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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Baron und sein Neffe waren für einander nicht da. Der Baron benahm sich dabei so unbefangen, daß es auch Curt nicht schwer wurde. Zwischen diesem und Anne-Marie war die gleiche Art Nebeneinanderleben nur ein paar Tage hindurch versucht worden; dann kam man stillschweigend überein, sich wortlos zu grüßen. Die Begegnung war zuvor dermaßen peinlich für beide Theile gewesen, daß man vor Sorge, einander zu treffen, zu keinem ruhigen Ab- und Zugehen mehr kam. Man mußte auch auf ein Zusammentreffen bei Pannewitzens rechnen. Daß Anne-Marie von Lebzow sich um des Onkels willen von Curt fern hielt, würde man wohl begreifen; eine offenkundige Feindschaft aber mußte zu Muthmaßungen Anlaß geben, und die wollte sie auf jeden Fall verhindern.

Da war nun der Winter. Ganz Pelchow war verschneit, im Walde jeder Ast wie mit Watte belegt. Die Dreschflegel klopften im Tacte auf der Tenne, weiter war nichts zu thun, die Viehwirthschaft ausgenommen.

In der Compagnie wurde gemurrt; denn die täglichen Gänge auf die Nachbargüter waren im harten Froste eine Gefahr für Leib und Leben. Man machte dem alten Herrn Vorstellungen: er wollte sich’s überlegen, antwortete er; die Leute sollten aber Amerika nicht vergessen. Gut, man wollte ja auch treu bleiben, aber jeden Tag womöglich zwei Stunden hin und wieder zwei Stunden zurück durch dicken Schnee waten, und das bei zehn Grad Kälte und mehr! Man steckte sich hinter Anne-Marie, und sie bestimmte den Onkel, die Schwächlichsten, welche die Leute selbst aussuchen würden, ganz feiern zu lasten. Sie „borgte“ ja!

Weihnachten war da. Curt hatte für das Eßzimmer zwei Riesenbäume schmücken lassen und bescherte den Leuten. Das war etwas Außerordentliches; der alte Herr hatte nie daran gedacht, Christbäume aufstelle zu lasse; er hatte eine lebhafte Abneigung gegen dieselben, seit ihn in der Kindheit ein umfallender Baum in Lebensgefahr gebracht hatte. Er ließ sich auch nie beschenken, selbst von Anne-Marie nicht. Aber diese selbst beschenkte er, und die Branitzer besorgten ihm das.

Branitzer Fuhrwerk hielt heute schon seit dem Einbruche der Dunkelheit vor dem Gutsthore. Anne-Marie nahm ihren Pelz um, setzte die Kapuze auf und ging hinaus in den stille verschneiten Garten. Die Fensterläden des Eßzimmers waren nicht geschlossen: da war doch Christbaumglanz! Die Leute bewegte sich hin und her, Curt unter ihnen. Punschgläser klirrten. Das war weihnachtlich. Ihr ward wehmüthig in dem bleichen Schnee, unter den flimmernden Sternen; der Nachthauch schnitt ihr über das Gesicht, und es war ihr, als käme er aus einer weiten, weiten Stille und frage sie, ob sie nicht dahin folgen wolle. Schauernd ging sie in ihre Stube zurück.

Das Feuer im Kamine loderte; ihre Lampe brannte, und sie sah das Buch liegen, in dem sie gelesen, Fritz Reuter’s lustige Weihnachtsgeschichte „Was bei einer Ueberraschung herauskommt“! Das Alles machte es ihr wieder heimlich im Herzen. Sie dachte in halber Reue an eine gewisse Ueberraschung, welche – aber nein, nicht einmal daran denken – ein dichter Schleier darüber!

In des Onkels Zimmer durfte sie noch nicht gehen; vor seinem Eingangsfenster knisterte und knackte es, und in der Stube raschelten Papiere und arbeitete der Hammer an Kistendeckeln. Sie las nicht mehr; im Schaukelstuhle saß sie am Kamine und wiegte sich leise auf und nieder. Das Flammenspiel machte so reizend die Gedanken überflüssig.

Sie sprang ordentlich erschrocken auf, als der Onkel die Thür öffnete. Das alte wunderliche Gesicht schmunzelte vergnüglich; die kleine Augen verschwanden fast in den Falten umher und in dem Schatten der Brauen.

„Na, nu komm mal ’rein, Döchting!“

Der Baron hatte einen alten silbernen Armleuchter mit fünf Kerzen besteckt; das war doch auch festlich. Und im Scheine der Kerzen war der ganze Tisch mit Geschenke bedeckt: das Strahlendste war ein Anzug von lichtviolettem Sammet mit Schwanbesatz, ganz vollständig, selbst ein Jäckchen, Muff, Kapuze dazu. Himmlisch! Dazu mancherlei Kleinigkeiten der weiblichen Toilette und Bücher, sowie auch ein Paar Schlittschuhe. Anne-Marie war außer sich vor Freude.

