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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Nestor der deutschen Rosengärtnerei.
Ein Lebensbild.

Am frühen Morgen des 25. October vergangenen Jahres wurde in dem allbekannten Orte Köstritz in Thüringen unter einem außerordentlich zahlreichen Trauergeleite ein Mann zu Grabe getragen, der in mehr als einer Hinsicht als eine seltene Erscheinung zu bezeichnen ist. Es war der Nestor der deutschen Rosengärtnerei, Dr. Johann Ernst Herger, derselbe, nach welchem die Franzosen neue Rosen getauft und dem mehrfach deutsche Gartenschriftsteller in dankbarer Anerkennung ihre Werke gewidmet haben. Der Wirkungskreis und die ganze Persönlichkeit dieses Mannes waren so bedeutend, dazu sein Entwickelungsgang so eigentümlich und interessant, daß ein kurzes Lebensbild desselben hier wohl am Platze ist.

Johann Ernst Herger wurde am 19. April 1812 zu Köstritz, der freundlichen Residenz des Fürsten Reuß-Köstritz, geboren. Sein Vater, Johann Gottlieb Herger, ein ehrenfester Mann, besaß daselbst ein Haus nebst Garten und einigen Feldgrundstücken und betrieb einen kleinen Materialwaarenhandel. Ernst war das dritte von fünf Geschwistern und wurde wie diese in die Dorfschule geschickt, wo er sehr bald durch seinen lebhaften Geist und seine vorzügliche Begabung die besondere Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich zog, welche meinten, das Gescheidteste sei, den aufgeweckten Jungen „studiren zu lassen“. Seine Eltern waren indeß mit diesem Rathe wenig einverstanden; denn zu solchem Unternehmen fehlten ihnen die Mittel. Aber auch der Junge selber hatte durchaus keine Neigung zu derartigem Studium; zog er es doch vor, die Unterrichtsstunden im Lateinischen, die ihm, wie noch einigen anderen Knaben, der damalige Pfarrer des Ortes, der Pastor Schottin, unentgeltlich ertheilte, zum großen Leidwesen des liebenswürdigen Herrn zu schwänzen und dafür im Freien umherzustreifen. Der eigensinnige Knabe hatte sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, er müsse ein Gärtner werden. Und so geschah es auch. Nach dem Verlassen der Dorfschule, in seinem vierzehnten Jahren wurde er zu dem damaligen Hofgärtner Mulisch in Köstritz in die Lehre gethan, und dort erlernte er die Gärtnerei drei Jahre lang.

Alsdann kam er auf Empfehlung seines Lehrmeisters Mulisch als Gehülfe in den Garten des königlichen, sogenannten japanischen Palais in Dresden. Hier ging plötzlich eine neue Welt für ihn auf: die große Stadt mit all ihrem Leben und ihren mannigfachen Reizen. Im Besonderen waren es die reichen Kunstschätze Dresdens, die auf Herger den nachhaltigsten Eindruck übten.

Aber nicht eben lange war er in Dresden, wo er mit jugendlichen Architekten und Malern in nahe Beziehungen trat, als ihn ein heftiges Unwohlsein, das sich schon während seiner Lehrzeit fühlbar gemacht hatte, aus seiner Laufbahn riß. Durch den Aufenthalt in der feuchten Luft des in unmittelbarer Nähe der Elbe gelegenen Palaisgartens hatte sich Herger das kalte Fieber zugezogen, und nachdem er endlich dank der sorgsamen Pflege, die er im königlichen Krankenhause genossen, von dieser schweren Krankheit genesen war, mußte er seine Stellung und die schöne Stadt auf den Rath der Aerzte verlassen, um sich in der reineren Luft seiner Thüringer Heimath allmählich völlig zu erholen.

Hier, im lieblichen Köstritz, lebte und wirkte damals als Arzt der in weitem Umkreise berühmte fürstliche Hofrath Dr. Schottin, der Bruder des bereits erwähnten Pfarrers, ein seltener Herr, der sich neben viel feiner weltmännischer Art ein weiches, menschenfreundliches Gemüth und trotz der ländlichen Einsamkeit, in der er wohnte, und unter allen Mühen seines praktisch-ärztlichen Berufes ein warmes Interesse auch für die theoretische Seite seiner Wissenschaft, also die Physiologie, nicht minder aber auch für reine Physik bewahrt hatte.

An diesen geist- und liebevollen Mann, der im ganzen Fürstenthum Reuß als ein Magus von naturwissenschaftlicher Weisheit galt, wandte sich auch unser Reconvalescent alsbald nach seiner Rückkehr aus Dresden mit vollem Vertrauen, und wahrhaftig, was er von diesem empfing, war mehr als ärztlicher Rath. Die Lebhaftigkeit von Herger’s Geist, sein scharfer Verstand, verbunden mit einer außerordentlich lebendigen Phantasie, und sein Sinn für wissenschaftliche Fragen jeglicher Art erregten und fesselten sehr rasch des Alten tieferes Interesse, und so führten die anfänglich blos ärztlichen Besuche sehr bald zu einem regen geistigen Verkehre, welcher dadurch, daß sich der Aeltere nicht scheute, über Wissenschaft und Leben sich offen mitzutheilen, den Jüngeren zugleich erhob und zu selbstständigem Nachdenken anfeuerte. Es war ein seltsamer Freundschaftsbund, der so entstand, ein Bund, dem nicht nur der geistige Boden, auf dem er erwuchs, sondern namentlich auch die uneigennützige, werkthätige Fürsorge, die der Aeltere dem Jüngeren fortdauernd bewies, einen wahrhaft idealen Charakter verlieh.

