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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 49.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


„Sie klagen wegen baulicher Mängel,“ sagte Curt zum Lehrer, „Sie sollen alles Nöthige in Kürze haben.“

„O mein gnädiger Gönner, wenn Sie Alles dem Herrn Radmacher anzuvertrauen geruhen wollten –“

„Meinethalben – ich will im Vorbeireiten mit ihm reden.“

Nun mußte Curt in die Classe folgen, mußte singen hören und an die Schüler ein paar Fragen richten; er sprach auch einige kräftige, ermahnende Worte. Die Schweinstallruine hatte ihn amüsirt, und er ließ sich dieselbe zeigen. Zum Schluß fragte er Frau Mederow, wieviel Geld sie wohl gebrauche, um die sämmtlichen Kinder mit Kaffee und Kuchen zu bewirthen, und zog nach erhaltener Antwort seine Börse; er gab ihr die bezeichnete Summe.

„Das ist ein Mann, liebes Weib!“ sagte Herr Mederow, als Curt fortgeritten war. „Wie ein Gesandter des Herrn trat er in unser Haus. O, du gesegnetes Pelchow, wahrlich dein Stern ist aufgegangen über dir.“

„Geh nur nachher zum Radmacher,“ mahnte die praktische Frau, „und frage, ob der junge Herr ihm wirklich den Auftrag gegeben hat. Große Herren haben ein kurzes Gedächtniß.“

Curt hielt in der That beim Radmacher an: er und der Maurer sollten umgehend im Schulhause repariren. Als er daheim das Pferd abgegeben hatte und in die Thür treten wollte, kam Anne-Marie aus dem Garten. Sie schwankte sichtlich, ob sie weitergehen oder umkehren sollte; schließlich that sie keines von beiden, sondern neigte auf Curt’s Gruß sehr gemessen den Kopf und wandte sich um, dem Fluge einer Krähe mit den Augen folgend.

„Ihre Schülerin hat leider schlecht bestanden, Cousine,“ rief er gutmüthig hinüber. Er war froh, ihr etwas sagen zu können. Hätte er nur nicht jenen fatalen Tonfall an sich gehabt, welcher allem, was er sagte, eine sarkastische Färbung gab!

Anne-Marie blickte starr nach der Krähe; die erste Wirkung dieser Worte durfte er auf keinen Fall bemerken.

„Welche Schülerin, wenn ich fragen darf?“ gab sie gleichgültig zurück.

„Die kleine Radmachertochter. Ich komme eben vom festlichen Schulempfange her.“

„Nun,“ fuhr sie fort, noch immer hochroth im Gesicht, mit blitzenden Augen, „wenn irgend Jemand die Tactlosigkeit gehabt hat, Ihnen zu sagen, daß ich hinsichtlich der Verse die Hand im Spiele habe, Herr von Boddin, dann sollten Sie wenigstens nicht den traurigen Muth haben, Capital daraus zu schlagen, um mich zu demüthigen. Sie dürfen aber versichert sein, mein Herr, daß Sie es nicht waren, dem zu Liebe ich dem Kinde die Verse einstudirt habe.“

Das war doch zu stark.

„Wenn Sie darauf bestehen, Gift in Alles zu gießen, was ich Ihnen sage, mein gnädiges Fräulein, so werde ich verzichten, Ihnen noch weiterhin Gelegenheit dazu zu bieten. Ich habe den Fehler begangen, Sie vierundzwanzig Stunden lang für naiv zu halten; jetzt bin ich von diesem Irrthum gründlich curirt. Aber eines will ich Ihnen nicht verhehlen: um Ihr Herz und Ihre Gemüthsart beneide ich Sie nicht.“

Er schloß ziemlich heftig die Thür hinter sich; das Zorngefühl schnürte ihm fast die Kehle zusammen. Es war wohl tactlos von ihm gewesen, ihr zu zeigen, daß er um ihr Geheimniß wisse, aber die Abfertigung, welche ihm darauf geworden, war so bissig, herzlos, vergiftet, boshaft – es durchschauerte ihn vor Erregung, und er schleuderte seinen Strohhut weit in sein Zimmer hinein.

Draußen weinte Anne-Marie von Lebzow. Sie legte die Arme über dem Zaun zusammen und die Hände hinein. Er hatte sie zu tief gekränkt.

Sie ging in den Garten zurück, zur Laube hin; im Gesichtskreise seiner Fenster schritt sie stolz aufgerichtet, aber hinten, da, wo Niemand sie sah, flog sie hügelauf, und in der Laube nahm sie ihr Taschentuch und preßte es auf ihre Augen. Warum hatte sie sich doch verleiten lassen, mit ihm zu sprechen! Nun hielt er sie für ein herzloses Geschöpf. Was hatte er für ein Recht dazu? Hatte sie nicht ein Recht, sich zu wehren, wenn sie verhöhnt wurde? Oder hatte er sie etwa nicht verhöhnt? Wie gut kannte sie diesen Ton seiner Stimme! Hätte sie ihm vielleicht noch obendrein zugestehen sollen, daß sie seinethalben sich mit dem Radmacherskinde bemüht hatte?

„Was haben sie Beide für ein Recht, daß ich sie hier dulde, um mich von ihnen mißhandeln zu lassen?“ fragte sich Curt.

„Wenn doch der Onkel fortziehen wollte!“ dachte Anne-Marie schluchzend und starrte mit den schwimmenden, gerötheten Augen in’s Feld hinaus, indeß ihr um den Mund die Wehmuth wie Wetterleuchten zuckte. „Ach, ihr friedlichen Tage – ein kleines krankes Stück Erde, wo ich euch wieder finde! Ich habe nie gewußt, was Angst und Groll und Haß ist. Aber nun weiß ich es. In vierzehn Tagen habe ich es gelernt“ – – –

„Ich will arbeiten; ich muß mich zerstreuen,“ meinte Curt eine halbe Stunde später. „Ich werde jetzt die Maurer und Zimmerleute controliren, dem Drewes entgegen gehen und unterwegs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_809.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)