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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

1880, sind von ihm veranstaltet worden, und bei allen nationalen künstlerischen Kundgebungen hat man sich seiner Organisation bedient, mit Ausnahme der Vertretung auf der Pariser Ausstellung 1878. Die Zahl seiner Mitglieder ist auf weit über 2000 gewachsen und in großen wie in kleinen Kunstgemeinden verbreitet, wie auch aus den alljährlichen Berathungen seiner Delegirten praktische Beschlüsse zur Wahrung der Interessen der Kunstgenossen hervorgehen. Da war es denn wohl natürlich, daß man das Jubelfest mit besonderer Sorgfalt vorbereitete und mit ausgesuchtem Glanze beging. Dresden, seit 1878 Vorort der Genossenschaft, diente als Local dieser Festlichkeiten. Die heitere, kunstgeschmückte, in herrlicher Landschaft gelegene Elbstadt eignet sich vielleicht besser als jede ihrer deutschen Schwestern zu solchen Zwecken, besonders wenn, wie diesmal, alle Kreise ihrer Bevölkerung sich vereinen, um die Jubeltage glänzend zu gestalten. Das haben die Organe des Staates, die Behörden der Stadt, das haben die Künstler und Kunstfreunde, das hat die gesammte Einwohnerschaft der sächsischen Residenz gethan.

Drei künstlerische Momente hoben sich aus der Fülle der Festlichkeiten hervor: der Bewillkommnungsabend auf der Brühl’schen Terrasse, die Darstellung des „Faust“ im Hoftheater und das Costümfest in Meißen. Die alte Elbschanze, der einzige Rest der ehemaligen Befestigungen Dresdens, hat schon oft zum Festlocale gedient. Graf Brühl, der allmächtige Minister eines prachtliebenden Monarchen, hat diese Terrasse mit Gärten, Palästen, sowie Pavillons geschmückt und dorthin die Fürsten und Großen als Gäste geladen. Herrlicher mag aber nie ein Dresdener Fest, auch zu Brühl’s Zeiten, gelungen sein, als dasjenige, welches die Stadt Dresden den Künstlern veranstaltete. Der äußerste, weit über die Elbe hinausspringende Belvederehügel mit der aussichtsreichen Glasrotunde war den Gästen reservirt. Kaum dunkelte der Abend, da blitzte von den Bäumen, aus den Büschen, von den Rasengründen, aus den spitzen Basalten, welche die Hügelwände umkleiden, farbiges Flimmern, Flammen und Glühen auf, das den Eintretenden einen wahrhaft feenhaften Anblick bot. Obelisken und Säulen, die Kolossalmasken des deutschen Kaisers und des sächsischen Königs, eine mit Purpur drapirte Rednerbühne waren als neue Zierde des Gartengefildes zu dem schöneren natürlichen Schmuck der Blumen und Bäume, der Graspläne und des wundervollen Niederblickes auf den Strom hinzugekommen, aber erst das Licht, das aus Tausenden von Flämmchen und Leuchten flammte, gab dem Ganzen das strahlende Festkleid. Aus dem dichten Laube der Kastanien, Akazien und Platanen blickten rothe, grüne, goldfarbene Kugeln wie leuchtende Früchte hervor; die hohen Staudengewächse trugen Blüthenglocken von farbigem Lichte; im Rasen funkelten Tausende kleiner Flämmchen, und aus dem Gestein schienen die Feueraugen der Erdgeister hervorzulugen. Die ganze Terrasse, auch der dem Publicum freigebliebene Theil war geschmückt. Die architektonischen Linien der Palastfronten wurden von Lichtschnuren gebildet und die Erzbilder der Meister blickten von ihren Postamenten freundlich-ernst auf das Treiben der Künstlergäste herab.

In diesen herrlichen Lustgärten wogte die Menge der geladenen und einheimischen Festgenossen umher in der langen Herbstnacht. Man plauderte, nahm von den Dienern Erfrischungen, würziges Bier, das Küfer in rothen Westen und Lederschurz unablässig zapften, und erfreute sich an der Musik und den wunderbaren Effecten des elektrischen Lichts, dessen farbige Ströme bald das Dickicht, bald die Standbilder der Herrscher überflutheten, dann wieder einzelne Partien des Stromes und seine belebten Ufer aus der Nacht hervortreten ließen.

Die deutschen Kunstgenossen standen schon im ungezwungensten Verkehre mit den heimischen Theilnehmern, als der Oberbürgermeister der herrschenden Stimmung in warmen Worten Ausdruck gab. Er wies unter Anderem darauf hin, wie Dresden sich seit zwei Jahrhunderten unter der Pflege kunstsinniger Fürsten zu einer Stätte der Kunst entwickelt habe; er hätte hinzufügen können, daß die Fürstenresidenz an der Elbe schon ihre Raphael und Holbein, ihre Tizian und Murillo, ihr grünes Gewölbe und ihr Antikencabinet besessen, als man in München noch nichts von Kunstpflege wußte, in Berlin noch kaum die Anfänge einer solchen besaß.

Gleich warm und herzlich wie der Willkommgruß des Herrn Oberbürgermeisters tönte der Dank der Gäste aus dem Munde Karl Stieler’s zurück, der die Dresdener versicherte, daß alle, die als fremde Gäste gekommen, als Freunde scheiden würden.

