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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Onkel Albrecht in Teterow ist ja auch Deines Vaters Sohn, und der Vetter Curt wird schon so für Dich sorgen, daß Du nicht arm bist.“

„Sieh mal, das schmerzt mich, mein Döchting, daß Du so was sagst. Was mein Bruder, der Teterower, ist, den rechne ich gar nicht zur Familie, der ist auf die Hörtjes geschlagen – das sind reiche Holländer, von denen meine Mutter herstammte. Ich habe ihn auch von meiner Jugend her nicht leiden können; denn er ist ein Cujon, der mich immer geärgert hat. Und was seinen Sohn anbetrifft, das ist ein Rindvieh; der hat gar nichts für mich zu sorgen; der hat mir mein Theil auszubezahlen was mir zukommt. Laß Dich mit dem Kerl nicht ein, Anne-Marieken! Das ist so’n Glattschnacker; der redet Dir was vor, und nachher läßt er Dich sitzen –“

„Aber Onkel,“ rief Anne-Marie verwirrt, „wie kommst Du auf diese Idee! An so Etwas denkt Keiner von uns Beiden. Er hält mich für ein dummes Dorfmädchen und ich ihn für einen unverschämten Menschen. Wir sind schon ganz zerfallen mit einander, und ich rede kein Wort mit ihm und gehe ihm aus dem Wege, wo ich kann.“

Sie trat von dem alten Herrn zurück, der lebhaft aufsprang und, sich mit einem großen rothen Taschentuche über das Gesicht wischend, ein Mal über das andere ausrief:

„Das ist recht, das ist recht, mein Döchting; nein, das ist mir ’ne wahre Herzensfreude. Und nun sollst Du mal sehn, wie wir den Curt ärgern; ’n Spaß wird das‚ Kumm man ranner!’ sägt Zanner. Und morgen früh geht das los.“

Er ging mit den klirrenden Sporenstiefeln hin und her, rieb sich die runzligen Hände und hatte die ganze weichmüthige Stimmung überwunden.

„Aber Du nimmst Dich doch in Acht, Onkelchen, daß sie Dir nichts anhaben können?“ sagte Anne-Marie ängstlich.

„I wo werd’ ich nicht! Geh nur ganz ruhig zu Bett! Du hast Dich heut’ etwas übernommen. Steck mal das Licht an, Döchting!“

Noch geraume Zeit hörte ihn Anne-Marie von ihrem Zimmer aus herumwandern und Selbstgespräche halten. Sie stand vor dem Spiegel, ehe sie sich auszukleiden begann, in dem einfachen Kleide, das sie für’s Durchstöbern der staubigen Acten statt des eleganteren eingetauscht, und betrachtete sich aufmerksam. Sie lächelte, machte ein ernstes, dann wieder ein hochmütiges Gesicht, strich sich das strohblonde Haar tiefer in die Stirn und wieder hoch, daß das kleine wilde Gekräusel über der Stirn volle Freiheit erhielt; sie ließ, die Lampe in der Hand, den Schatten so und anders wirken und hielt am längsten an, als er das feine Grübchen im Kinn vertiefte. Alles das geschah nicht kokett, sondern mit prüfender Gewissenhaftigkeit.

„Gott – häßlich bin ich doch eigentlich nicht,“ flüsterte sie dann vor sich hin; „und dumm sehe ich auch gerade nicht aus, oder wie ein Kind. Ich begreife wirklich nicht, warum mich Curt so von oben herunter behandelt. Es ist zu peinlich, wenn wir nun wochaus, wochein mit einander auf dem Kriegsfuße stehen sollen. Aber gefallen lasse ich mir nichts.“ – Und dann dachte sie: „Dem Onkel hat er eigentlich direct nichts zu leide gethan, und er ist übrigens im Recht gegen ihn. Da sollte der doch den Widerstand nicht zu weit treiben.“ – Endlich begann sie die Nadeln aus dem Haar zu ziehen und lachte heimlich auf, nachdem sie einen tiefen Atemzug getan. „Die Hedwig ist köstlich!“

Der Morgen kam. Das Hofthor knurrte und ließ mit Gerät beladene Gestalten ein; die Botschaft des Barons flog von Mund zu Mund. Sie ward jedem neuen Ankömmling aus den am Thore harrenden Gruppen entgegengerufen und fast von jedem ungläubig begrüßt. Zuletzt lief man in’s Dorf und holte zusammen, was etwa noch vermißt wurde. Das seltsame Ereigniß war der Gegenstand verschiedener Muthmaßungen, welche dahin gipfelten, daß der alte Herr wohl „abdanken“ werbe.

„Ist denn der junge Herr da?“

„Nein, er ist gestern mit dem Landrath gefahren und noch nicht wiedergekommen“

„Das ist doch merkwürdig; der muß doch dabei sein.“

„Vorm Fenster vom alten Herrn sollen wir stehen? Das geht ja gar nicht wegen der Nesseln“

„Wir wollen ein Theil umhauen,“ commandirte Drewes. „Das alte Zeug steht auch für nichts da.“

Ein paar Leute nahmen ihre Sensen und hieben hinein; die anderen sammelten sich als Zuschauer. Bald war Platz geschafft und das Kraut zusammengehackt. Als die Uhr, welche Drewes in der Hand hielt, sieben zeigte, waren gegen hundert Leute da bei einander und blickten neugierig auf den Laden vor dem Eingangsfenster des Barons, welchen der Gutswächter, wie immer, in der Nacht geschlossen halte.

