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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Terrain emporgebrachte Erdmasse auf im Durchschnitt zehn Tonnen (= 10,516 Kilogramm) für den Acre (=0,4 Hektar). Eine englische Dame, die sich für diese Frage interessirte, scheuete die Mühe nicht, diese Auswürfe von einer verhältnißmäßig wenig von Regenwürmern besuchten Terrasse einzusammeln und erhielt soviel, daß die Menge auf den Acre berechnet 7,56 Tonnen staubtrockener Masse ergeben würde. Aber Darwin beobachtete auch Terrains, bei denen sich dieses Quantum auf achtzehn Tonnen abschätzen ließ.

Für den Archäologen gewährt es ein nicht unbedeutendes Interesse, zu verfolgen, wie unter dieser gleichmäßigen Decke seiner Erde nicht nur die kleineren Steine, sondern auch allerlei verlorene Gegenstände: Münzen, Schmucksachen, Waffen. Werkzeuge aus Stein und Bronze, begraben und, sofern sie nicht zum Rosten neigen, auf diese Weise für die Nachwelt erhalten werden. In der That sind die Archäologen und prähistorischen Forscher in dieser Beziehung ebenso wie die Landwirthe den Würmern zu Dank verpflichtet und nicht weniger die Architekten, die ihnen die Erhaltung manches alten, mit Erde bedeckten Monumentes und namentlich vieler alten kunstvollen Steinfußböden verdanken. Die Regenwürmer durchbohren nicht nur die Erde, sondern selbst den Mörtel alter Bauten, wie wir zuweilen in unsern Kellern wahrnehmen können, und in verlassenen Bauten kommen sie allmählich aus allen Fugen der Böden empor und bedenken dieselben mehr und mehr mit ihren Auswürfen.

Von seinen Söhnen unterstützt, hat Darwin diesen Vorgang in vielen alten Abteien und an den wohlerhaltenen eleganten Steinfußböden neuentdeckter römischer Villen studirt. Die Regenwürmer bringen durch ihre Minirarbeit übrigens auch einzelne Mauern zum Sinken, wenn die Fundamente derselben nicht tief genug hinabgehen, wie man alle Tage an schlechtfundirten Gartenmauern sehen kann. Da die Regenwurmgänge in der Regel nicht über sechs, nur in seltenen Fällen bis auf acht Fuß hinabgehen, so sind gut fundamentirte Mauern vor ihrer Unterwühlung sicher, und darum zeigen Steinfußböden eine ungleiche, meist in der Mitte stärkere Senkung, weil die Regenwürmer den Boden in der Mitte am meisten, in der Nähe der Mauern weniger stark unterminirt haben. Da ihre Gänge meist fast senkrecht oder doch nur wenig schief hinabgehen, so sind größere Steinblöcke und Monumente einigermaßen vor ihrer unterminirenden und versenkenden Thätigkeit geschützt.