Und nun begann des Festes zweiter Theil. Während in der Rotunde des Belvedere die riesigen Lendenstücke feister Rinder, die Forellen, Hummern, Muscheln, die Hirsche und Rehe, die Rebhühner und Enten, die der treffliche Wirth als ein Künstler in seinem Fache aufgebaut hatte, dem Appetite der Geladenen zum Opfer fielen, entwickelte sich auf der Elbe ein neues, glänzendes Schauspiel. Alle Dampfer, alle Boote, alle Nachen, jede der schwimmenden Bade-Anstalten, die Brücken und die Ufer hatten sich in feurige Gewänder gehüllt, und die Schiffe mit den farbigen Lichtpfannen schaukelten sich auf der dunklen Fluth, die jedes Flämmchen wiederspiegelte. Schlanke Schnellruderer jagten, stattlich bemannt, zwischen jenen hindurch und wurden von einem Strahle des elektrischen Lichtes erhascht, begleitet, bis sie, flinker als dieses, in der Nacht verschwanden, um später in neuem Lichtstrome aufzutauchen. Das gab ganz entzückende Bilder, ewig wechselnd, ewig neu fesselnd. Ein Feuerwerk prasselte zum Schlusse aus dem Strome auf, zum leider gar zu frühen, aber nothwendigen Schlusse; denn kaum senkten die letzten Leuchtkugeln sich zum Elbspiegel hinab, als sich ihnen staubfeine Regentropfen zugesellten. Das Wetter hatte gewartet, bis die gastliche Stadt ihr Programm erfüllt; dann trat der regnerische Herbst wieder in seine fatalen Rechte.

Den anderen Tag, den ersten des eigentlichen Jubiläums, vermochte der Regen nicht zu stören. Nach Audienzen, Wanderungen zu den einzelnen Kunstsammlungen, nach Festessen und Tafelreden bot das Hoftheater den Kunstgenossen seine Spende. Es war dazu der zweite Theil des „Faust“ gewählt, vielleicht das Allergeeignetste, was man gerade diesen Gästen zu bieten vermochte. Denn kein anderes dramatisches Gedicht, ja kaum eine große Oper böte Veranlassung zu einer solchen Fülle malerischer Scenenbilder, zur Entfaltung von Massenpracht, zu phantasievollen, übernatürlichen, traumhaft schönen Gebilden, als dieses auf der Erde und im Himmel, in der antiken Griechenwelt und im ritterlichen Mittelalter, am Hofe des Kaisers und in den gothischen Wölbungen der düsteren Studirstube spielende Drama. Was die Kunst Dresdens auch auf diesem Gebiete zu leisten vermag, das hat wohl alle Gäste mit Staunen und Bewunderung erfüllt.

Zur Darstellung hatten sich die ersten Kräfte des Schauspiels, der Oper, des Ballets vereinigt. Ihre Leistungen wurden aber noch übertroffen von denen der Ordner, Regisseure, Decorationsmaler und Maschinisten. Einzelne der Scenenbilder waren von geradezu vollendeter malerischer Schönheit, dabei charakteristisch und durch eine Fülle von Gestalten prächtig belebt.

Doch jedem dieser Festtage war eine Steigerung vorbehalten. Der folgende brachte die Fahrt zum Costümfeste nach Meißen. Mit glücklichem Griffe hatten die Dresdener für die zur Anschauung zu bringenden Aufzüge aus früheren Jahrhunderten die alte sächsische Fürstenstadt mit den engen gewundenen Gassen, den gothischen Kirchen, dem ehrwürdigen Rathhause, der mächtigen Albrechtsburg gewählt. Auf den bunt beflaggten und bekränzten Dampfern fuhr man zum Feste. Hunderte von Theilnehmern trugen alte Costüme. Die Einen trugen Rüstungen, Helme, Waffen von kunstvoller alter Schmiede-Arbeit; die Andern hatten sich nach den Zeichnungen der Künstler oder den Entwürfen Costümkundiger altdeutsche Anzüge fertigen lassen, während die Damen mit gewaltigen altdeutschen Hauben, breiten Hüten, von Federbüschen überwallt, mit hohen Kragen, mächtigen Krausen, Gewändern von prächtigem Sammet, schweren Wollenstoffen, Seidenbrokaten, oder auch in bescheidenen Gretchen-Costümen, alle Stände früherer Zeiten repräsentirten.

Die Fahrt nach Meißen zeigt uns die letzten Gebirgswände, die der Elbstrom auf seinem Wege zur norddeutschen Tiefebene durchfließt. Auf dem letzten Theile der Fahrt bedeckt dichter Hochwald die Felswände; Schlösser blicken von den Höhen auf den Strom herab; Rebenrücken schmücken die sonnigen Hänge, und zuletzt tritt das alte Meißen hervor, imposant in seinen altersgrauen Steinarchitekturen, hoch auf steiler Felsklippe die gothische Albrechtsburg, die in den Strom und weit hinaus in die Meißener Lande schaut. Einen geeigneteren Tummelplatz für mittelalterliches Festgewoge dürfte es kaum geben. Selbst die modernen Menschen, geladene Gäste, ganz Meißen, halb Sachsen, wohl an zehntausend Köpfe, die rings die Uferhöhen belebten, störten den Charakter des Schauspiels kaum; denn die Straßen des guten Meißen mit ihren hohen Giebelhäusern sind so eng, winden sich so malerisch die Höhe hinan, daß Ritter und Mannen, Patricier und Bürger, vornehme Damen und himmelblaue Gretchen-Gestalten diese Gassen vollständig füllten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_766.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)