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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Gemüth. So ein „guter Gedanke“ des Augenblicks, augenblicklich ausgeführt – das ist eine Ueberraschung, die rasch über uns kommt und beide Theile gleich froh erregt. Wollt ihr auch von solchen echten und urwüchsigen Ueberraschungen ein Beispiel?

Ich äußere am Morgen meines Geburtstages bedauernd, daß unser Sohn heute nicht mit uns sein kann, und wie wir zu Tisch gehen wollen, sitzt der Junge an seinem gewohnten Platze und springt lachend auf, mich zu begrüßen. Der Vater hatte ein Telegramm daran gewendet, um mir die Freude dieses liebsten aller Geschenke zu bereiten.

Solche kleine wirkliche Ueberraschungen können einem dafür empfänglichen Gemüth gar innige Freude bereiten. Darum: Jedem sein Recht und Jedes an seinen Platz, auch die Ueberraschungen!

Und nun noch ein Wort von den Geschenken im Allgemeinen. Wie es nichts Vollkommenes in der Welt giebt, so entsteht auch beim Schenken fast immer ein Zwiespalt, der an den alten Spruch erinnert: „Der Eine hat ’n Beutel, der Andere ’s Geld.“

Der Eine – es giebt Tausende von dieser Sorte! – denkt: Was könnte ich nur wählen an Geschenken? Meine Familienglieder haben und besitzen schon Alles, was sie nur irgend brauchen. Auf das Geld kommt es mir nicht an. Und der Andere – er zählt nach Millionen – denkt: Welches von all den vielen Geschenken soll ich wählen, die ich so gerne geben möchte? Zu welchem von ihnen werden meine geringen Mittel wohl ausreichen?

Ich glaube fast, die letztere Verlegenheit ist die weniger leidige. Denn was dieser „Andere“ auch wählen mag, es wird willkommen sein und Freude bereiten, weil es in das Haus des Armen oder minder Begüterten kommt. Es wird ein Bedürfniß befriedigen, einen lange gehegten Wunsch erfüllen, und dies ist ja doch der Hauptzweck eines Geschenkes. Es wird nicht, wie die kostbare Gabe des übersättigten Reichen, als Plunder zu anderem Plunder gestellt werden.

Mit diesen überflüssigen Gaben des blasirten und raffinirten Luxus wollen wir uns denn auch nicht weiter befassen, sondern lieber überlegen, was wir „Andern“ aus dem besseren Mittelstande unsern Kindern geben wollen. Unsern „Kindern“ sage ich, denn mir schwebt ja vor Allem Weihnachten vor, das wunderliebliche Kinderfest.

Wenn man um die Zeit der Weihnachtsausstellungen durch die Straßen unserer Städte wandert, so möchte Einem diese Frage wohl recht überflüssig erscheinen. Brauchen wir doch nur in den nächsten besten dieser feenhaft ausgestatteten Läden einzutreten, dem dienstfertig herbei eilenden Commis zu sagen, in welchem Alter unsere Kinder stehen, und dann von dem für jedes Alter massenhaft vorgelegten Spielzeug das auszusuchen, was uns gefällt und unsern Mitteln entspricht. In Wahrheit aber ist die Sache nicht so leicht und will mit Verstand geübt sein. In Wahrheit sind die Weihnachtsgaben für unsere Kleinen hochwichtige Erziehungsmittel, und nicht weniger sorgfältig sollten wir Puppen und Bleisoldaten für sie auswählen als Schule und Erzieher.

Gar oft schon mag es vorgekommen sein, daß sich liebende Eltern den Kopf darüber zerbrochen haben, wodurch ihr Töchterchen so eitel und putzsüchtig, ihr Sohn so naschhaft und vergnügungssüchtig geworden ist. Sie haben vielleicht dem Umgange der Kinder oder deren Lehrern die Schuld gegeben; sie haben alle möglichen Maßregeln ergriffen, diesen Fehlern zu steuern; nur an die Grundursache der Verwöhnung an die Geschenke, die sie ihren Kindern geben, haben sie nicht gedacht.

Confect und Süßigkeiten sollten immer für die Kinderstube recht knapp bemessen sein; fast möchte ich jener Mutter Recht geben, die mir einst scherzend sagte: „Ich opfere mich auf und esse alles Zuckerzeug selbst, was meine Kinder von den Verwandten geschenkt bekommen.“

Was die Spielsachen betrifft, so dürfen nur einfach und solid gearbeitete den Kindern geboten werden. Eine von der Mutter selbst angezogene Puppe ist gewiß der theuren Pariser Modepuppe vorzuziehen. Für solch eine einfache Puppe wird das Kind sehr bald lernen, selbst neue Garderobe anzufertigen, und dieses Nähen für die Puppe ist eine gar prächtige Uebung, eine beständige Quelle der Beschäftigung und Unterhaltung. Dazu gehört aber auch, daß die Puppe mehrere Jahre heil und ganz bleibt und das Kind so Zeit gewinnt, sie lieb zu haben. Gar viele unserer schönsten weiblichen Tugenden sind schon an solch einer lieben alten Puppe groß gezogen worden.