Zum Schluß müssen wir noch einen Blick aus die sehr wichtige geologische Wirksamkeit der Regenwürmer werfen, die sich in wenig von einander abweichenden Formen über alle Erdtheile verbreitet haben. Ihre losen Auswürfe bilden nämlich auf mit Vegetation bedeckten Flächen und unter feuchten Himmelsstrichen beinahe die einzige bewegliche Bodensubstanz, die zu kleinen Ballen zerkrümelt, von den herrschenden Winden verweht oder auf geneigten Flächen vom Regen beständig herniedergewaschen werden kann. Wenn auch nur ein kleiner Theil der eine Dicke von 0,2 Zoll erreichenden Schicht seiner Erde, die alljährlich in England diese Würmer an die Oberfläche bringen, von den Winden verweht und vom Regen abwärts gespult wird, so sieht man doch leicht ein, daß diese beständig dem Thale und durch die Wasserläufe dem Meere zugeführten Erdmassen im Laufe der Jahrhunderte sehr beträchtlich anwachsen müssen, und es ist keineswegs übertrieben, wenn Darwin sagt, daß die unser Auge durch ihre Weichheit entzückenden, abgerundeten Formen, welche Berg und Thal in fruchtbaren Landstrecken zeigen, zum guten Theile das Werk der Regenwürmer seien. Zugleich verhüten sie, indem sie die oberste Schicht locker und beweglich erhalten, eine allzugroße Ansammlung von Ackererde über dem natürlichen Felsenboden, und das ist insofern wichtig, als dadurch die Felsoberfläche beständig der Einwirkung der Humussäuren und der Erdwürmer zugänglich erhalten wird. Dadurch werden immer neue Massen des Felsbodens abgenagt und der Ackererde von unten her zugeführt, sodaß der Gehalt derselben an mineralischen Bestandteilen, den die Würmer außerdem durch Zerreiben der Steinfragmente in ihren Kröpfen erhöhen, beständig erneuert wird. So erheben sich diese verachteten Thiere trotz ihrer Kleinheit vor den Blicken des englischen Forschers zum Range höchst nützlicher Geschöpfe.

Carus Sterne.




Blätter und Blüthen.


„Ein treuer Freund der Freiheit und der ‚Gartenlaube‘.“ So überschrieben wir den Artikel, mit welchem wir (in Nr. 27 des Jahrgangs 1865) den als politischen Märtyrer und anregenden Erzähler gleich hochgeachteten Jodocus (Donatus Hubertus) Temme unsern Lesern in Wort und Bild darstellten. Seit dem 14. November gehört er nun zu denjenigen Todten, die wir ewig verehren werden.

J. D. H. Temme ist bis zu seinem letzten Hauche geblieben, was er durch dreiunddreißig Jahre im Dienst der preußischen Justiz, auch fast dreißig Jahre im Dienst seiner Wissenschaft in der Schweiz und mehr als sechszig Jahre im freien Dienst für Recht und Freiheit, Geistes- und Herzensbildung des deutschen Volkes war: ein unerschütterlich fester Mann, ein unantastbarer Charakter.

Da schon sechszehn Jahre verflossen sind, seit die „Gartenlaube“ Temme’s Lebensbild gebracht, so müssen wir wohl mit einigen Andeutungen heute an die Schicksale dieses angezeichneten Mannes erinnern.

In dem politischen Strafverfahren gegen Temme geschah es, daß der stolze altpreußische Spruch: „Es giebt noch Richter in Berlin“, schmählich zu Grunde ging. Temme war selbst ein so ausgezeichneter Jurist, daß man ihn, seit er nach seiner dritten juridischen Prüfung 1832 sein Beamten-Wanderleben begann, beinahe regelmäßig von zwei zu zwei Jahren in immer schwierigere Aemter beförderte, die jedes Mal, wie der Justizminister Mühler selbst bemerkte, besondere Rechtskenntniß, Energie, Fleiß und Eifer erforderten, bis man ihn 1848 als Staatsanwalt an das Criminalgericht nach Berlin berief. In dieser Stellung mußte er es erleben, daß preußische Richter ihn wegen seiner politischen Gesinnung verurtheilten, weil er es gewagt hatte, neben seiner Amtspflicht auch seine Bürgerpflicht zu wahren.

Die einst so hoch in der Volksachtung stehenden Richter mußten sich in den Dienst des herrschenden Systems fügen; preußische Justizcollegien denuncirten ihre eigenen freisinnigen Präsidenten, und so wurde auch Temme, den man zum Director des Oberlandsgerichts in Münster ernannt hatte, von diesem, seinem eigenen Gericht des Hochverraths angeklagt und in eine Zuchthauszelle gefangen gesetzt, die vor ihm fünf gemeine Verbrecher beherbergt hatte. Noch dreimal traf ihn, in Folge seiner parlamentarischen Thätigkeit. dasselbe Loos, bis das Obertribunal zu Berlin das Ungeheuerliche vermochte, durch Rückanwendung eines späteren Strafgesetzes auf Temme den verhaßten Mann für immer und ohne Pensionsansprüche aus dem Staatsdienst zu entfernen. Das gehört zu den schwärzesten Reactionsblättern der preußischen Justizgeschichte. Und als nun Temme durch die Redaction der neuen „Oderzeitung“ seine Familie in Breslau zu erhalten suchte, verbitterte ihm die Polizei das Leben derart, daß er den Ruf als Professor des Criminal- und Civilprocesses nach Zürich mit Freuden begrüßte. Dort gründete er 1852 seine zweite Heimath.

