Seite:Die Gartenlaube (1881) 816.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

hatte, sondern noch besonders die auf der Pflege eines engherzigen Particularismus gegründete Abneigung der Münchener Kreise gegen die geistige Fremdencolonie, die ein hochdenkender König in dem Athen der Isar um sich gesammelt hatte. Sein vorwärts strebender Geist brach auch diese Fessel und ließ ihn eine dritte Heimath suchen in einem Lande, in dem von jeher eine frische, freie Lust geweht hatte, in Baden.

Mit dieser Uebersiedlung nach Heidelberg beginnt die schaffensreichste Epoche in Bluntschli’s Leben, die gewaltige Entfaltung der Schwingen seiner reichen Thatkraft in’s Hohe, Mächtige, Weite. Freilich nahm die politische Entwickelung von da ab bei uns überhaupt einen neuen gewaltigen Flug. Aber Bluntschli faßte nicht blos auf jeder Etappe dieses freien Emporstiegs Posten; er war es selbst auch, der oft den ersten kühnen Schritt zu einem Neuen Vorwärts that. So regte er, Pfingsten 1861, die Gründung des deutschen Abgeordnetentags mit an, der dazu auserlesen war, in den zerstreuten deutschen Kammern eine gemeinsame Verständigung über die zeitbewegenden Fragen und eine einheitliche Behandlung derselben herbeizuführen und somit den Mangel eines deutschen Parlaments gewissermaßen künstlich zu ersetzen. So nahm er Theil an dem Ausschusse der Sechsunddreißig, der es sich zum Ziele gesetzt hatte, die Sache Schleswig-Holsteins gegenüber der hemmenden Eifersucht der deutschen Großmächte, der Ohnmacht des Bundes und der Schlauheit der dänischen Regierung im Wege der gesetzlichen Agitation zu Gunsten des „verlassenen Bruderstammes“ zu verfechten. So war er in gleicher Weise mit thätig bei der Gründung des „Nationalvereins“, der sich mit Förderung der „deutschen Frage“ beschäftigte. Seine hohe amtliche Stellung hatte ihm die Mitgliedschaft der ersten badischen Kammer zugeführt, und auch in diese stillstehenden Elemente trug er neues Leben hinein. Er brachte Anträge auf zeitgemäße Reform dort ein, welche die Kammer nach längerer Berathung in ihren Grundsätzen annahm. Es geschah somit das in der Geschichte des parlamentarischen Lebens fast Unerhörte, daß eine aristokratisch gegliederte, auf ein eisernes Personeninventar gestützte Körperschaft ohne Antrag der Regierung oder eine Nöthigung vom Volke her sich zeitgemäß selbst reformirte. Endlich kam Bluntschli im Jahre 1867 durch die Wahl des Kreises Bretten-Sinsheim in’s Zollparlament. Mitglied des deutschen Parlaments ist er nicht geworden.

Die Pflege der mannigfachen andern Interessen, die sein Leben erfüllten, mag ihn wohl von der Bewerbung um einen Sitz im Reichstage abgehalten haben. Den im Reichstage discutirten Fragen trat aber Bluntschli, besonders soweit sie sich auf den von ihm beherrschten Gebieten der Religions- und Rechtsfragen bewegten, auf literarischem Wege näher, und insoweit war er vielfach, wenn auch nicht ein stimmführendes, so doch ein mit berathendes Mitglied.

Wenn er mit ihr auch nicht den anfangs beabsichtigten Lebensbund schloß, die Theologie ist Bluntschli doch niemals ganz los geworden. Er hat sich auf ihrem Terrain sogar mit weit mehr Klarheit und Sicherheit bewegt als auf dem der Politik. Die philosophische Schule, durch die er schon früh gegangen, und sein klarer, durch die Lehren der Rechtswissenschaft noch logisch geschärfter und dialektisch geschulter Geist haben seine religiösen Anschauungen vor Einseitigkeit und Verdüsterung bewahrt. Seine Weise, Alles was er innerlich verarbeitet hatte, auch nach außen hin und zwar nicht blos in Schrift, sondern auch in fruchtbringende That umzusetzen, schaffte sich auch hier Geltung. Schon in der Schweiz war er bemüht gewesen, den confessionellen Hader, der sein Vaterland durchtobte, durch eine zeitgemäße Bundesreform zu ertödten, und als die Berufung der Jesuiten alle Vermittelungsversuche zu vereiteln drohte, wandte er seinen ganzen Einfluß daran, die Rücknahme des Berufungsbeschlusses zu erreichen. Er, der Protestant, ging sogar soweit, in einem Briefe unmittelbar vom Papst Pius dem Neunten die Abberufung der staatsgefährlichen Körperschaft zu erbitten – natürlich ohne Erfolg!