Außer der Puppe sollte man nicht viel, aber nur gutes Spielzeug kaufen. Am besten solche Dinge, zu denen man dann alle Jahre etwas hinzufügen kann: Eine Puppenstube, in die jede Weihnachten nur einige wenige, aber gediegene neue Möbel zugekauft werden, für das Mädchen; ein Stereoskop, und alle Jahre ein paar neue Bilder dazu, eine Mineraliensammlung oder den Anfang zu einem Herbarium, das er selbst dann durch Sammeln vergrößern kann, für den Knaben; überhaupt nur solches Spielzeug, mit dem die Kinder sich anregend beschäftigen können. Alles was leicht zerbrechlich oder blos zum Hinstellen und Ansehen da ist, bleibe ausgeschlossen. Obenan wird in dieser Beziehung wohl für alle Zeiten der Baukasten stehen, der mit seinen einfachen Holzklötzchen schon dem zweijährigen Kinde fast ebenso viel Vergnügen bereitet wie dem halb- und ganz erwachsenen Jünglinge. Wer hätte es nicht schon erlebt, daß so ein Bruder oder Onkel unter dem Vorwande, den Kleinen ein Haus zu bauen, sich bei der kunstvollen Zusammenstellung der Klötzchen selbst am besten amüsirte? Dicht an den Baukasten schließt sich der Ball, der Malkasten, späterhin Damen- und Schachbret. Für die kleinen Mädchen giebt es Kochgeschirr, Buchstabenspiel, die unsterbliche Arche Noah mit ihren traditionellen Ungeheuern, die jede Mutter anders tauft; es giebt – im Falle ein Garten zur Verfügung steht – Spaten und Rechen, Cricket- und Kegelspiel; es giebt für die Kleineren alle die wunderhübschen Fröbel’schen Spiele; es giebt endlich für die Kinder beiderlei Geschlechtes eine ganze Literatur hübscher Bilder- und Lesebücher.

Von allen Gegenständen, die zur Selbstbeschäftigung dienen, sind die Bücher meist die beliebtesten und verdienen daher wohl eine besondere Aufmerksamkeit in der Auswahl. Viel Segen oder Fluch können sie unvermerkt in die Herzen unserer kleinen Lieblinge tragen. Wir halten es für einen großen Fortschritt, daß die „unzerreißbaren“ Bilderbücher für unsere Kleinsten von dem ganzen abscheulichen Spuk der alten Struwelpeter-Literatur gesäubert sind. Sie enthalten gegenwärtig meist Gegenstände, die das kindliche Auge ergötzen und den kindlichen Verstand schärfen.

Es folgen dann die A B C- und die vielen kleinen Geschichtsbücher, die man schon einer genaueren Durchsicht unterziehen muß, um dem albernen Geisterspuke oder dem läppischen Unsinn aus dem Wege zu gehen. Wie viel ist in dieser Beziehung noch auszumerzen aus der Kinderliteratur! Das ist ein Thema, das uns hier zu weit führen würde. Eines möge nur noch erwähnt werden: Fabeln kann ein Kind schon frühzeitig in die Hand bekommen; denn die sprechenden Thiere sind pädagogisch nicht zu verwerfen, und kein Kind wird diese Geschichten für Wirklichkeit nehmen. Märchen hingegen würde ich den Kleinen nicht vor dem zehnten Jahre in die Hand geben, und auch dann noch mit großer Vorsicht. Märchen verweben die Wirklichkeit so eng und so unmerklich mit der Dichtung, daß ein Kind schon gereifteren Verstand besitzen muß, um die Grenze zwischen denselben zu erkennen und die Schönheit eines Märchens zu begreifen. Aeltere Kinder mögen die wunderlieblichen Märchen von Andersen, Hauff und Anderen immerhin lesen, aber nicht als ausschließliche Lectüre, sondern gleichsam als Confect, als Nachtisch der kräftigeren Kost.

Für solche kräftige, Gemüth und Verstand speisende Kost sorgt in unsern Tagen eine solche Fülle guter Jugendschriften, daß es schwer wäre, einzelne Titel heraus zu greifen. Das prüfende Elternauge wird leicht das Passende finden. Auch hier aber gilt dieselbe Regel wie bei den Spielsachen: Lieber nur ein Buch, aber ein gutes!

Mögen die Eltern sich nicht blenden lassen durch die jetzt so häufig ausgebotenen Massen-Zusammenstellungen, durch den Schwindel von Annoncen, wie: „Zwölf schöne Kinderbücher für drei Mark“ oder: „Vierundzwanzig prachtvolle Bücher für fünf Mark“! Es werden unter diesen Sammlungen sicher nicht mehr als eines oder zwei wirklich gute, brauchbare Bücher sein, und wir thun unsern Kindern eine große Liebe, wenn wir die elf respective zweiundzwanzig andern in den Ofen stecken. – Mit diesem Rath wollen wir unsere Gedanken über Geschenke und Ueberraschungen schließen und nur noch allen Gebern und Empfängern, Groß und Klein, recht fröhliche Weihnachten wünschen.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_779.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)