„Aber Onkel, das kostet ja furchtbares Geld.“ „Ich habe ja auf Langsdorf viel gewonnen, Herzensdöchting, auf der letzten Treibjagd. Aber das hab’ ich nun mal nicht gespart.“ Er mußte sich küssen lassen, was er nicht gern that, Draußen klingelte es heran; ein Schlitten fuhr vor. „Wer ist das?“

Beide traten an die Scheiben; man sah im Dunklen nur den Schlitten, von dem die Pferde losgespannt wurden.

„Julklapp!“ rief eine Stimme, und der Rufende lief mit den klingelnden Pferden davon.

„Was der Teufel!“ sagte der alle Baron und zog das Fenster auf. Er stieg hinaus und betrachtete den Schlitten. „Der scheint mir ja neu zu sein.“ Damit ging er an das Küchenfenster und ließ sich von Dürten eine Laterne geben: „Wahrhaftig, ein neuer Schlitten! Eine Pantherfelldecke; darunter ein Fußsack.“ Der Baron gab Anne-Marie den Fußsack durch das Fenster hinein: „Untersuch mal das, Döchting!“

Ihre Finger zitterten vor Aufregung, als sie das Couvert, welches sie da gefunden, zum Licht trug. „Fräulein von Lebzow“ stand darauf. Das mußte die Schriftzüge des Herrn von Pannewitz sein; nur waren sie ein wenig verstellt.

„Ich trage Dich durch Feld und Wald,
Wenn’s winterkalt;
Bei treuen Freunden mach ich Halt –
Nun brauch mich bald!“

So sagte ein Zettel. Die Poesie war mäßig – aber ein Schlitten! Ihr größter Wunsch war erfüllt – und durch wen?

„Onkel, hat das Herr von Pannewitz geschrieben?“ fragte Anne-Marie mit unterdrücktem Jubel; um liebsten hätte sie mit dem alten Baron einen Galopp getanzt.

„Ja wohl, das scheint mir so. Ist das ’n Kerl! Wie kommt der dazu, Dir ’nen Schlitten zu schicken? Was zugelegt hat er auf alle Fälle; denn so viel Geld, daß er den auch noch hätte kaufen können, hab’ ich ihm nicht gegeben. Auf den Kostenpreis von diesen weiblichen Gegenständen verstehe ich mich freilich nicht.“

„Julklapp!“ Es flog etwas zu dem noch offenen Fenster herein auf die Diele, in der Verpackung einer Riesenwurst ähnlich.

„‚Hier komm ich!‘ sagt Cantor Wolf, da fiel er aus der Lucke,“ lachte der Baron; „nun regnet das ja wohl Geschenke für Dich!“

Er half das Packet öffnen. Aus einer Strohumhüllung fiel zuerst ein Briefchen: „Anne-Marie von Lebzow,“ war die Adresse. „Von Hedwig!“ rief Anne-Marie. Sie wickelte weiter – zwei Sonnenschirme kamen zum Vorschein, ein einfacherer und ein prachtvoller, dieser in schwarzer Seide, das Futter gestickt aus Weiß, echte kostbare Spitze daran, der Griff mit schöner Perlmuttereinlage.

„Entzückend!“

„Julklapp!“ Wieder ein Päckchen.

„Wie sie mich beschämen, Onkel! Ich habe ihnen nur Kleinigkeiten hinüber geschickt. Das ist sicher von Leonore!“

„Für Anne-Marie von Lebzow.“ Ein paar Dutzend Glacéhandschuhe in den verschiedensten Farben.

Anne-Marie war betreten. Eine dunkle Erinnerung kam ihr. Sie öffnete klopfenden Herzens die Couverts.

„Wie kann eine Dame dreiviertel Stunden Weges hin und zurück am lichten Tage ohne Schirm gehen?“ schrieb Hedwig. – „Sie sollten auch Ihre Hände mehr schonen!“ stand auf dem anderen Zettel, in den Schriftzügen von Leonore von Pannewitz.

Anne-Marie ließ die Zettel aus der Hand fallen; sie war bleich und so starr, daß der Baron sie erschrocken ansah.

„Was ist Dir, Döchting?“

„Laß mich einen Augenblick allein, Onkel!“ stammelte sie und flüchtete in ihr Zimmer.

Am Schaukelstuhl sank sie in die Kniee, legte einen Arm über die Lehne, faltete die Hände und schluchzte – das war wie ein Mehlthau auf die Weihnachtsfreude – Alles verdorben, verstört, besudelt! Eine Bitterkeit kam über sie, eine Herzensnoth, als ab sie sterben müsse. Das ging von ihm aus, von ihm – und sie, sie Thörin hatte – – das war eine so ausgesuchte Kränkung, so raffinirt, um ihr klar zu machen, wie bettelhaft tief sie in seinen Augen stehe, um sich für immer von ihr zu scheiden; das war ein Fußtritt am schönsten Feste der Welt, der Liebe, des Beglückens. Und dazu hatten die Beiden sich hergegeben die ihre liebsten Freundinnen waren! So intim stand er schon mit ihnen! Die Vertrauten seiner Geheimnisse, Gehülfinnnen seiner Beleidigungen waren sie geworden! O, gewiß: was war sie, das arme, verbauerte Mädchen an der Seite des bankrotten Verschwenders, gegen Leonore, gegen Hedwig

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