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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die beiden Schwestern des Quintus Claudius, so niedlich die muntere Lucina gezeichnet ist, sind etwas schablonenhaft gehalten und flößen kein tieferes Interesse ein; dagegen hat der Charakter der Cäsarin Domitia, sowie derjenige ihres Majordomus Stephanus dämonische Züge; leider erlischt der erstere zu sehr gegen den Schluß hin. Im Ganzen gewinnt der Roman in der zweiten Hälfte wesentlich an Spannung, die sich besonders nach dem Ende zu steigert, während früher die culturgeschichtlichen Schilderungen oft mit einer Breite, die sie fast als Selbstzweck erscheinen lassen, ausgeführt sind.

Ernst Eckstein ist ein hervorragender Stilist; das Stilgepräge des Romans ist durchweg correct und vornehm. Mit großer Anschaulichkeit sind die Volksbilder ausgeführt, während die Beleuchtung, in welche das fashionable Bad Bajae gerückt wird, sehr stimmungsvoll ist; die Schilderungen aus Rom sind durchaus lebendig, nur hier und dort von zu großer topographischer Genauigkeit; auch die Marienbilder müssen als wohlgelungen bezeichnet werden; ebenso diejenigen aus dem häuslichen Leben, obschon man hier und dort allzulebhaft an die Capitel des Gallus erinnert wird. Glanzpunkte des Romans sind die Scenen im Isis-Tempel, mit denen dem „ägyptischen Geschmack“ ein kleines Zugeständniß gemacht wird, und diejenigen im Circus, die freilich zum Theil in’s wild Grausame übergehen. Sie werden, verehrte Freundin, dem Darstellungstalent des Dichters warme Anerkennung schenken.

Wenn Sie sich aber aus dem römischen Alterthum der Gegenwart zuwenden wollen, so werden Sie, durch den Namen des Autors angelockt, gewiß zuerst Friedrich Spielhagen’s „Angela“ zur Hand nehmen. Sie lieben ganz wie ich diesen geistreichen Autor, der soviel Feuer in seinen Schilderungen, soviel Feinheit in seinen psychologischen Entwicklungen besitzt und, wo er ein größeres Zeitgemälde entwirft, wie in „Sturmfluth“, einen von bedeutenden Gedanken getragenen architektonischen Aufbau abzuführen versteht. Gleichwohl wird Sie „Angela“ kaum so befriedigen, wie viele früheren Romane des Autors: in dieser Erzählung ist ein erhitzter Pulsschlag, eine fast durchgängige Exaltation der Schilderung. Auch der Stil wird davon beeinflußt; denn ihm fehlt oft die epische Ruhe; die häufigen Ineinanderschachtelungen und Einklammerungen beweisen, daß er zersetzt ist durch die Aufgeregtheit der Darstellung. Einige der Charaktere haben einen grotesken Zug, so die Lady Bellycastle mit ihrem riesigen Fächer und Lexma, dieser Schatten von einem Menschen; beide haben die Erinnerung an eine dunkle, verbrecherische Lebensepoche gemein und sterben in dem Roman rasch nach einander. Und Angela selbst, werden Sie fragen, verehrte Freundin? Was ist’s mit dieser Heldin? Nun, sie ist eine Gouvernante zu Pferd, eine junge Dame, welche als Gesellschafterin in Irland etwas von high-life profitirt und in der Reitkunst besonders gründliche Studien gemacht hat. Ihr Herz gehört einem verheiratheten Maler Namens Arnold, mit dem sie früher ein Liebesverhältniß hatte. Sie treffen sich wieder am Ufer des Genfersees, und die alte Leidenschaft flammt wieder empor: Angela entschließt sich, den Sohn der Lady Bellycastle zu heirathen, der weit hergekommen ist, um sie wiederzufinden, nachdem sie aus Irland spurlos verschwunden war, um seiner Bewerbung zu entgehen; die Mutter aber haßt Angela und will den Sohn enterben, dessen wirklicher Vater jener schattenhafte Brasilianer ist.

Das ist die schwüle Atmosphäre der Situation, welche die Blüthenkelche großer Leidenschaften erschließt und die Wellenschläge einer tragischen Katastrophe entfesselt. Der psychologisch nicht ohne Feinheit durchgeführte Kampf im Herzen Angela’s bildet den eigentlichen Angelpunkt des Romans: der Ausgang ist ein trauriger. Angela sucht den Tod und findet ihn, indem sie einem Kinde bei dem Durchbruch unterwühlender Fluthen des Sees das Leben rettet. Das Schlußtableau erinnert etwas an die „Sturmfluth“; es zeigt große Genauigkeit der Schilderung, leidet aber unter den Kunstausdrücken der Bautechnik, wie „Futterungsmauer“ und „Brüstungsmauer“, die dem Uneingeweihten kein anschauliches Bild geben, und den Stil mit prosaischen Wendungen beschweren.

