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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

gefördert ward. So ist z. B. allen Sachverständigen bekannt, welche sinnreiche Vorrichtungen er erdachte, um junge, auf Wildlinge oculirte Augen vor den schädlichen Einflüssen ebenso des grellen Sonnenlichtes wie der rauheren Winde zu bewahren, und allgemein wenden jetzt die Köstritzer Gärtner ein von ihm ersonnenes Verfahren an, um veredelte Kronenbäumchen zur Zucht wurzelechter Buschrosen zu verwerthen.

Aber bei seinem energischen Triebe nach immer erneuter Thätigkeit genügte Hergern die Zucht der Rosen zuletzt nicht mehr allein. Als begeisterter Freund der Landschaftsgärtnerei begann er im Jahre 1870 noch außerdem die Pflege von Ziergehölzen und besonders von buntblätterigen Eichen; binnen wenigen Jahren durfte er sich sagen, den Cultus auch dieser Gartenzierden in Deutschland, wenn nicht geschaffen, so doch am raschesten gefördert zu haben; denn schon im Jahre 1875, wo sein Verzeichniß dieser Zöglinge erschien, wanderten mit den Rosen auch bereits Tausende Herger’scher Eichen in alle Lande.

Endlich, im Jahre 1877, verkaufte er im Gefühle geschwächter Gesundheit den größten Theil des Gartens und des Geschäfts[1] aber durchaus nicht, um von nun ab träge und bequem der Ruhe des Alters zu genießen. Zwar pflegte er gern, wenn er jetzt langsamer dahinschreiten mußte, in seiner gemüthvollen Weise die Worte aus „Faust“ zu sprechen:

„Nun aber geht es weise, geht bedächtig –“

aber noch immer fühlte er „Kraft zu kühnem Fleiß“ und Drang zu neuem Schaffen. Er folgte diesem Drange, indem er auf einem Grundstücke, das er erst 1877 neu erworben und das halbinselartig auf zwei Seiten strömende Flüsse umgaben, eine kleine parkartige Anlage schuf, deren steter Erweiterung und Verschönerung nunmehr der Rest seines Lebens gewidmet war. Hier stand er an der Spitze einer kleinen Schaar rüstiger Erdarbeiter und kämpfte zunächst gegen die reißenden Fluthen. In der That, wie der gealterte Faust in noch einmal aufflammender Thatenlust seine letzte Lebensaufgabe darin sucht,

„Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,
Der feuchten Breite Grenzen zu verengen
Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen“,

in gleichem Sinne, nur in kleinerem Kreise, schaffte Herger in seinem Alter. „Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!“ rief er oftmals wie jener, und stolz und zufrieden sah er noch kurz vor seinem Tode auf den bezwungenen Elsterfluß.

Noch zweierlei Freuden seltener Art waren ihm in rüstigem Alter zu genießen vergönnt. Die erste wurde ihm durch eine späte wissenschaftliche Auszeichnung bereitet, welche ihm für seine Forschungen über magnetische Curven im Jahre 1877 zu Theil ward; es war die Belohnung mit dem Doctorgrade honoris causa von Seiten der naturwissenschaftlichen Facultät in Tübingen, bei Gelegenheit der Feier des vierhundertjährigen Jubiläums der Universität. Den zweiten, einen von ihm längst ersehnten Genuß empfand er aber noch wenige Wochen vor seinem Tode, und zwar, im Anschauen jener ewig klassischen Stätten und herrlichen Himmelsstriche Roms und des glücklichen Campaniens.

Nach längerem, wenn auch nur leichtem Unwohlsein lebte er noch einmal dort auf. Energisch wies er noch jede Unterstützung zurück, als es nach vollbrachtem Aufstieg mit der Drahtseilbahn die letzte Spitze des Vesuv in tiefer vulkanischer Asche mit eigenen Füßen zu erklimmen galt, und wenn gleich auf’s Aeußerste erschöpft, war er doch überglücklich, als er dann oben die große Erscheinung, unmittelbar vor sich sah. Vom Krater des Vesuv, wie von den Meerklippen des Sireneneilands Capri, wo er vier heitere Tage verlebte, brachte er eine Anzahl von ihm selbst gezeichneter Skizzen zurück, in der Absicht, dieselben während der nordischen Wintertage in vergnügter Erinnerung an den sonnigen Süden sorgfältig auszuführen, allein diesen Wunsch zu erfüllen war ihm nicht mehr gestattet.

Schon während der Heimreise, in Rom, erkrankte er, raffte sich indeß noch einmal empor und erreichte, scheinbar gesund, gegen Mitte October die thüringische Heimath. Hier aber befiel ihn nach wenigen Tagen eine schwere Krankheit, welcher er dann sehr bald erlag. Er starb am 21. October, nach vergeblichem Kampfe, am erneuten Anfalle eines chronischen Brustleidens, das er sich schon längst als Folge gärtnerischen Schaffens in Wind und Wetter zugezogen, im Alter von achtundsechszig Jahren.

