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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

sich auch die Freunde Beethoven’s im Gewandhaus. Sie wurde hier 1827 – ebenfalls wieder zu derselben Zeit wie in Berlin – zum ersten Male aufgeführt, dann gleich darauf zweimal repetirt, einmal allerdings ohne Finale. Rochlitz, eine feine, durchaus Goethe’sche Natur, drückt das Fiasco in den Worten aus: „Der Meister aber bleibt, was er ist, ein Geisterbeschwörer, dem es diesmal gefallen hat, Uebermenschliches von uns zu verlangen.“ Wenn ein Jahr darauf, als Beethoven inzwischen gestorben, ein Anderer eben mit Bezug auf jenes Finale von „Gehörlosigkeit“ spricht, so ließ die Direction das Werk doch nicht fallen; denn es findet sich oft auf den Programmen.

Im Jahre 1850 widmete ein ungenannter Musikfreund bei Gelegenheit der Ausführung dieses Beethoven’schen Werkes eine Gratification von fünfzig Thalern, und später sicherte sogar ein hochherziger Förderer der Tonkunst die regelmäßige alljährliche Aufführung der neunten Symphonie durch eine besondere Stiftung. Bei ihrer Erwähnung wollen wir übrigens nicht vergessen zu bemerken, daß im Laufe der Zeit viel geschehen ist, die äußere Lage der Künstler im Orchester in ein entsprechendes Verhältniß zu ihren berühmten Leistungen zu setzen; denn von vornherein bestand ein Pensionsconcert, und später trat noch die Charfreitag-Aufführung zu einem ähnlichen Zwecke hinzu.

Unter den damals emporstrebenden Talenten sind Friedrich Schneider und Louis Spohr zu nennen, welche vom Anfang unseres Jahrhunderts an bis zu ihrem in den fünfziger Jahren erfolgten Tode dem Gewandhaus-Publicum stets willkommene Ehrengäste geblieben sind. Von den Ausländern faßte nur Cherubini festen Fuß; Spontini wurde mit seiner ersten Ouvertüre abgelehnt, ja, man verglich sie mit kaltem Wasser, das in gährendem Sprudel und mit schrecklichem Brausen verspritzt wird. Méhul, einer der wenigen Franzosen, welche früher überhaupt Symphonien schrieben, fiel im Gewandhaus fast regelmäßig durch, selbst noch als Mendelssohn für ihn in den historischen Concerten eintrat, dagegen erwarben seine Opern die verdiente Achtung.

Wenn die Gewandhausconcerte von Haus aus gegen das Virtuosenthum gerichtet waren, so schloß diese Tendenz doch die solistischen Leistungen nicht aus. Ja, später hörte das Gewandhaus-Publicum die berühmten Sänger und Spieler der Zeit fast alle. Von den großen Pianisten von Mozart an bis auf Karl Heymann fehlt fast Keiner. Dussek, Hummel, Moscheles, Kalkbrenner, Liszt, Thalberg, Döhler, Clara Schumann, Camilla Pleyel, Jaell, Bülow, Tausig und wie sie Alle heißen, sie haben sämmtlich im Gewandhaus gespielt, zum Theil sehr oft. Anton Rubinstein trat hier als dreizehnjähriger Knabe auf, auch Meyerbeer, der als Componist in diesen Räumen wenig zu suchen gehabt hat, zeigte sich als achtjähriges Wunderkind, und Karl Maria von Weber debütirte im Jahre 1811 hier vor dem Leipziger Publicum als Pianist in einem Privatconcert, das er mit seinem Freunde, dem Münchener Klarinettisten Bärmann, gab. Von den großen Geigern, die hier spielten, haben wir schon Spohr genannt, und Joachim, der Erste unter den jetzt lebenden Violinspielern, gehörte dem Orchester selbst im jugendlichen Alter längere Zeit an.

Unter den großen Sängern und Sängerinnen vermissen wir nur Henriette Sonntag. Die Schröder-Devrient, Pauline Viardot-Garcia, Jenny Lind traten sehr oft im Gewandhause auf. Von Sängern, die sich im Gewandhause hören ließen, sei noch der Wiener Wild genannt, der im Jahre 1815 als der Erste in diesen Räumen ein deutsches Lied erklingen ließ.

Aufsehen erregte das erste Posaunensolo: Der Berliner Kammervirtuos Belcke, von der Familie, die viele ausgezeichnete Musiker geliefert hat, führte es im Jahre 1815 aus, und später besaß das Leipziger Gewandhaus in dem vielseitigen Queisser selbst einen der berühmtesten Posaunenvirtuosen. Von heute nicht mehr gebräuchlichen Solo-Instrumenten nennen wir aus den älteren Gewandhaus-Concerten die Guitarre; sogar ein Symphoniestück mit Guitarre kommt einmal vor.

Von vornherein waren im Gewandhause die Einrichtungen so getroffen, daß man solistische Leistungen genießen konnte, ohne dabei von fremden Kräften abhängig zu sein. Die Mitglieder des Orchesters producirten sich mit Soli auf ihren Instrumenten, und etliche waren Virtuosen, die auch nach außen hin bekannt wurden; so Dotzauer, der Cellist, der obenan steht. Für den Gesang hatte man die Einrichtung getroffen, für ein oder mehrere Jahre eine Künstlerin fest zu engagiren, und unter diesen Concertsängerinnen des Leipziger Gewandhauses treffen wir einzelne hochberühmte Namen, die Mara, die Schröter, die Häser, die Neumann-Sessi, sehr beliebt und verdient in dieser Stellung war aber später Henriette Grabau.