Wohl zeigt sich das eigenartige Talent des Autors in den leidenschaftlichen Pulsen der Handlung und in den prächtigen Naturbildern des Genfer Sees, die mit großem poetischem Zauber gezeichnet sind. Daneben geht aber das Groteske, das einen reinen ästhetischen Genuß ausschließt, und das Triviale: die eingehenden Schilderungen des Schweizer Hôtellebens, die beiden Gouvernanten mit ihrem abschreckenden Charakter und vieles sehr prosaische und zum Theil überflüssige Detail. Grelle Sensationsbilder, durch welche die halbverrückte Lady, die anfangs mehr als eine Lustspielcharge erscheint, sich in eine Gattenmörderin und eine hochtragische Person verwandelt, häufen sich besonders gegen den Schluß hin, und auch an anstößigen Situationen fehlt es nicht welche überdies gesucht und wenig motivirt erscheinen, wie die Toilettenscene zwischen Nanny und Angela, in deren Raffinement man den Einfluß der neuesten französischen Autoren zu erkennen glaubt. Der Roman, verehrte Freundin, hat, wie Sie finden werden, etwas Forcirtes; der ruhige, epische Stil zittert hin und her in einer, ich möchte sagen, bisweilen gallertartigen Bewegung; nirgends überzeugt uns eine stillwaltende Nothwendigkeit; wir sehen überall nur die Willkür des Dichters.

Einen sehr ruhigen, epischen Fortgang hat dagegen der neueste Roman Robert Schweichel’s: „Der Falkner von St. Vigil“. Sie kennen gewiß den „Bildhauer vom Achensee“, das frühere Hauptwerk dieses vom Ufer des Pregels stammenden Autors, dessen Muse am liebsten mit dem Alpenstocke in’s Hochgebirge wandert, mit frischem Sinn und offenem Auge. Die Localitäten, in denen die Handlung spielt, schildert Schweichel mit einer Genauigkeit, die vielleicht anfangs oft zu breit erscheinen mag; doch man begreift allmählich die Vorzüge derselben, da sie der Handlung die solideste Grundlage giebt. Es ist gleichsam die topographische Abnahme, welche alle Bewegungen der Truppen verständlich macht. Hierzu kommt das Anheimelnde, das stets durch lange Gewöhnung hervorgerufen wird; wie mit den Oertlichkeiten werden nur mit allen Personen so vertraut, daß unser Interesse für ihr Schicksal wächst. Freilich, für ungeduldige Leser ist solche Darstellungsweise wenig genug wert, aber sie hat viele Vorzüge des epischen Stils.

Den Hintergrund der Handlung bildet der Aufstand der Tiroler gegen das baierische Regiment, welches sie besonders in ihrem Glauben kränkte, doch obgleich uns schon die Introductionsscene Kämpfe zwischen den Baiern und Tirolern zeigt, so bleibt doch die bei weitem größere Hälfte des Werkes innerhalb des Rahmens dorfgeschichtlicher Familienbilder. Erst dann zeigen sich Hofer, Speckbacher und andere Führer, und in die stillen Alpenthäler tritt historische Bewegung. Vorher sehen wir nur, wie der baierische Druck besonders auf dem Clerus lastet, wie aufgeklärte Beamte mit durchgreifender Energie gegen die aufsätzigen Geistlichen vorgehen, wie dagegen der Volkshaß sich gegen die im Dorfe lebenden Baiern wendet, wie gegen den Schmied Wolf, den Bräutigam der Tochter des Klosterbauers, obschon dieser, eine jener schroffen, energischen Figuren, wie sie in den Dorfgeschichten beliebt sind, zu dem Ehebande durchaus nicht seine Zustimmung geben will.

Der eigentliche Held des Romans ist Ambros, der junge Falkner von St. Vigil, eine feurige, leidenschaftliche Natur. Er heiratet gegen den Willen des Vaters, doch ist er in seiner Ehe nicht glücklich und liebt die schöne Müllerin Afra, die Frau eines alten Mannes, und erschlägt später ihren Stiefsohn Jerg, das böse Princip im Thal von St. Vigil; denn er sitzt im Rathe der Spötter und erbittert alle gegen sich, indem er mit ebenso scharfem Verstand, wie liebloser Gesinnung ihre Schwäche aufdeckt und verhöhnt. Nur der Heldenmut, den Ambros im Kampfe bewährt söhnt uns mit den Irrungen seines ungezügelten Temperamentes aus.

Der Roman, verehrte Freundin, enthält nicht nur anmuthende Bilder aus dem Tiroler Volksleben, sondern auch ebenso anschaulicht wie stimmungsvoll bewegte Landschaftsbilder aus dem Hochgebirge. Der Stil ist schlicht, tüchtig und markig, während die Entwickelung der Haupthandlung allerdings hier und dort etwas verschleppt erscheint durch das allzu große Behagen der epischen Muse.

Sie sehen, wie wenig unserer modernen Romandichtung der Vorwurf der Einförmigkeit gemacht werde darf. Die drei Romane, über die ich mich mit Ihnen unterhielt, sind grundverschieden in Bezug auf ihre ganze Physiognomie: zuerst ein Römerroman mit antiker Toga, mit den grellen Situationsbildern der Kaiserzeit reich ausgestattet, aber von durchweg edler, stilvoller Handlung; dann ein moderner fashionabler Roman, der in einem internationalen

Schweizer Hôtel spielt, oft von hinreißender Leidenschaftlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_819.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)