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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 51.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Die Unruhe des alten Herrn mehrte sich unterwegs. Er trieb Jochen wiederholt zur Eile an, fragte auch, ob dieser wohl glaube, daß „der auf Pelchow“ in seiner Abwesenheit sich in seine Stube gewagt habe? Er erhielt aber nur ein Achselzucken als Antwort; denn Jochen war eben beschäftigt, die riesigen gewitterhaften Wolkenballen zu mustern, welche sich so schnell durch den Himmel wälzten, während in der Schwüle unten kein Lüftchen sich regte. Plötzlich zeigte er mit der Peitsche hinauf.

„Das bedeutet was, Herr! Ein schweres Wetter.“

In der Nähe von Pelchow legte der alte Baron die Hand über die Augen und spähte geradeaus; am Dorfausgange war eine helle Frauengestalt sichtbar.

„Jochen, ist das nicht Anne-Marieken? Im bloßen Kopf?“

„Das soll wohl sein.“

„Was hat das Kind da zu stehen?“ murmelte er.

Anne-Marie kam ihnen entgegen geschritten.

„Onkel, mache Dich darauf gefaßt: es sind zwei Beamte vom Gericht da,“ sagte sie verstört. „Mein Gott, sie werden Dich doch nicht festnehmen? Ich bin in Todesangst und warte schon lange auf Dich.“

„Das sollen sie wohl bleiben lassen, mein Anne-Marieken; da sei nur ganz ruhig!“

„Ach, Onkel, thue doch nichts, was Dich mit ihnen in Streit bringt! Wir wollen lieber von hier fortziehen und irgendwo in Frieden weiter leben. Du wirst so leicht heftig.“

Der Baron besann sich.

„Weißt Du was, Döchting? Du könntest Dir den Spaß machen und gleich so, wie Du bist, nach Branitz fahren. Ich will nur zu Fuß auf das Gut gehen. So’ne Geschichte ist nichts für Frauensleute.“

„Nein – nein,“ wehrte sie angstvoll ab. „Ich verlasse Dich nicht, Onkel; ich könnte die Ungewißheit nicht ertragen – lieber will ich das Schrecklichste mit ansehen.“

„Na, dann will ich Dir was sagen: dann geh’ mal neben her! Wir wollen langsam fahren. Hast Du gehört, Jochen?“

„Ja, Herr!“

Der Baron erkundigte sich unterwegs genauer nach dem, was seiner wartete; Anne-Marie aber wußte nicht viel mehr, als die schon berichtete Thatsache. Endlich lenkten sie durch das Thor in den Gutshof. Dort kam der Mann mit dem Blechschilde auf der Brust am Hause her und blickte den Dreien entgegen. Scheinbar unbekümmert um ihn stieg der Baron vom Wagen.

„Jochen, spann mal noch nicht aus!“

Damit ging er neben Anne-Marie zu seinem Fenster hin. Vor dem Fenster aber hielt ruhig der Beamte.

„Na? Wollen Sie mich nicht ’rein lassen?“

Das graurothe Gesicht des alten Herrn spielte in hundert Falten kaum verhaltenen Ingrimms.

„Ich bedaure, Herr Baron“ – der Mann legte militärisch höflich die Hand an die Mütze – „ich bin leider beauftragt, Sie am Eintreten zu verhindern.“

„Was? Ich soll nicht in mein eigenes Zimmer gehen dürfen? Du bist wohl ungesund, mein Sohn?“

Der Beamte zuckte die Achseln.

„Wenn Sie die Güte haben wollten, Jemand mit Ausräumung des Zimmers zu betrauen –“

„Ich pruste auf Dich, Du Affe –“ rief der alte Herr in maßloser Wuth; da trat Anne-Marie plötzlich zwischen die Männer und hob flehend die Hände auf.

„Onkel, bedenke was Du thust! Der Mann ist ein Beamter –“

Einen Fluch auf den Lippen, schoß der Baron an der jungen Dame vorüber und zur Eingangsthür hin. Sie war verschlossen. Der Wüthende trat mit dem Stiefelabsatz dagegen, daß der Sporn klirrte; dann machte er Kehrt, rannte wieder vorbei, um das Haus herum und nach der entgegensetzten Eingangsthür. Auch da ein Beamter! Er ballte die Fäuste, und plötzlich lief er in den Garten. Ein triumphirendes, giftiges Lachen verkündigte, daß er ein Fenster des Speisezimmers offen gefunden.

„Verdammte Pogge, jetzt will ich mal ein Wort als Edelmann mit Dir reden.“

Curt saß tief bekümmert, aber gefaßt vor seinem Schreibtische. Er hatte das deutliche Gefühl der Nothwendigkeit des gethanen Schrittes und hoffte zuversichtlich, jetzt entweder den Alten zu zähmen, oder jede weitere Berührung mit ihm abgeschnitten zu haben. Ein armseliges vergessenes Fenster zerstörte seine ganze Berechnung. Er horchte auf: die Thür des Speisezimmers flog in’s Schloß; es kam herüber; auch seine Thür wurde aufgerissen, und herein trat, vor Wuth bebend, der alte Baron.

„So, mein Sohn, da bin ich, und nun will ich Dir mal was klar machen. Siehst Du, ich bin ein pommerscher Edelmann, und Du auch, und Du, mein Sohn, hast mich wie ’nen räudigen Hund aus meinem eigenen Hofe geworfen und mir zwei solche Kerle hergestellt, daß sie mich draußen halten sollen. So

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_841.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)