Freilich der gärtnerischen Ausbildung Herger’s war dieser Verkehr nicht sonderlich förderlich; vielmehr lenkte ihn derselbe für eine Reihe von Jahren in ganz fremde Bahnen und führte ihn zuletzt sogar an einen Punkt, von wo nur ein richtiger Instinct und kräftiger Entschluß ihn zur endlichen Rückkehr leiteten.

Der Verkehr mit Schottin war ein wesentlich wissenschaftlicher, und zwar blieb es nicht bei wissenschaftlicher Unterhaltung im Gespräche; bald fingen sie auch gemeinschaftlich zu arbeiten, experimentell zu forschen an, und hierzu bot ein eiserner Mörser die nächste Veranlassung, der durch einen Blitzschlag, der ihn getroffen, zum bleibenden Magneten geworden und an Schottin aus einem oberreußischen Städtchen zur näheren Untersuchung gesandt worden war. Es wäre überflüssig, hier aus einander zu setzen, ob und was bei der Untersuchung jenes Mörsers gefunden ward; genug, daß sich Herger von jener Zeit ab mit wahrhaft erstaunlicher Ausdauer der Erforschung der sogenannten magnetischen Curven hingab, einer Arbeit, die er als neunzehnjähriger Jüngling begann und die er endlich nach fünfzehn Jahren als prächtig vollendetes Werk der Welt vorlegte.

Es war, wie er später oft versicherte, die glücklichste Zeit seines Lebens, damals, als er vom frühesten Morgen bis zum späten Abend einsam in einem Oberstübchen des kleinen väterlichen Hauses, und zwar meist hinter verschlossener Thür, mit Magnetnadel und Reißzeug hantirte; dort zählte er Schwingungen und maß Winkel, bis sich dann allmählich die Resultate seiner mühsamen Zählungen und Messungen in Gestalt von schönen und zu regelmäßigen Systemen vereinigten Curven anschaulich vor dem Auge entfalteten.

Bot so schon das bloße Forschen und Experimentiren Hergern den höchsten, weil reinsten, Genuß, so wurden ihm diese physikalischen Untersuchungen auch noch zu einer Quelle ganz neuer Freuden. Durch sie wurde er mit den berühmtesten Naturforschern, besonders Physikern und Mathematikern damaliger Zeit bekannt, und noch zeugen die Briefe, die er von Fries in Jena, von Wilhelm Weber, von dem Weltreisenden Adolf Erman und von Humboldt erhielt, ja selbst ein. Schreiben von dem größten Mathematiker Gauß, ebenso sehr von dem aufmunternden Wohlwollen, das diese großen Männer dem jungen Forscher entgegenbrachten, wie von der hohen Anerkennung, die sie seinem Fleiße, seiner Experimentirkunst und seinen Erfolgen zollten. Den Glanzpunkt aber in seiner damaligen Lebensperiode und einen steten Glanzpunkt in seiner späteren Erinnerung bildete der auf Schottin’s dringendes Anrathen unternommene Besuch der Naturforscherversammlung zu Jena im Jahre 1836, wo er, vom alten Fries freundlich empfangen, in einer Sitzung der physikalischen Section, der unter Anderem Humboldt und Wilhelm Weber beiwohnten, die erste Reihe seiner prächtigen Tafeln vorlegte und dann durch allseitigen Ausdruck freudiger Bewunderung belohnt ward.

Schottin’s steter Wunsch und geheime Hoffnung gingen dahin, sein junger Freund möge der Gärtnerei ein für alle Male entsagen und ganz die wissenschaftliche Laufbahn ergreifen. Auch Adolf Erman, den Herger ein Jahr nach der Jenaer Naturforscherversammlung in Berlin persönlich kennen lernte, wünschte sehr, ihn ganz für die physikalischen Wissenschaften zu gewinnen; unter Anderem machte er Hergern den verlockenden Vorschlag, er selbst wolle ihn in kürzester Zeit so weit mit den nöthigen Beobachtungsmethoden vertraut machen, daß er an der damals eben bevorstehenden französischen Erdumsegelung unter Dumont d’Urville als physikalischer Beobachter Theil nehmen könne. Dieser Versuchung hat Herger indeß widerstanden. Bedenken sehr ernster Art, vor Allem solche, die ihm durch das Fehlen der nöthigen materiellen Mittel, sowie durch den gänzlichen Mangel einer geeigneten Vorbildung nahe gelegt wurden, gewiß aber auch sein unbändiger Trieb nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_780.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)