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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Noch wenig geordnet, bewegte der Zug sich zum Marktplatze hinauf. Altersgraue Kirchen, Wappenschilder in Stein gehauen Denkmäler der ersten Herrscher, Thore, Zinnenmauern traten wirksam hervor zwischen den modernen Häuserreihen, die sich hinter Laubgewinden, Flaggenmasten Teppichen halb verborgen hatten. Dennoch überraschte der Marktplatz die Ankömmlinge. Die mächtige Front des gothischen Rathhauses grenzt ihn ab, eine alte gothische Kirche wendet ihre Spitzbogenfenster, ihr Portal ihr zu, und auch hier trat das Moderne zurück hinter dem bunten Festschmucke des Tages.

Dieser herrliche Raum, den Kunstgenossen völlig offen gehalten, bildete den prächtigen Rahmen zu dem ersten Acte des Costümfestes; es entfaltete sich hier ein Bild, das der sinnige formgewandte Meister Woldemar Friedrich in einem der reizenden Bilder, welche diese Schilderung schmücken, mit bezaubernder Poesie festgehalten hat (vergleiche Abbildung S. 788!). Auf dem hohen Steinsöller schmetterte eine mittelalterliche Musikbande den Ankommenden ihre Fanfaren entgegen. Auf der breiten Terrasse vor dem Portale des Stadtpalastes stand der Bürgermeister in Patriciertracht des sechszehnten Jahrhunderts, die goldene Ehrenkette um den Hals, umgeben von seinen Schöffen, wie von den festlich angethanen vornehmsten Bürgern der Stadt. Stattliche Patricierfrauen und eine Schaar rosiger junger Meißnerinnen in himmelblauen Gretchen-Kleidern, Blumenkörbe in der Hand, erwarteten zugleich mit den Männern das Nahen der Festgäste. Diese zogen in langer Reihe auf, vor das Rathhaus hin. Jetzt erst war aus den schönen Einzelgestalten ein Bild geworden. Die strengeren gesellschaftlichen Satzungen, die schärfer markirten Standesunterschiede jener früheren Jahrhunderte blieben indessen auch hier gewahrt. Ritter in glänzenden Rüstungen; mit wallender Helmzier, einige hoch zu Roß, edle Frauen, geführt von den Sprossen vornehmer Geschlechter, begleitet von schönen Jünglingen und Knaben, entfalteten eine Pracht köstlicher Stoffe: Sammet und Brokat, schwere gemusterte Seidenstoffe, Gold, Edelstein und Federn – all diese Pracht erschien weder maskenhaft noch theatralisch, sondern völlig echt und treu. Dann folgten die Patricier, darauf die Bürgersleute mit ihren Frauen in schweren Wollenstoffen, mit breiten Hauben, hohen Kragen, gefältelten Schürzen, prächtige und sittsame Mädchenknospen ihnen zur Seite.

Aus diesem farbenreichen Gewühl hoben einzelne Gestalten sich besonders hervor, Damen von hoher Schönheit und Ritter in schwarzem mit Silber und Gold eingelegtem Stahlkleide, Reisige, Condottieri mit zerschlitzten Pluderkleidern und verwetterten Gesichtern. Immer neuer Zuzug langte an aus verschiedenen Richtungen, unter ihnen Landsknechte, Jagdgesellen und zuletzt Meißner Landleute. Diese Letzteren waren Weinbauer, Winzer und Winzerinnen, die sich zum Feste schmuck gerüstet hatten. Ein mächtiges mit Rebenlaub bekränztes Stiergespann zog den Karren, auf dem, zwischen Weinranken, Früchten, Emblemen gruppirt, die Winzer des Landes mit ihren Dirnen munter zechten und also fröhliches Leben in die vornehme Welt brachten. Damit hatte die Mannigfaltigkeit, die Farben- und Formenfülle der festlichen Gruppen sich zu höchster Wirkung gesteigert.

Der Bürgermeister hieß die Bläser schweigen, trat an den Rand der Plattform und begrüßte die Gäste mit herzlichem Zuspruch, dankte für ihr Erscheinen in der ehrwürdigen Fürstenstadt und forderte zum Bleiben auf. Kaum hatte man dankend geantwortet, kaum das Klirren der Schwerter, das Schwenken der Barretts und Federhüte, das Hochrufen geendet, da sprengte ein Heroldszug von der Albrechtsburg herab, durch den alten, von Gnomen mit greisen Bärten behüteten Thorbau, um die Botschaft des kurfürstlichen Burgherrn zu verkünden, der alle Gäste hinauf in sein Schloß lud. Nun ordnete die bunte mittelalterliche Welt sich auf’s Neue; auf’s Neue wogte malerisches Gewühl die engen steilen Gassen hinan durch schwere Thorbogen, über Zugbrücken an altem Gemäuer vorüber auf den Burghof. Wieder eine Steigerung des Genusses! Die Albrechtsburg in Meißen gehört zu den würdevollsten und interessantesten Palastbauten aus gothischer Zeit. Der innere Hof derselben wird umschlossen von der mächtigen Gewölbemasse des Domes, von der Hauptfront des alten Schlosses, aus der hohe Giebel, schlanke Dacherker hervorspringen während das Ganze reizvoll belebt wird durch tiefe Spitzbogenblenden und den „Wendelstein“, die zierliche Wendeltreppe, die sich frei und fein gegliedert zwischen Spitzbogenwerk außen an die Baumasse anlehnt. Zur andern Seite grenzt ein Bau von offenen Loggien, mit Erkerthurm und Nische, eine lebhaft profilirte Front, das Geviert ab, in das die Gäste einzogen.