Kurz nach sieben wurde drinnen das Fenster aufgeschoben; der Laden flog auf und das Gesicht des alten Herrn nickte befriedigt heraus.

„Guten Morgen, Herr Baron!“ „Guten Morgen, Kinder!“

Einen Augenblick musterte er blinzelnd die Menge; dann blickte er prüfend nach dem Wetter. Er hatte wieder den grünen Rock mit Messingknöpfen an und das Tuch um den Hals gebunden, und sein Haar war wirr und struppig. Die Leute standen so still, daß man sein kurzes Schnaufen genau hörte.

„Ich habe Euch hierher bestellt,“ hub er endlich an, „wegen einer wichtigen Sache, und es ist mir lieb, daß Ihr Alle gekommen seid, indem daß ich daraus sehe, daß Ihr mich doch noch für Euren Herrn haltet, und das bleibe ich denn auch, ausgenommen die Leute, die hier auf dem Hofe dienen, was Knechte und Mägde sind, und was erst kündigen muß, wenn’s aus dem Hofdienst gehen will – denen habe ich nichts mehr zu sagen. Denn sie haben mir mein Gut abgenommen, weil ’n paar verdammte Juden in Demmin gegen mich klagbar geworden sind, und nun haben sie’s meines Bruders Sohn ans Teterow übergeben, daß er’s in Verwaltung nehmen soll, und der ist denn auch so schlecht gegen seinen eignen Vatersbruder und tut das. Was also die Leute sind, die müssen ihm nun mal pariren, da hilft das nichts, sonst werden sie eingespundet, hat mir der Herr Landrath gesagt. Die können höchstens kündigen. Aber Euch andern hat er nichts zu sagen, wenn Ihr nicht freiwillig aus meinem Dienst in seinen geht. Ihr seid nun viel über dreißig Jahre bei mir in Lohn und Brod gewesen, und nun will ich mal fragen, wer von Euch seinen alten Herrn verlassen will und auf die Seite treten, von der ihm Schimpf und Schande erwachsen ist. Ich wollte auch nichts darüber sagen, wenn Ihr wirklich für meinen Bruderssohn die Arbeit aufnehmen solltet. Aber was das Gut einbringt, das kriegen alles die vedammten Demminer Juden, die Halsabschneider, und für die arbeitet nun einer aus meiner leiblichen Verwandtschaft, und Ihr sollt nun auch für sie arbeiten“

Der Baron machte eine kurze Pause, und das ärgerliche Gemurmel unter den Leuten überzeugte ihn, daß seine Worte den gewünschten Erfolg hatten.

„Ich habe nun freilich nichts für Euch zu thun; ich will Euch aber das geben, was Ihr braucht, damit Ihr nicht hungern müßt. Mein Bruderssohn hat das Gut noch nicht angetreten und Ihr könnt Euch vom Felde das aufsammeln, daß Ihr eine Weile genug habt – das erlaube ich Euch, aber blos, wenn einer bei mir bleiben will. Sie hätten nun wohl ein Recht, Euch die Wohnung zu nehmen – das ist aber unmöglich; denn da müßten sie Euch von Gemeindewegen unterbringen, und dazu ist kein Raum da. Sie könnten hier auch andere Arbeiter nicht kriegen; wenn hier aber keine Arbeiter sind, da sind sie mit ihrer Weisheit am Ende und müssen thun, was ich will, und da glaube ich wohl, daß sie mir zuletzt noch mein Gut zurückgeben. Aber wenn das auch nicht wäre und sie hülfen sich mit der Arbeit hin, bis sie Arbeiter aus Schweden kriegten, dann gebe ich Euch das Geld, daß Ihr nach Amerika auswandern könnt, was freilich erst im Frühjahr möglich ist. und nun, meine alten Kinder, was wollt Ihr: daß ich Euer Herr bleibe, oder daß Ihr für die Demminer Juden arbeitet und daß die Euch commandiren lassen?“

„Unser Herr Baron soll leben!“ rief eine Stimme, und sie fand reichliche Nachfolge. „Wir wollen keinen andern Herrn!“

„Das ist mir lieb, Kinder, das ist mir sehr lieb zu hören. Ihr könnt Euch das aber in Ruhe überlegen; ich will keinen Zwingen daß mir keiner nachher abfällig wird. Drewes – komm mal her, mein Sohn! Ich habe hier ’nen Bogen Papier, den kannst Du in die Schänke legen, und da soll sich jeder aufschreiben, der zu mir halten will, und heute Abend bringst Du mir das. Nun dank’ ich Euch auch vielmal, Kinder. Jochen – ach, der ist nicht da – Drewes, laß mir mal in einer Stunde mein Pferd satteln!“

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