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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
15. Ueberraschungen und Geschenke.

Wieder einmal nähern wir uns der lieben Weihnachtszeit, dieser Zeit der Geschenke und Ueberraschungen, des fröhlichen Gebens und Nehmens.

Die „vernünftige Hausmutter“ weiß, wie nur irgend Eine, die köstliche Poesie freudig zu schätzen, welche das deutsche Herz dem mit Tannengrün und Flittergold geheimnißvoll in’s Land ziehenden Weihnachtsfeste entgegenbringt; sie wünscht so innig, wie vielleicht keine Zweite, unserem Volke diesen mitten in der Winteröde sprudelnden warmen Born kindlicher Herzensfreude heute und immerdar erhalten zu sehen – aber sie kann ihre Augen auch nicht verschließen gegen einige Verkehrtheiten und Mißbräuche, welche sich bei uns in Deutschland mehr als anderswo an das schöne, liebe Weihnachtsfest knüpfen und nur allzu oft Mißbehagen und Kummer säen, statt Lust und Fröhlichkeit. Und auf diese Schatten, die das sonst so lichterfüllte Fest wirft, möchte sie im Folgenden flüchtig die Blicke richten, um abzuhelfen und zu bessern.

„Was soll ich nur meinem Manne, meinem Sohne, meinem Vater zu Weihnachten schenken?“ tönt es heute allerorten in den verschiedensten Variationen; denn der weibliche Theil der Familie ist schon leichter zu befriedigen – aber die Herren! Ach, die Herrengeschenke, so mühsam und kostspielig und so ganz verkehrt angebracht! Alle diese von zarter Hand verfertigten Schuhe und Pantoffel, Uhrhalter und Jagdtaschen, das ganze Heer von Reisegeräthschaften, Rauch-, Spiel- und Jagdrequisiten, kommen sie wohl immer an die richtige Adresse und kauft man sie nicht meistens viel hübscher, billiger und brauchbarer im nächsten Laden?

Sagt es Alle, die ihr Weihnachtsarbeiten gestickt habt, ob nicht jede dieser Arbeiten von manchem Seufzer, ja oft gar von heimlichen Thränen berichten kann? Freilich wird man mir erwidern: „Der Augenblick des Gebens macht Alles wieder gut; der froh überraschte Blick, der herzliche Dank des glücklichen Empfängers ist reicher Lohn für alle Mühen und Sorgen.“

Wie aber, wenn sogar dieser schwer erkämpfte Lohn euch fehlt, wenn statt froher Ueberraschung in dem geliebten Auge des galanten Bräutigams eine verlegene Frage zu lesen steht, wenn er sein mühsam erzwungenes: „Ach, wie hübsch!“ herauspreßt und dann verwundert fragt, wozu aber eigentlich dieses Ding gebraucht wird, über welches er sich pflichtschuldigst so sehr freuen muß. Vielleicht sah er das schöne Geschenk für eine Schlafmütze an und erfährt zu seinem Erstaunen, daß es ein Trinkbecher ist.

Das sind wohl Augenblicke bitterer Enttäuschung, und welche von uns Frauen hätte solche Momente nicht erlebt? Und ist es mit der richtigen Wahl des Geschenks ein mißliches Ding, so ist es dies mit der Ueberraschung meistens nicht weniger.

Suchen wir uns doch einmal klar zu machen, was eine Ueberraschung eigentlich ist und was sie vorstellen soll. Schon der Name spricht es aus: sie ist ein rascher Einfall des Augenblickes, der unerwartet über uns kommt und jenes freudige Staunen auf das menschliche Antlitz zaubert, das man so gern bei Anderen hervorruft und mit so eigenthümlichem Genusse auf fremden Gesichtern beobachtet.

Wenn aber ein Familienvater schon wochenlang bei der Heimkehr stets verlegene Mienen und eilig versteckte Arbeiten gesehen hat, wenn er wohl gar erst um das Geld für das ihm bestimmte Geschenk gebeten wurde, oder nachträglich die Rechnung dafür bezahlen muß, wie kann da überhaupt noch das Wort „Ueberraschung“ in Anwendung kommen?

Denkt man nicht unwillkürlich an die naive Bitte unserer Kinder:

„Nicht wahr, Mama, Du vergißt es wieder?“

Mit ernsthafter Miene verspricht die Mutter dem gekränkten Liebling, sein zu früh erschautes „Geheimniß“ wieder zu vergessen, und ist der festliche Tag gekommen, für den dasselbe bestimmt war, so läßt sie sich durch das Nadelkissen, den Lampenteller oder die Zeichnung, die sie wieder „vergessen“ hatte, vollständig „überraschen“.