Gegenüber dem Eingange zum Burghof war eine Estrade errichtet, überdacht mit kostbarem Baldachin von Purpur und Gold, der sich auf schlanke Metallsäulen stützte und dem ganzen Hofstaate des improvisirten Kurfürsten ein prachtvolles Schutzdach gewährte, ganz wie unser trefflicher Künstler sie den Lesern heute in seinem prächtigen figurenreichen Bilde (vergleiche Abbildung S. 789!) so meisterhaft zur Anschauung bringt. Auf goldenen Sesseln thronte der Fürst und sein stattliches Gemahl; Damen edler Geschlechter, die Großen des Hofs, Kämmerer und Mundschenk, Kanzler und Marschall, Edelknaben und holde Jungfrauen umgaben das Herrscherpaar, vor dem jetzt die Geladenen aufzogen. Alle waren gekommen: außer Rittern, Patriciern und Bürgern aus der Ferne auch der Bürgermeister mit seinen Schöffen und Trabanten die Meißener Jungfrauen, die Spielleute, die Landsknechte, Jagdgesellen und der Stierkarren mit dem lustigen Winzervolke.

Sie schritten an dem Throne vorüber und füllten den Burghof. Da erschallte neuer Bläsergruß aus der Ferne. Ueberrascht blickte man zurück und sah einen hohen mit köstlichen Stoffen drapirten Triumphwagen nahen, auf dem die erhabene Gestalt der Kunst in weißen Gewändern thronte, den goldenen Lorbeer um das blonde Haupt geschlungen, umgeben von den Genien aller Künste, die zu ihren Füßen lagerten. Der Triumphwagen hielt in der Mitte des Hofes; die Göttin erhob sich, sprach hellklingende Verse, die zwar mit einem Hoch auf König, Kaiser und Reich etwas anachronistisch schlossen, aber die lebhafte Begeisterung der Menge erweckten; denn seitab, als einfacher Zuschauer, wohnte der König mit seiner Familie dem Festspiele in der Thurmloge bei. Wieder klirrten die Schwerter laut an einander; wieder flogen die Hüte in die Höhe; wieder durchbrauste stürmischer Hochruf den Raum. Dann begannen die Würdenträger des Kurfürsten zu sprechen: der Baumeister erzählte Ausführliches von der Errichtung der alten Burg; der Mundschenk bot den Herren einen Becher von Meißener Landwein, während die Gruppen der Festgenossen sich mehr und mehr belebten. Auch das fürstliche Paar erhob sich; gefolgt von seinem Hofstaate trat es einen Rundgang über den Burghof an. Nun mischte alles Volk, Ritter und Patricier, Bürger, Waffenknechte, Meißener Mädchen und Jagdknappen sich unter einander. In dichtem malerischem Gewühle lösten sich die geschlossenen Gruppen, stoß die Fülle herrlicher Gestalten zusammen. Auf dem Hoffest war ein mittelalterliches Volksfest geworden. Inzwischen war der Schluß des Festes allmählich gegen drei Uhr Nachmittags herangekommen. Der Kurfürst verkündete ihn in kurzer Rede und gab seinen Gästen damit allgemeine Bewegungsfreiheit, von der denn auch ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.

Mit dem Schlusse des Festspiels hatte auch die Gunst des Himmels ein Ende. Es begann erst staubfein, dann immer heftiger zu regnen, sodaß man in den Hallen und Sälen der gastlich geöffneten Burg eine Zuflucht suchen mußte. Selten wohl hat der alte, höchst glücklich restaurirte Bau eine so starke und kunstverständige Besucherschaar in seinen Mauern empfangen. Den Nachmittag füllten die Besichtigung der Burg und Wanderungen durch Meißen aus, wo das Volksfest sich fortsetzte. Und als es Abend ward, da begannen die altersgrauen Architekturen, die kühn den Burgfelsen erklimmenden Mauern und Häuserzeilen zu leuchten und zu glühen. Hoch vom obersten Thurme der Albrechtsburg strömten farbige Lichtfluthen hinab über die gothischen Baumassen, deren Geglieder nun noch kräftiger in allen Einzelnheiten aus der nächtlichen Umgebung hervortrat. Auch die mächtigen Fensterbogen des Domes strahlten farbiges Licht aus, und als ob die Stadt nur das Signal erwartet hätte, begann auch sie ihre Freudenfeuer zu entzünden. Bengalische Flammen ließen einzelne malerische Baugruppen grell hervortreten; Lämpchen, Transparente, Pechpfannen und Feuerkörbe warfen rothes Flackerlicht dazwischen, und Fackeln schwingend, geleiteten die Mannschaften der Feuerwehr die Gäste in langem Zuge zum Bahnhofe. Schöner noch wurde es, als dieser Zug über die Brücke zum andern Ufer sich bewegte. Da stand die Bergstadt, von der Burg überragt, in feuriger Lohe; der Dom, das Schloß, die Thürme, die Häuser waren von verschiedenfarbigem Lichte überfluthet; selbst die Wogen des Stromes schienen von feurigem Glanze zu erglühen, und die Darsteller des heutigen Festes selbst wurden von Fackelschein und elektrischen Flammen in wahrhaft magischer

Weise beleuchtet. Dieser Schluß des wechselvollen Tages rief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_767.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)