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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

wegen der Grenzbestände weiter mit ihm verhandeln. Es liegt ja in meiner Macht, mich den Ausbrüchen von Weiberleuten zu entziehen.“

Anne-Marie von Lebzow sah ihn später vom Garten aus über’s Feld gehen; ihre Augen waren wieder trocken.

„Jetzt bin ich hoffentlich für lange Zeit von ihm befreit – das ist das Gute an dem Rencontre. Wir werden endlich in Wahrheit Luft für einander sein. Verstehen würden wir uns doch niemals.“

Und sie athmete tief aus und sprang empor; denn sie hörte über der Mauer drüben das Pferd des Onkels, und dann sein Gespräch mit Jemand. Es klang rauh und unfreundlich. War auch er übler Laune? Das war ja ein schrecklicher Tag heute.

Der Onkel stand mit dem Dorfkrämer vor seinem Fenster; sie bemerkte es, als sie in ihr Zimmer gelangt war.

„Den Teufel – was? Bin ich Dir nicht gut genug dafür, mein Sohn? Es wäre mir denn doch lieber, wenn Du Dir ’ne Wendung nach der andern Seite gäbest, indem daß Du dann richtig auf den Weg nach Hause kämst.“

„Aber, Herr Baron, ich habe es doch nicht dazu, halten zu Gnaden. Liptauer in Demmin will auch sein Geld von mir.“

„Liptauer – das ist auch so ’n Demminer Judenbengel –“

Das Fenster schurrte empor, und der Alte stieg in sein Zimmer, während der Krämer draußen wartete, die Hand voll Zettel vor sich haltend.

„Nun soll Onkel zahlen und hat sich um nichts gekümmert,“ sprach Anne-Marie bei sich. „Aber – er hat ja doch jene zweihundert Thaler, die er mir geschenkt hat.“

Sie klopfte an die Thür.

„Darf ich, Onkelchen?“

„Ja wohl, Döchting.“

Der Baron hatte die Hände über den grünen Rockschößen zusammengelegt, und als er sich herum wandte, sah er sorgenvoll und fast schüchtern aus.

„Siehst Du, mein Anne-Marieken, so ist mir das mein Leben noch nicht gegangen. Lüchting kommt nun und will Geld für die Zettel haben – und ich weiß doch nicht, wo ich das gleich hernehme.“

„Du hast ja aber das meine, lieber Onkel.“

„Wo werd’ ich Dein Eigentum angreifen, mein Döchting! Das wäre ja nicht recht von mir.“

Er sah aber dabei aus, als wäre ihm heimlich nichts lieber gewesen als dies thun zu dürfen.

„Ich borge Dir’s aber, Onkelchen. Das darf ich doch, wenn es mein Eigentum ist?“

„Sieh mal, sieh – nein, was Du für ’n gutes Mädchen bist! Sie will das für ihren Onkel thun. Ich spare mir das ab, wenn ich das Meinige ausbezahlt kriege. Ich brauche ja nicht viel für mich – da lege ich die fünfzig Thaler wieder dazu.“

Er bezahlte den Krämer. Dann setzte er sich an den Tisch, stemmte den Arm auf und legte den Kopf in die Hand, wehmütig vor sich hinblinzelnd.

„Ach, mein liebes Anne-Marieken, was für ’n armer Kerl bin ich geworden!“




7.

Der Eintritt der rauhen Jahreszeit ging diesmal ungemein langsam vor sich. Erst gegen Mitte November trat stürmisches Wetter, erst vierzehn Tage vor Weihnachten dauernder Frost mit Schneefall ein.

Curt von Boddin hatte Glück.

Als Maurer und Zimmerleute „auf Wiedersehen im Frühjahr!“ sagten, waren die Ställe sauber und hell und der meiste Schaden an Holzwerk bereits gebessert. Die Knechte schliefen in ihren Stallkojen, die Mägde in ihrer Bodenkammer, und Curt hatte zwei hübsche Zimmer. Der Salon war sogar parquetirt, die Decke von Stucksims getragen und mit Stuck verziert, während die Tapete ein warmes Brokatmuster zeigte. Rothe Wollgardinen und ein riesiger Smyrnateppich, dazu völlig überzogene Polstersitzmöbel ergaben den Eindruck der behaglichsten Eleganz. Der Ofen mit Kaminuntersatz, in welchem schon beständig Holzfeuer glühte, glich fast demjenigen in Anne-Marie’s Zimmer, das Merkwürdigste für die Gutsbewohnerschaft war aber ein Flügel. Man erwartete, daß „der junge Herr“ ihn spielen würde; allein ein paar Läufe abgerechnet, die er wie zur Probe gethan, ob sein altes Instrument ihm nicht fremd geworden, hörte man nichts. Der Schreibtisch, ein Bücherschrank, eine beschlagene Cassette waren alte geschnitzte Stücke, die das Zimmer besonders zierten. Alle die Kleinigkeiten, welche Curt theils von seiner früheren Einrichtung her sich hatte schicken lassen, theils dazu gekauft. sprachen für bewußten Geschmack. Das Schlafzimmer war einfacher; eine spanische Wand trennte zwei Schlafstellen; denn Curt mußte darauf rechnen, einen Gast bei sich unterbringen zu können, und der Feldmesser war der erste, welcher die Gelegenheit für längere Zeit benutzte, bis er mit Eintritt des Frostes verschwand.

