Seite:Die Gartenlaube (1881) 842.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

was aber läßt sich ein Edelmann nicht gefallen, und wenn er noch so’n alter Kerl ist – am wenigsten von so ’nem dummen grünen Jungen, wie Du bist –“

„Onkel!“ fuhr Curt auf und erhob sich finster.

„Gieb Dich nur, mein Sohn; Du sollt Deine Revanche haben, indem daß ich mich mit Dir schießen will; denn mit der Reitpeitsche kann ich nicht gegen Dich losgehen; Du bist zwar ’n ganz dummer Junge, aber Du bist zum wenigsten ein Boddin. Hast Du mich verstanden?“

Curt blickte sprachlos aus den alten Mann nieder. Es lag zuviel Ernstes in diesem elementaren Zorn und zuviel Charakter und Nerv in der Forderung, sich mit ihm zu duelliren, als daß er das Auftreten des Barons von der komischen Seite zu nehmen vermocht hätte, obwohl diese sich dem Auge fast unwiderstehlich aufdrängte. Auf der andern Seite aber: es war ja ein Ding der Unmöglichkeit, dem Verlangen des Erbitterten nachzugeben. Jede Faser in ihm sträubte sich gegen den Gedanken. Mochte der alte Mann ihn in dieser Stunde beleidigen! Er wollte so wenig an eine Genugthuung dafür denken, wie jener ein Recht an eine solche hatte, und er sprach das mit bewegter Stimme aus.

„Sie haben genau so viel Ursache, mir ein Duell aufzudrängen, wie Einer gegenüber dem Richter, der ihn wegen irgend eines Vergehens verurtheilt. Daß Sie mich beschimpfen, verzeihe ich dem Bruder meines Vaters, dem alten Mann und der Aufregung dieser Stunde. Seien Sie um Gotteswillen vernünftig, Onkel!“

„Du willst Dich nicht mit mir schießen?“

„Nein!“

Der Baron war dunkelroth im Gesicht; er taumelte und faßte nach einem Stuhl, sank indessen neben demselben zu Boden. Curt stürzte erschrocken zu einer Wassercaraffe; er schenkte ein Glas voll Wasser und trug es herzu, um ihm zu trinken zu geben; der Baron rührte sich nicht und biß die Zähne zusammen; kurz entschlossen goß sich jener die hohle Hand von und schüttete es auf den Kopf des alten Herrn, dem die Mütze entfallen war. Nachdem er das ein paarmal wiederholt hatte, fing der Baron an sich zu bewegen, richtete sich auf und nahm die Jockeymütze vom Boden.

„Du hast mich zum Spott für alle Leute gemacht, mein Sohn,“ waren die ersten Worte, die er mühsam fand, „und Du willst Dich nicht mit mir duelliren. Nun, daß Du’s weißt: ein alter Edelmann geht nicht mit Schimpf und Schande in der Welt herum und läßt mit Fingern auf sich weisen. Da muß ich sehen, wo’s ’nen Schuß für meinen alten Kopf giebt. Da grüß mal Deinen Vater und sag ihm: die Frucht, die er sich aufgezogen hätte, taugte den Teufel nichts, indem daß sie nicht mal so viel Muth hätte, sich mit ’nem alten Mann zu schießen; das wäre keine Edelmannsart; er soll sie nach Holland schicken, damit daß sie da einen Pfefferhandel anfängt. Adschüs, mein Sohn, und wenn Du mir ’nen Gefallen thun willst, dann bleibst Du von meiner Leiche weg, wenn sie mich begraben.“

Damit schwankte der Baron unsicheren Fußes zur Thür hinaus. Curt folgte in größter Aufregung; denn daß es diesem rabiaten alten Manne mit seinem Vorhaben Ernst war, ließ sich nicht bezweifeln. In sein Zimmer, wo er Waffen liegen hatte, durfte er auf keinen Fall gelangen.

Ein Blick in den Hausflur beruhigte Curt: der Beamte hatte sich vor den Eingang zu Anne-Marie’s Zimmer postirt. Der Baron starrte den Wächter des Gesetzes ein paar Secunden an und verließ dann plötzlich, Unverständliches murmelnd, das Haus.

„Er wird nach Branitz fahren und dort besänftigt werden. Die Medicin war stark, aber vielleicht hilft sie,“ sagte sich Curt, in die Stube zurückkehrend. Ihm war nicht wohl zu Muthe.

Draußen rollte ein Wagen ab. Die Hausthür wurde aufgerissen, und mit weit geöffneten Augen, völlig außer sich, stürzte Anne-Marie von Lebzow in das Zimmer.

„Um Gotteswillen, helfen Sie, retten Sie! Sie müssen nach Branitz, so schnell wie möglich. Onkel will sich erschießen; er will sich von Herrn von Pannewitz ein Pistol geben lassen – allmächtiger Gott, ich kann ihm ja nicht zuvorkommen, aber Sie! Sie haben ein Pferd – auf den Knieen flehe ich Sie an – Curt – Sie sind sein Neffe –“

„Curt,“ hatte sie gesagt. „Curt!“ Diesem Curt schoß es heiß durch die Adern. Da lag sie vor ihm am Boden; er schaute auf den blonden Kopf, auf die weiche, süße Gestalt; er trank in bebendem Rausch die Angstblicke der braunen Augen, den tiefen Metallton ihrer Worte, den Duft, das Knistern und Rauschen um sie – gewaltsam mußte er sich zusammennehmen; dies war nicht der Moment, um für sich zu sprechen. Nur wie ein rasch zerflatterndes Rauchwölkchen stieg für Secunden der Einfall in ihm auf, eine Bedingung zu stellen, die ihm das Seligste gesichert hätte – nein, nicht das Seligste: liebte sie ihn denn? Haßte sie ihn nicht vielmehr? War seine Gegenwart nicht eine Qual für sie? Er stand vor einer rohen Gewaltthat mit diesem Einfall.

