That beantwortet, aber sich nicht von der Stelle gewagt; dann war der Baum neben ihr gefallen, und die Ohnmacht entzog sie wohlthätig allem Uebrigen bis zu seligem Erwachen. In Branitz hatte man in sicherer Stube die schreckliche Naturerscheinung vorüber ziehen lassen. Auf dem Hofe war, was nicht niet- und nagelfest, fortgeschleudert worden, bis es an Gebäuden den sichern Halt gefunden; ein paar Tränkeimer hatte der Wind hoch durch die Luft entführt und einen Knecht, den er im Gehen gepackt, ohne Gnade auf den Boden hingestreckt. Im Garten aber lag die ganze Orangerie, lagen die Oleander und Kirschlorbeer umgeschlagen und zumeist vernichtet am Boden; schwer war der Schaden an jungen Zierbäumen und auch der Park hatte gelitten; ein stürzender Baum hatte ein Stück des Eisengitters nach der Straße zu eingebrochen, und ein Schornstein, eine beträchtliche Anzahl Ziegel von den Dächern, ja, sogar ein ganzes ausgerissenes Fenster waren ihm an den Gebäuden zum Opfer gefallen.

Wie mochte es in dem offenen Pelchow aussehen, wo die Widerstandskraft der Baulichkeiten eine so zweifelhafte war? Die Männer sprachen mit schwerer Besorgniß davon.

An der Parkthür hielt Curt an.

(Schluß folgt.)

Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.
XXVIII.

Ich habe Ihnen, verehrte Freundin, in meinem letzten Briefe drei deutsche Romandichter vorgeführt, deren Physiognomien so verschiedenartig sind, wie dies mir bei Schriftstellern derselben Zeit und derselben Nation der Fall sein kann; ich will Sie heute auf drei lyrische oder lyrisch-epische Dichter aufmerksam machen, die ebenfalls keinerlei Familienähnlichkeit haben.

Es ist ja Weihnachtszeit, und wenn im deutschen Dichterwald soviel durch einander gezwitschert, gewirbelt und geschmettert wird, daß man es ganz verlernt hat, sich um den einzelnen Sänger zu kümmern so giebt es doch noch einen Baum, den die Weihe des deutschen Gemüthes geheiligt hat, sodaß man auf seine Sänger hört: es ist der Christbaum, und wenn ein solcher Sänger noch ein schmuckes, buntes Gefieder hat, so darf er in diesem bevorzugten Wunderbaume sein Nest bauen. Für das schmucke, bunte Gefieder der deutschen Lyriker sorgt aber der Buchhandel und die Buchbinderei mit den elegantesten farbigen, goldschimmernden Einbänden, und das leuchtet und funkelt, als wären es Kolibris und Paradiesvögel – und es sind doch nur unsere schlichten heimathlichen Sänger in dem Prunkgewande, wie es der kerzenhelle Christabend verlangt. Ihnen verehrte Freundin würden sie auch willkommen sein in ihren Alltagsumschlägen, wenn’s nur drinnen leuchtet und glänzt wie Zauberschimmer echter Poesie.

Da tritt zunächst vor Sie hin ein fahrender Gesell mit leichtgeschürzten Liedern; sein Name ist Rudolf Baumbach, und dieser Name hat in kurzer Zeit einen guten Klang gewonnen. Die Lieder sind klein, zart, niedlich; sie haben nicht nur artige Geberden und ein feines Mienenspiel, sie sind auch so zierlich gebaut und gegliedert, daß das Auge mit Wohlgefallen auf ihnen ruht. Da stört nirgends ein „zuviel“ das rechte Ebenmaß, keins dieser Lieder wächst unschön in die Länge; keins zeigt eine zu üppige Fülle; alle Bewegungen sind anmuthig und graziös, und was uns an ihnen erfreut, ist ihr niedliches Nippen vom Quell der Dichtung. Es ist Miniaturpoesie von der liebenswürdigsten Art. Ihr Grundzug ist ein schäkernder Volkston, aber oft weht ein Hauch sinniger Poesie darüber hin.

Rudolf Baumbach hat auch eine epische Dichtung verfaßt, eine Alpensage: „Zlatorog“, die jetzt in dritter Auflage vorliegt. Der Titel wird Sie fremdartig gemahnen, verehrte Freundin. Zlatorog ist ein wunderbarer Gemsbock mit goldenem Gehörn, der im besonderen Schutz der weißen Frauen steht, aber leider ist Zlatorog ein slovenischer Bock, und es will uns nicht gefallen daß diese Alpensage in ein slavisches Gewand gehüllt ist. Die Namen klingen doch gar zu barbarisch: die schönen weißgekleideten Frauen, die Schicksalsgöttinnen der Slovenen heißen Rojenice; es ist dies kein Wort, unter dem wir uns etwas Schönes und Verlockendes denken können; ein kleiner rauhhaariger Kobold heißt der Skoot, und so rauhhaarig gemahnen uns alle diese slovenischen Alpengötter und Alpengöttinnen, den goldhörnigen Bock mit eingeschlossen, welcher den Zaubergarten dieser Dichtung „auf dem Titelblatt“ bewacht.

Doch dies uns wenig sympathische Slaventhum, das dem Märchenstoffe anhaftet, ist auch das Einzige, was Sie, verehrte Freundin, an dem Gedicht aussetzen werden; desto sympathischer ist die dichterische Einkleidung, das landschaftliche Colorit: in der That, dieser Zlatorog trägt das Gold echter Poesie an seinen Hörnern. Mit diesen hat es eine eigentümliche Bewandtniß; es sind Zauberschlüssel, welche den großen im Bogatin tiefverborgenen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_846.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)