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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Der Kopf des Barons verschwand in der Stube, wo er vergnügt die Hände auf dem Rücken herum ging, indeß die Leute sich in großer Aufregung zerstreuten. Es war ein richtiger Demagogenstreich, den der alte Kauz ausgebrütet hatte; einen Fehler zeigte die Rechnung freilich auf den ersten Blick: der Baron glaubte im Recht zu sein, wenn er die Plünderung auf dem Felde erlaubte, was keineswegs der Fall war. Ihm selber konnten daraus übrigens keine Verlegenheiten weiter erwachsen, Wohl aber den Leuten. Der Einzige, der das begriff, war der Radmacher. Er war etwas zu spät gekommen, um die Rede des Barons noch zu hören, aber er wußte eine Minute nach seinem Zusammentreffen mit den aus dem Thor strömenden Dorfbewohnern, um was es sich handle.

„Unser alter Heer weiß da nicht recht Bescheid,“ warnte er; „Ihr müßt vorsichtig sein.“

„Das ist dem Herrn seine Sache.“

„Nein, das haben wir zu verantworten. Und das hilft doch nun mal nichts; wir müssen für den jungen Herrn arbeiten; das mit den Juden ist nur so ’ne Vorspiegelung. Und wenn wir nicht arbeiten, verdienen wir nichts; der alte Herr hat gut reden; er kann uns nichts geben, er hat selber nichts mehr.“

„Sie müssen ihm doch was abgeben.“

„Das reicht aber nicht für uns Alle – das müßt Ihr doch einsehen.“

„Wir werden ja sehen. Andere Arbeiter kriegen sie nicht, und im Frühjahr gehen wir nach Amerika.“

Der Gedanke an die Auswanderung schlug durch; denn die Auswanderung nach Amerika ist der Traum der Nächte jener armen Tagelöhner; er bedeutet ihnen das Zusammentreffen mit vorausgegangenen Verwandten, Selbstständigkeit, eignen Besitz. – alles, was den Blumenstrauß ihrer Wünsche zusammensetzt. Jeder Brief, der von drüben anlangt, belebt den Traum auf’s Neue; jeder Auswanderer von gestern verdoppelt auf eine Weile die Kraft des Magneten. In diesen Gegenden giebt es noch ein Amerikafieber.

Ein Dutzend Leute etwa zog der Radmacher auf seine Seite, zaghafte, friedliebende; die anderen ergaben sich Drewes, dem Statthalter, welcher für den Baron war und selbst in unmittelbarem Dienste des Gutes stand. Stehlen gingen sie fast Alle: Kraut, Rüben, Kartoffeln, Heu, Getreide von den Diemen. Man schleppte den ganzen Tag, und nur die Dürftigkeit der Transportmittel und Gelegenheit zur Unterbringung verhinderten einen Raub in fühlbarerem Maßsstabe. Am Abend trug Drewes eine lange Liste zum Baron, und die auf derselben Verzeichneten machten dem Schänkwirth bis tief in die Nacht zu schaffen.

„Das gibt ’nen schlimmen Anfang für den jungen Herrn,“ sagte der Radmacher zu seiner Frau. „Aber ich will ihm beistehen. Daß auch das Anne-Marieken dem alten Herrn nicht abgerathen hat!“

„Sie wird es schon gethan haben,“ meinte die Frau. „Alles bringt sie auch nicht fertig.“

Am späten Nachmittag verdunkelte sich der Eingang zur Werkstatt des Radmachers plötzlich, und als er aufblickte, sah er Anne-Marie von Lebzow stehen. Er legte das Schnittmesser bei Seite, mit dem er Kienspäne schnitt, um ihr die Hand zu reichen. Ihr frisches Gesicht war ungewöhnlich ernst und bekümmert.

„Radmacher, ich wollte wegen des Onkels mit Euch reden. Ihr seid ein vernünftiger Mann: glaubt Ihr, daß er da etwas Gescheidtes angestellt hat?“

„Das glaube ich eben nicht, gnädiges Fräulein; ich wenigstens lasse mich darauf nicht ein.“

„Aber wie er’s darstellt, könnte man doch weder ihm noch den Leuten etwas anhaben.“

Der Radmacher strich sich über den krausen röthlichen Vollbart. Er war ein stattlicher Mann von ruhiger Haltung, bis auf die lebhaften Augen der Typus des blonden Nordländers.

„Kann sein – auch nicht, sagte Riedel, da lebte er noch,“ war seine lächelnde Antwort. Dann wurde auch er ernst. „Ich glaube, es ist nicht recht, daß die Leute Allerlei auf dem Felde zusammenschleppen, und was den Herrn Baron betrifft, so können sie ihm wohl zur Strafe die Wohnung auf dem Gute nehmen, daß er wegziehen müßte. Er hat auch das Geld nicht, um das durchzuführen.