Eines Tages, als Curt nach Branitz gefahren, schlich Anne-Marie in diese Räume – Dürten begleitete sie. Mit Diebesangst trippelte sie von einem zum andern, was da ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie wagte sogar den Flügel zu öffnen und ein paar Tasten anzuschlagen – als Kind hatte sie auch angefangen, Unterricht zu genießen – wie lange war das her! Als Dürten auf einen Moment hinaus gerufen wurde, warf sie sich in einen Fauteuil und betrachtete, den Kopf aufstützend, unverwandt das große Kreideportrait Curt’s, welches über dem Schreibtische hing, und indem sie dabei seufzte, den Kopf auf die Seite geneigt, sah sie recht wie ein Kind aus, dem ein Wunsch fehlgeschlagen ist.

Einen Todesschrecken bekam sie, als sie das Photographie-Album da auf dem Nipptische aufschlug.

Der Blick fiel auf ihr eigenes Portrait.

„Mein Gott, woher hat er das? Was thut er damit?“

Sie war in Versuchung, es an sich zu nehmen. Aber dann glühte ihr Gesicht wieder. Nicht ahnen durfte er, daß sie hier gewesen. Wie um sich vor sich selbst zu schützen schlug sie eilig das Album zu, und nun zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie er zu dem Bilde gekommen. Irgend woher aus der Verwandtschaft? Aus Branitz? Die Mädchen dort hatten zwei Exemplare. Darüber mußte sie doch Gewißheit erhalten.

Da saß sie und träumte und lächelte vor sich hin: nur die Oberlippe hob sich, daß es weiß dazwischen schimmerte. Endlich stand sie auf; es war ihr, als schwebe draußen ein Schatten bei den Fenstern vorüber.

„Du Lieber!“ sagte sie, mit einer Hand zu dem Bilde über den Schreibtisch hin winkend, indem sie sich an der Thür noch einmal zurück bog. Und plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus und lehnte sich leichenblaß, die Hand aus das Herz gedrückt, gegen die Wand; sie war einer Ohnmacht nahe.

Draußen ging die Hausthür auf, und Männerschritte kamen in den Flur herein. Aber es war der Statthalter Drewes, der Dürten fragte, ob der junge Herr zu Hause sei. Wie thöricht war sie! Curt konnte es ja unmöglich sein – dann eilte sie aber doch hinaus.

„Nie wieder!“ gelobte sich die schwer Bestrafte. Der Traum war zerstoben. – –

Für den Sommer gingen Curt Baupläne in größerem Maßstabe durch den Kopf. Das Haus vertrug recht gut einen Oberstock. Er dachte selbst an ein Gesindehaus. Mit der Ernte und den Vorarbeiten für das nächste Jahr war er gut fertig geworden – dank den Nachbarn und dem langen Zögern des Frostes. Seine Getreide-Einfuhr konnte er recht wohl in der Winterszeit ausdreschen; mehr trug der Vorrath nicht aus.

Der alte Baron hatte keine Freude mehr an seiner Compagnie, ausgenommen Sonnabends, wo man ihm die Zahlung für dieselbe von verschiedenen Seiten her schickte. Dann ließ er sie antreten und vertheilte das Geld unter die Leute. Er lief den ganzen Tag auf der Jagd herum, und Curt tat keine Einsprache. Wiederholt wurde der Alte zu größeren Jagden geladen, ging aber nur, wenn er vorher wußte, daß Curt nicht hingehen würde; er machte auch sein Spielchen wie sonst mit, und was er mehr verspielte, als er bei sich hatte, versprach er, später zu bezahlen; man war indessen überein gekommen, ihn nie daran zu mahnen, ja die Schuld in Abrede zu nehmen, indem man mit seinem unsicheren Gedächtnisse rechnete. Was er erübrigte, legte er in Anne-Marie’s Casse – das machte ihm die größte Freude, und er wurde ordentlich geizig darum.

Niemand war glücklicher, als der Schulmeister Mederow. Der Radmacher und der Ortsmaurer stellten ihm her, was sein Herz nur begehrte, und täglich pries er vor dem neuen Schweinestalle die Gnade des jungen Herrn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_810.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)