„Stehen Sie auf, Cousine Lebzow!“ sagte er, und durch seine Stimme klang etwas von dem, was er fühlte, und als sie seine Hand annahm, um sich aufzurichten, hielt er sie einen Augenblick fest und preßte die Lippen darauf. „Ich wähle den Waldweg - der ist kürzer – und will reiten, als hätte ich die Absicht, mein Pferd zu Schanden zu jagen. A revoir!

„Liebster, Liebster!“ kam es von ihren Lippen, als er draußen war. Sie hielt die Hände gefaltet, indem sie zu dem Bilde über dem Schreibtische aufblickte, und in dem Klang dieser Worte sprach alles, was sie erschüttert hatte gestern und heute: Liebe, Angst, Sorge, Verzweiflung – ein Hülferuf der Liebe aus dem Vorhof der Hölle. Aber der Druck wollte nicht von ihr weichen. Der Onkel stand im Geiste wieder vor ihr, als er das Furchtbare vor sich hin sprach, indeß sie mit ihm den Wagen besteigen wollte. Sie hielt es nicht aus hier in der langen bangen Ungewißheit. Namenlose Unruhe erfaßt sie und trieb sie hinaus in den Hof, wo Curt auf dem mit einer Decke statt des Sattels versehenen Engländer, nur den Kappzaum in der Hand, rasch grüßend vorübersauste; ihr geängstigtes Herz trieb sie weiter, durch das Thor, auf den Weg nach Branitz. Sie schritt wie beflügelt. Vor dem Walde wandte der Reiter den Kopf und sah, daß sie ihm nachkam, auf demselben Wege, den er durchmessen. Dann tauchte er zwischen die Bäume, und die Staubwolke, die er zurückgelassen, senkte sich schwerfällig langsam in der dicken schwülen Luft des Tages zu Boden.

Barhäuptig kam er in Branitz an; ein Ast hatte ihn am Kopfe gestreift und ihm den Hut entrissen. Er konnte nicht mehr als eine Viertelstunde gebraucht haben; es war vollauf Zeit, Alles zu ordnen, ehe der Baron im Wagen anlangte.

Gott sei Dank: Herr von Pannewitz war daheim. Der Wagewächter am Thore, welcher ihm das schaumbedeckte Thier abnahm, versicherte es. Er kam ihm sogar in der Thür entgegen, heftig erschrocken – Fräulein Leonore hatte am Fenster die Ankunft Curt’s mit angesehen.

„Es ist doch kein Unglück geschehen in Pelchow? Oder ist Ihnen das Pferd durchgegangen, Herr von Boddin?“

„Keines von Beiden. Kommen Sie in Ihr Zimmer hinaus! Ich muß in aller Eile ein paar Worte mit Ihnen reden. Es gilt, ein Unglück abzuwenden.“

Curt wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er konnte sogar lächeln, als er sagte, daß ein tückischer Ast ihn um seine Kopfbedeckung gebracht und daß er wohl eine aus dem Vorrathe des Herrn von Pannewitz werde erbitten müssen. Oben standen die Damen die er höflich begrüßte.

„Ohne Sorge, meine Damen! Es ist nichts Schlimmes geschehen und wird auch, so Gott will, nichts geschehen.“

„Geht hinein, Kinder! Wir kommen nachher zu Euch.“ Der junge Mann war bald mit seinem Berichte fertig, und der Andere athmete erleichtert auf

„Das ist doch ein alter Donnerskerl. Er hätte sich wahrhaftig erschossen, wenn er gleich etwas zum Schießen gehabt hätte, und ich werde hier höllisch aufpassen müssen. Wenn wir ihn nicht aussöhnen können, bringen wir ihm die Idee nicht aus dem Kopfe; da kenne ich ihn zu gut. Na, vorläufig will ich wohl sorgen, daß er nichts anrichten kann. Aber Sie darf er nicht hier finden, wenn er kommt; er würde Kehrt machen und anderwärts einsprechen, und dann steht Alles aus dem Spiel.“

„Ich will und muß auch fort,“ sagte Curt entschlossen. „Ich muß Cousine Lebzow entgegen gehen, welche durch den Wald nachkommt; ich muß sie beruhigen. Sie darf sich keine Minute länger ängstigen. Wollen Sie mir einen Hut leihen, Herr von Pannewitz, und mich einstweilen bei den Damen entschuldigen?“

Herr von Pannewitz zog nachdenklich den Schlüssel zum Gewehrschranke ab.

„Ich werde Ihnen den Schlüssel zur Parkthür geben. Sie

gehen hinaus und halten sich da immer rechts; da kommen Sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_842.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)