Mit der Einführung der Eisenbahn erlosch der Brauch des festen Engagements einer ersten Concertsängerin. In der ersten Zeit wird der Posten von Angehörigen des Dirigenten und der Concertmeister bekleidet. Demoiselle Häser war die Tochter des Concertmeisters Häser; der Concertmeister Campagnoli sah seine beiden Töchter gleichfalls in dieser Stellung, und Schicht heirathete die Concertsängerin Valdesturla, die als Madame Schicht lange Zeit fast alle Arien vortrug. Später übernahm die Tochter Beider, Fräulein Schicht, diese Stelle. Sehr oft entnahm man die Kräfte für männliche Singpartien der Leipziger Oper, und auch Studenten traten hierfür ein; außerdem stand in jeder Stimme für die Soli auch noch ein Thomaner zu Gebote. Noch unter Mendelssohn singt das Concertsolo der neunten Symphonie der Thomaner Kurzwelly, und unter Schicht finden wir als Solo-Altisten den Thomaner Reißiger, den späteren Dresdener Hofcapellmeister.

Friedrich Schneider saß öfters am Flügel, später auch Riem, der nachmalige Bremer Musicdirector. Aber die Mehrzahl der bis zum Jahre 1809 vorkommenden Clavierconcerte, die Mozart’schen und Beethoven’schen zum großen Theile, spielt eine und dieselbe Künstlerin, Frau Müller. Sie war die Gattin des Musikdirectors, und ihr Weggang ward schmerzlich empfunden; denn es schien, als seien mit ihr auch die Mozart’schen Concerte weggegangen. Ihr Gatte, der Thomas-Cantor und Musikdirector C. F. Müller, ist als Componist nicht von Belang geworden, aber als ausübender Musiker war er unschätzbar; denn er spielte Orgel, Clavier, Violine und Flöte, und dieses letzte Instrument war es, welches er im Leipziger Gewandhause in ausgezeichneter Weise vertrat.

Als Müller Leipzig verließ, um das Capellmeisteramt in Weimar zu übernehmen, trat Schicht in seine Stelle als Thomas-Cantor. Am Gewandhause behielt Schicht nur noch die Direction von Chorwerken, die von da ab nicht mehr so regelmäßig und häufig gepflegt wurden. Den Haupttheil des Directionsdienstes übernahm mit der neuen Saison 1810 Christian (Johann Philipp) Schulz.


(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Die Falknerin. (Mit Abbildung S. 777.) Die Zeit, in welcher die französischen Barone noch das Privilegium hatten, ihre Falken während des Gottesdienstes auf den Altar zu setzen, ist längst dahin. Schon im vorigen Jahrhundert ist die Falkenbaize in Europa fast vollständig aus der Mode gekommen, und wie wir in unserem Artikel über die internationale Jagd-Ausstellung zu Cleve (vergl. Nr. 45) berichteten, ist selbst die berühmteste und älteste Falknerschule in Valkenswaard in neuester Zeit zu Grunde gegangen, da die Falkoniere ausstarben. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts jagte man hier und dort noch mit Edelfalken, so z. B. zu Bedford und zu Didlington Hall in England wie auch auf dem königlich holländischen Landgute Loo. Die anmuthige Falknerin also, welche unsere Illustration darstellt, dürfte heutzutage in der Wirklichkeit schwerlich gefunden werden – das reizende Bild ist eben nur ein frei erfundenes Erinnerungsblatt aus der Zeit der alten Jagdherrlichkeit. Dagegen florirt dieser Sport noch gegenwärtig unter den asiatischen Völkern, den Indiern, Persern, Baschkiren und Kirgisen sowie bei den unbändigen Beduinen der Sahara, und dort allein dürften noch schöne Damen mit Falken auf der Hand leibhaftig zu schauen sein.



Kleiner Briefkasten.

K. M. in Dresden. Ganz recht! Der anmuthigen Feder C. del Negro’s verdanken bereits die früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ eine Reihe feinsinniger Schilderungen und fesselnder Artikel. Ihren Wunsch nach „mehr von dieser Kost“, in welchem Sie sich durch das stimmungsvolle Gedicht „Resignation“ in Nr. 42 unseres Blattes so sehr bestärkt fühlen, hoffen wir bald erfüllen zu können, da wir einige neue Erzeugnisse dieses ebenso eigenartigen wie geistvollen Talents in petto haben. Uebrigens befindet sich ein längerer Roman C. del Negro’s, dem Vernehmen nach, in Vorbereitung für die Buchausgabe. Also wir gratuliren Ihnen und – uns.

E. L. in G. Robespierre’s Portrait finden Sie in Lamartine’s „L’histoire des Girondins“. – Fehlende Nummern der „Gartenlaube“ (soweit sie nicht vergriffen sind) können Sie, natürlich unter voller Angabe Ihrer Adresse, von der Expedition unseres Blattes jederzeit nachbeziehen.

Marie. Befragen Sie die Direction des dortigen Theaters!


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_792.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)