„Mein Gott, ich glaube, das wäre sein Tod,“ rief Anne-Marie erblassend. „Nur daß er auf dem Gute bleiben darf!“

„In das ist so ’ne Sache. Der junge Herr steht nicht so aus, als ob er sich das gefallen ließe.“

„Der Onkel läßt sich aber nichts sagen, Radmacher,“ meinte sie plötzlich, und in ihrem Gesichte spiegelte sich schwer bekämpfte Verlegenheit, „Ihr müßt mit meinem Vetter Boddin reden. Er muß Geduld haben mit Onkels Launen. Sagt ihm, er soll’s nicht zum Aeußersten treiben, soll mit den Leuten vernünftig verhandeln; er gewinnt wohl einen nach dem andern und erhält sich hier die Arbeiter, die er doch sonst schwer bekommen kann. Der Winter ist vor der Thür; vom Felde ist fast Alles herein; das Ackern besorgen die Knechte; mit dem Dreschen wird er auch notdürftig fertig. Da kann er’s schon mit ansehen. Rührt ihm das Herz, Radmacher! Es handelt sich um einen alten Mann, der sein Verwandter und schwer verbittert ist, und ein Sonderling dazu.“

Sie hatte sich roth vor Erregung gesprochen und der Radmacher ihr mit geheimer Freude. zugehört.

„Sie sollten das dem jungen Herrn selber sagen, gnädiges Fräulein; Sie können das doch viel bester, als ich,“ meinte er mit einem Anflug von Schelmerei.

„Um Gotteswillen, er darf nicht erfahren, daß ich Euch das gesagt habe, Radmacher – hört Ihr wohl? Um keinen Preis! Er thäte das Gegentheil, um mich zu ärgern.“

„Na, da will ich schweigen Aber da muß er ein sonderbares Menschenkind sein. Wollen Sie nicht ein bischen zu meiner Frau gehen? Sie würden ihr eine große Freude machen.“ – –

Gegen Abend kam noch ein anderer Besuch zu Radmachers, der Schulmeister Mederow. Zwar hatte er schon unter den Kindern Nachmittags über eigenthümliche Vorgänge im Dorfe munkeln hören, aber erst von dem Maurer erfahren, um was es sich handelte. Er war verstört und zog das hagere Gesicht mit dem dünnen Backenbärtchen sorgenvoll in die hohen Vatermörder zurück.

„Das ist schlimm für mich, Heer Radmacher! Das Bedürfniß eines Schweinestalles erheischt dringende Befriedigung, aber nun ist wohl für diesen Winter jede Aussicht geschwunden. Ich meine so, Herr Radmacher: des alten Herrn Barons Gnaden werden und können mir nunmehr das Gelaß für die Thiere nicht mehr bauen; der neue Herr aber, den ich für meinen Theil gern willkommen heiße um christlicher Ordnung willen als rechtmäßige Obrigkeit, wird durch die Widerspenstigkeit des Dorfes in solchen Zorn versetzt werden, daß er als Entgelt für die ihm widerfahrene Unbill sich weigern wird, Handreichung zu thun, um wieder herzustellen was in Trümmer gesunken ist.“

Das flackernde Licht des Kienspans lief wie ein feuriger Thränenstrom über die ernsthaften Züge des Schulmeisters, während er dies auseinandersetzte. Der Radmacher tröstete ihn, indem er versicherte, der „junge Herr“ scheine ihm ganz verständig zu sein, wenn er auch etwas „lateinisch“ aussähe; er wolle so wie so mit ihm reden und werde sich dabei auch des Schweinestalles annehmen. Allein das verfing wenig.

„Auch daß wir ihm keinen festlichen Empfang bereiten,“ fuhr jener kopfschüttelnd fort, „wird dem neuen Gutsherrn eine Kränkung sein. Wie gern hätte ich den Kindern ein Liedchen eingeübt und für mich eine kleine Ansprache ausgearbeitet; nicht minder wäre einiger Schmuck zum Streuen und Bekränzen zu beschaffen gewesen. Es hätte sich da vielleicht ein Wort, das die vernichtete Baulichkeit betraf, an guter Stelle einflechten lassen und in dem Augenblicke herzlicher Rührung der Wirkung nicht verfehlt. Nun ist diese Hoffnung geschwunden.“

„Ja, können Sie denn das nicht in der Schule abmachen Herr Mederow?“ fiel hier die Radmacherin ein, welche, an ein Paar Strümpfen strickend, bei den Männern saß. „In die Schule muß er ja doch wohl mal kommen; veranstalten Sie doch da was!“

„Das war ein guter Gedanke zu rechter Zeit, Frau Radmacherin. Wohl dem, der ein verständiges Weib hast Herr Nachbar! Das werde ich wirklich thun.“

Seine Züge hellten sich auf; der Verklärungsglanz einer Offenbarung schien auf ihnen zu liegen, und diese versetzte doch zugleich den würdigen Mann in eine nervöse Unruhe. Es litt ihn nicht mehr in der Stube, und er empfahl sich.



(Fortsetzung folgt.)

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