Und als sich nach Beendigung des deutsch-französischen Krieges die deutsche Regierung vor dieselbe Frage gestellt sah, nahm er auch den Kampf gegen die alten Feinde des staatlichen und nationalen Lebens wieder auf. Damals schrieb er in einer Broschüre aus der Sammlung der Virchow-Holtzendorff’schen Zeit- und Streitschriften: „Wir verlangen also, daß das Urtheil der Weltgeschichte an dem Jesuitenorden vollzogen und daß die Nation von demselben befreit werde. Wir verlangen das im Namen der bürgerlichen Freiheit und der nationalen Geistesfreiheit, der sittlichen Weltordnung und des natürlichen Rechts, im Interesse des confessionellen Friedens und um der Einheit, Macht und Herrlichkeit des deutschen Reiches willen.“

Energisch verwahrte er sich gegen den von der Kirche vollzogenen Raub der Erkenntniß, welche die moderne Wissenschaft dem menschlichen Geiste gebracht hatte, und hob die geistige Ueberlegenheit der Wissenschaft über die kirchliche Tradition und die Ueberlegenheit des heutigen Staates über die mittelalterliche Kirche hervor. „Der wissenschaftliche Mensch von heute,“ schrieb er einst, „schaut von der sonnenbeglänzten Höhe eines Berggipfels herab auf die dunklen nebelumhüllten Schluchten, in denen der römische Clerus von seiner Größe träumt.“ Weit davon entfernt, sich von der Kirche loszusagen, verlangte er nur, daß dieselbe die Resultate der wissenschaftlichen Forschung anerkenne und mit ihnen rechne. Dies wurde für ihn Veranlassung, die Stiftung des „Protestantenvereins“ anzuregen, der eine „Wiederbelebung der protestantischen Kirche im Geiste evangelischer Freiheit und im Einklange mit der modernen Cultur“ erstrebte. Die Gründung desselben erfolgte bekanntlich im Jahre 1865 zu Eisenach, und seitdem hat Bluntschli sowohl in den literarischen Organen des Vereins wie auch auf den jährlichen Protestantentagen unentwegt für dessen Grundsätze, die Grundsätze der freisinnigen deutschen Theologie, gekämpft und gestritten.

Schon in seinen staatsrechtlichen Schriften hatte er das Verhältniß zwischen Staat und Kirche festzustellen gesucht. Beide Begriffe wollte er streng geschieden sehen. Das Christenthum, behauptete Bluntschli, sei schon dem Willen seines Stifters nach keine Staatsreligion. Die Religion sei vom Staate ganz unabhängig; der Staat habe die Freiheit des Bekenntnisses nicht blos zu gewähren, sondern auch zu schützen, er sei andererseits aber auch berechtigt, eine Form des steten Bekenntnisses, welche die öffentliche Wohlfahrt schädige und gemeingefährlich erscheine, zu untersagen. Andernfalls gäbe er sich selbst auf. Die Sonderung des Staates von der Kirche oder, wie der große italienische Staatsmann Cavour es ausdrückt, die freie Kirche im freien Staate sei modernes Princip. Wie Jedes, Staat wie Kirche, seinen eigenen Geist habe, so müsse es auch einen eigenen Körper (Verfassung) haben. „Der Staat im Großen,“ sagt er in einem eigenartigen Gleichnisse, „ist die Menschheit (das Volk) als selbstbewußter, willenskräftiger und thatmächtiger Mann; die Kirche ist die Menschheit (die gläubige) als fromme, gottergebene, moralisch wirkende Frau.“ Der Kirche bleibe nur die innere Disciplin; die Bestimmung der Bedingungen und Grenzen der kirchlichen Autonomie falle dem Staate zu. In seiner schon 1852 erschienenen, dann wiederholt aufgelegten Staatsrechtslehre betonte Bluntschli bereits die Nothwendigkeit der Civilehe.

Bluntschli’s Produktivität auf dem Gebiete seiner eigentlichen Fachwissenschaft war eine fast unglaublich große. Sie umfaßte gleichmäßig alle Disciplinen, mit besonderer Vorliebe aber diejenigen des Staats- und Völkerrechts. Auch hier begnügte sich Bluntschli nicht mit dem Lehren allein, sondern er strebte auch nach praktischer Geltendmachung der erforschten Resultate. Diese erreichte er großentheils durch seine veröffentlichten Rechtsgutachten, zu denen seine Autorität vielfach aufgerufen wurde und von denen besonders dasjenige, das er zur schiedsrichterlichen Beseitigung der Alabamafrage abgab, zur Berühmtheit gelangt ist, weil es einen bis zum kriegerischen Austrage vorgeschobenen Conflict zwischen England und Nordamerika friedlich beseitigte.

Es ist nicht unsere Aufgabe, auf die streng rechtswissenschaftliche Thätigkeit Bluntschli’s näher einzugehen; nur die eine Seite derselben können wir nicht außer Acht lassen, und zwar um deswillen nicht, weil hier nicht blos der Jurist, sondern auch der Mensch in hervorragender Weise das Wort führt. Es sind dies die Verdienste Bluntschli’s um die Gewinnung fester Normen für das Völkerrecht. Hier waren es große humanistische Absichten, welche das Wort, die Feder und die Thatkraft des ausgezeichneten Gelehrten in Bewegung setzten und zu greifbaren Erfolgen führten. Galt es doch nichts Geringeres, als die Abschaffung jenes letzten Rechts, das auf dem Schwerte steht, die Beseitigung des Kriegs und die Creirung des einst von Kant verkündeten ewigen Friedens durch die Anbahnung einer internationalen Rechtsanschauung, die ihre feste Basis in einer unerschüttlichen Rechtsüberzeugung im Schooße des Volkes gewinnen sollte. Auch hier wurde für bessere Förderung die Gründung eines Instituts für internationales Recht (Institut de droit international) in’s

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_816.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)