Es hat etwas Tragisches, dieses rasche Ende eines mit energischer Thätigkeit erfüllten Lebens gerade zum Beschlusse einer Reise, auf welcher ein lebenslang sehnsüchtig gehegter Wunsch – der, jene schönsten Gegenden der Welt mit eigenen Augen zu schauen – noch endlich in Erfüllung gegangen, aber zugleich liegt doch auch in der Art, wie hier der Tod den Zeitpunkt seiner Heimsuchung gewählt hat, etwas Tröstliches: Herger starb, nachdem er sein Tagewerk im Großen und Ganzen vollendet, und nicht nur dies – er starb erst, nachdem er vorher noch den höchsten Genuß, der ihm beschieden war, voll empfunden; vom gebrechlichen Alter mit all seinen Leiden und bitteren Täuschungen ist er verschont geblieben.

Herger war eine energische, aber zugleich eine ideale Natur. Er besaß neben rastlosem Schaffenstrieb, neben hohem persönlichem Muth und einem stolzen Unabhängigkeitsgefühl ein weiches, poetisch gestimmtes Gemüth. Das haben nicht nur seine Angehörigen und nächsten Freunde, auch Fernerstehende haben es oft wohlthuend erfahren. Trockene geschäftliche Correspondenz füllte sein vielseitiges Interesse nicht aus; in seinen Briefen verbreitete er sich gern noch über andere als nur gärtnerische Fragen, und so erwuchs allmählich aus manchem anfangs blos geschäftlichen Verkehre mit Männern, die er nie gesehen, ein dauernder, inniger Freundschaftsbund. In der Sammlung interessanter und ihm theurer Briefe, die er wohlgeordnet hinterlassen, finden sich solche von ausgezeichneten Geschäftsfreunden, von Fürsten, Gelehrten und Dichtern, von hohen geistlichen Würdenträgern und Mönchen, vor allen aber fesseln darin neben den bedeutsamen Schreiben von Gauß und Weber zwei rührend freundschaftliche Briefchen, die er von Friedrich Rückert empfangen.

In der persönlichen Unterhaltung war Herger äußerst lebhaft; er sprudelte von harmlosem, gutmüthigem Humor und liebte es, wissenschaftliche Fragen aufzuwerfen; bei solcher Gelegenheit entwickelte er meist eine Fülle von Phantasien und eigenen Ideen.

Erst in seinem siebenundvierzigsten Jahre hat er sich verheiratet, aber seine Ehe war kinderlos. In der bewegten Mitte unseres Jahrhunderts hatte er auch am politischen Leben thätigeren Antheil genommen, und jederzeit war und blieb er ein warmer Verfechter freiheitlicher Institutionen.

Und nun zum Schlusse nochmals ein Wort über Herger’s Verhältnis zur Wissenschaft.

Man hat es oftmals bedauert, daß er sich nicht völlig der Wissenschaft und namentlich der Physik gewidmet, und kein Geringerer als Wilhelm Weber in Göttingen schrieb an Herger: „Bei dem von Ihnen bewiesenen großen experimentellen Talente wünschte ich von Herzen, daß Sie recht bald eine Stellung erhielten, die Sie nicht allein für Ihre großen Anstrengungen und Aufopferungen belohnte, sondern Ihnen auch die Freiheit verschaffte, Ihr Talent zum Besten der Wissenschaft ferner zu nützen. Es würde Ihnen gewiß nicht fehlen, einen neuen Gegenstand zu finden, der Sie befriedigte, wenn auch in einem anderen Gebiete der Physik, wo noch weniger vorgearbeitet und dadurch noch mehr die Möglichkeit gegeben wäre, durch genaue Erforschung der Thatsachen neue Bahnen zu brechen.“

Indeß, wer den Verstorbenen genauer gekannt, beklagt es nicht, daß derselbe dem praktischen Leben erhalten geblieben. Herger war eine durchaus künstlerisch und zugleich zum Schaffen im Großen angelegte Natur und nicht dazu veranlagt, als trockener wissenschaftlicher Arbeiter still dahin zu leben; er war erfinderisch und besaß viel schöpferische Einbildungskraft, aber er war nichts weniger als ein mathematischer Kopf. Herger genügte nicht – wessen sich ja, wie man sagt, gewisse Mathematiker so gerne rühmen – die bloße Gleichung des Kreises oder der Ellipse; er wollte den Anblick der schönen geometrischen Figur. Er war ein Mann der Anschauung, und weil dies der Fall und nur weil dies der Fall, fesselten ihn so lange jene Forschungen über magnetische Curven. Herger hatte nicht allein Freude am Gesetz, sondern auch an dessen schöner Form; im Gesetz, verlangte er, sollte sich immer zugleich etwas Schönes offenbaren; etwas Anderes, äußerte er oft, „genügte ihm nicht“.

Diese künstlerische Auffassung der Dinge machte sich auch in seinem gärtnerischen Schaffen entschieden bemerkbar. Wer von einer der zahlreichen angebrachten Lauben aus Herger’s Garten übersah, den berührte es wohlthuend, wie bald die leuchtenden Kirchthürme entfernter Dörfer, bald stattliche Baumexemplare auf den Wiesen im Thale als Visirpunkte gedient und die Anlage bestimmt hatten. Das Zufällige und Planlose war Herger’s Natur so zuwider wie das Ungraziöse und Unschöne, aber

  1. Sein Nachfolger ist Herr Conrad von Borgsdorff, als Gärtner ausgebildet in den berühmten Gärtnereien zu Muskau.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_782.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)