Wollen wir unseren vielgeplagten Gatten, Vätern und Brüdern die gleiche kindische Komödienspielerei zumuthen? Ist es nicht viel angenehmer für alle Theile, wenn nahestehende Familienglieder sich einfach fragen: „Was wünschest Du Dir?“ Es muß nur nicht mit der plump in’s Haus fallenden Manier einer unverhüllt gestellten Frage geschehen. O, es giebt der lustigen Schleichwege und verkappten Fühlhörner genug, mittelst welcher solche Wünsche lieber Menschen zu erforschen sind. Und hat man dann glücklich spionirt und ist ein Gegenstand gewählt worden, der auch wirklich ein vorhandenes Bedürfniß befriedigt – ich sollte meinen, was da trotz aller Vorsicht des klugen Hinhorchens vielleicht an Ueberraschung fehlt, wird reichlich ersetzt durch wirkliche, ungeheuchelte Freude. Und wie viel Verkehrtheiten werden dadurch vermieden!

Wie kann sich zum Beispiel eine Hausfrau wirklich und herzlich freuen, wenn ihr der Gatte einen Parfümkasten oder eine kostbare Briefmappe schenkt, während sie sicher auf ein warmes Winterkleid gehofft hatte? Oft, sehr oft trübte die verkehrte Ueberraschung die Freude des Empfängers, anstatt sie zu erhöhen, was doch ihr Zweck ist.

Ich erinnere mich einer alten Tante, die zu Weihnachten gar nichts anderes als fünf Dutzend Taschentücher von fünf verschiedenen Verwandten bekam. Sie hatte einmal zufällig geäußert, daß sie welche brauche, und dieser Wunsch wurde so bereitwillig aufgefaßt, daß sie für alle kommenden Schnupfen ihrer alten Tage nun versorgt ist. – Ihr zur Seite stellen kann ich eine Braut, die als Hochzeitsgeschenke sieben Uhren bekam! Bei diesem jungen Paar ist wenigstens anzunehmen, daß sie stets wissen werden, was es bei ihnen geschlagen hat. Solche Fälle mahnen denn doch zu zarter Feinhörigkeit und tactvoller Spionage.

Nicht nur bei Geschenken, auch sonst im Leben ist es mit dem „Ueberraschen“ oft eine mißliche Sache. Wie wunderselten – um das häufigste Beispiel zu wählen – gelingt es uns ganz, unsere Lieben durch unsere unerwartete Ankunft freudig zu überraschen. In neun Fällen von zehn wäre die Freude über den Gast viel inniger gewesen, wenn er sich vorher angemeldet hätte. Wie herrlich ist es, sich Tage lang auf solch lieben Besuch zu freuen! Man richtet mit Eifer und Bedacht das Stübchen für ihn ein; man sinnt über ein Vergnügen, das man ihm bieten, über die Gegenstände, die man ihm zeigen, über die Ereignisse und Fragen, die man mit ihm besprechen will. Alle nöthige Arbeit wird vorher erledigt, und man weiß sich frei von Geschäften zu machen für die Zeit seines Aufenthaltes. Nun ist der Tag gekommen. Unter froher Aufregung rückt die Stunde immer näher; kaum kann man es noch erwarten, bis der Wagen angefahren kommt und der liebe, wohlbekannte Schritt auf der Treppe sich hören läßt. Wer jemals alle diese hundert kleinen Schattirungen und Abstufungen des frohen Erwartens durchgekostet hat, der wird sie nicht hergeben wollen für den einen einzigen Augenblick, wo plötzlich die Thür aufgeht und uns beim Anblick des überraschend Ankommenden fast etwas wie lähmender Schrecken befällt, der erst allmählich dem wirklichen Vergnügen Raum giebt.

Schon im Freudenrufe des ersten Willkommens zittert es leise durch unser Denken: „Wie schade, daß ich morgen Gäste habe,“ – „daß mein Mann eben verreist ist,“ – „daß wir gerade heut die große Wäsche anstellten“ – oder wie alle die vielen „daß“ und „wenn“ heißen mögen, die gleich fernen Nebelbildern in solchem Augenblick an uns vorüberziehen.

Noch seltener aber gelingt die Ueberraschung einer absichtlich verfrühten Ankunft. Nehmen wir an: Der Vater des Hauses würde zum Abend erwartet und käme zur „Ueberraschung“ schon Mittags an. Da kann er sicher sein, in seinem Zimmer eben das schönste Scheuerfest und den Mittagstisch karg bestellt zu finden; denn Alles wurde ja für den Abend gespart – und wenn er auch selbst auf das Heiligste betheuert, daß ihn nichts von allen diesen Unannehmlichkeiten stört, seine Frau stören sie doch, und verderben ihr alle die schönen Pläne, die sie mit so viel Liebe ausgedacht und vorbereitet hat. Wohl freut sie sich der Heimkehr des Gatten, der – „Ueberraschung“ aber freut sie sich nicht.

Eine Ueberraschung ist nur dann ganz und gar am Platze, wenn der Einfall selbst uns „überraschend“ gekommen ist. Dann spricht er auch unmittelbar aus dem Herzen und trägt die ganze prickelnde, zündende Gewalt des Frohseins hinüber in das befreundete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_778.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)