Temme war an Geist und Körper eine hohe, edle, vornehme Erscheinung und vereinigte in sich die Tapferkeit des Helden mit dem feinfühlenden Herzen für Alles, was sich seiner Liebe würdig zeigte. Er war das würdigste, treueste Haupt seiner Familie, dessen Himmel vor drei Jahren nur durch den Tod der Gattin Temme’s getrübt wurde, und gleiche Liebe hegte er für sein deutsches Volk: er verfocht nicht nur als Demokrat im Geiste Uhland’s des Volkes Recht und Freiheit, er sammelte zugleich auf seinen vielen Wanderungen die schönsten Schätze des Volksherzens in den Sagen und Geschichten Westfalens, Preußens und Litthauens, Pommerns, der Altmark und der Insel Rügen und wurde dadurch hingeleitet, neben seinen zahlreichen ernsten juristischen Werken jene Reihe von Erzählungen zu schaffen, deren viele auch unsere „Gartenlaube“ schmückten. Das Volk wird stets sich dieser Gaben mit Dankbarkeit erinnern; denn – so schließen wir mit Temme’s Lebensbild von 1865 – es fühlt dabei, daß aus diesen Einer spricht, der mit ihm gelitten und gestritten hat.




Mutterfreuden. (Abbildung S. 813.) Robert Beyschlag’s heute von uns reproducirtes hübsches Bild erklärt sich selbst. Wir beschränken uns deshalb darauf. aus dem Leben des Künstlers Folgendes mitzutheilen: Beyschlag gehört zu den hervorragendsten Genremalern Münchens und hat sich namentlich durch seine anmuthigen Darstellungen weiblicher Gestalten wohlverdienten Ruf erworben. Er ist 1838 in Nördlingen geboren und machte seine Studien in München und Paris. Kinderbilder gelingen ihm vortrefflich. Unsere Leser werden sich gern seiner Bilder „Zwei Hasen“ (1871, S. 549), „Im Walde“ (1874, S. 439), und „Mutterfreude“ (1878, S. 812) erinnern, von seinen übrigen Leistungen zu schweigen.




Allgemeine Geschichte der Literatur von Johannes Scherr. Das geistvolle Werk unseres verehrten Mitarbeiters ist längst ein Eigenthum der Nation, denn fünf starke Auflagen desselben sind in den Händen der deutschen und außerdeutschen Lesewelt. Wenn wir entgegen unserer Gewohnheit, nur neue Erscheinungen des wissenschaftlichen Büchermarktes in den Bereich der Betrachtung zu ziehen, heute trotzdem auf diese jüngsthin in sechster Auflage erschienene Literaturgeschichte hinweisen. so geschieht es in Anbetracht ihres außergewöhnlichen Werthes und der Seltenheit ihres Genres. Es ist in der That eine staunenswerthe Summe des Fleißes und Wissens, des Sammelns und Sichtens, des Gruppirens und Gestaltens, vor Allem aber des allseitig geschulten Urtheils in Gesinnung und Geschmack, die hier niedergelegt ist. In zwei mittelstarken Bänden eine erschöpfende, durchaus nicht lückenhafte Geschichte der Literaturen

aller Völker von den ältesten Zeiten an bis auf unsere Tage zu geben – man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_823.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)