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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Verzeihen Sie; wenn ich Ihre Fassungsgabe oder Ihr Vertrauen in meine Wahrhaftigkeit überschätzt habe, mein gnädiges Fräulein!“ sagte er bitter und scharf. „Da Sie mir Ihre Beihülfe versagen, bleibt mir in der That nur der von Ihnen bezeichnete Weg übrig; für die Folgen des Mißlingens aber sind Sie mit verantwortlich.“

Er zog den Hut, machte ihr eine rasche Verbeugung und schritt dem Ausgange zu. Anne-Marie blieb stehen und warf ihm einen scheuen Blick nach; sie war bleich und betreten. In diesem Augenblicke hatte sie ein Gefühl, als sei sie nicht die Natur dazu, um einen Kampf mit dem starken, willensklaren Mann durchzufechten, und ein Verzagen überkam sie, als müsse sie weinen. Das war nun der Ertrag ihrer Feindseligkeit: am unrechten Orte hatte sie dieselbe hervorgekehrt, und nun hielt er sie für dumm und kindisch und für wer weiß was noch. Für unordentlich hatte er sie heute Morgen erst erklärt. – Aber was konnte ihr im Grunde daran liegen, wie er sie schätzte? Er war „Luft“ für sie, wie sie es für ihn war. Höchstens konnte er in der Verwandtschaft eine üble Meinung von ihr verbreiten; er schien ja sehr viel darauf zu geben was man in der Verwandtschaft von Jemandem sprach. Das war ihr gleichgültig. In Einsamkeit groß geworden und nur mit Frau von Pannewitz und deren Töchtern intimer verkehrend, hatte sie keinen rechten Begriff davon was in der Gesellschaft ein „Ruf“ zu besagen habe. – Ob man nicht doch lieber mit Onkel über die Sache verhandelte? Sie glaubte zwar nicht, daß, wenn die Folgen bedenklich für ihn waren, derselbe in der That Widerstand leisten würde, aber es konnte ja nichts schaden, wenn sie auf den Busch klopfte und die Warnung des Vetters aus geschickte Weise einfließen ließ.

Sie ging im Garten auf und ab; das erste Resedabüschelchen war längst zerpflückt; sie zupfte hier und zerpflückte und riß dort ab, um das Abgerissene nachdenklich in den Wind zu streuen Dann rief sie Dana und zauste und spielte mechanisch in dem krausen Fell des Bernhardiners. Nach geraumer Zeit fuhr sie aus ihren Gedanken auf: sie vernahm Wagenrollen auf dem Hofe. Anfangs dachte sie, es kämen Fremde gefahren; als sie indessen bis zur Gartenthür geschritten sah sie Curt von Boddin in den Wagen des Onkels steigen. Jochen saß steif auf dem Bocke, den Peitschenstiel auf das Knie gestemmt, wie eine ägyptische Königsstatue. Und plötzlich senkte Anne-Marie blitzschnell den Kopf und wurde roth und ging weiter, bis zur Gartenpforte. Der Vetter hatte sich umgesehen und konnte meinen, daß sie seinetwegen dastand. Die Pferde zogen an; der Wagen rasselte um die Hausecke – nun durfte sie emporsehen. Im Hause suchte sie Dürten Schoritz auf und fragte, wohin Jochen fahre.

„Der Herr von Boddin wollte nach Branitz; er hat sich was zu Frühstücken geben lassen, aber hat nicht viel gegessen und getrunken; dann ist er gelaufen und wiedergekommen und hat in seinen Papieren herumgekramt, bis Jochen vorgefahren ist. Das ist ein merkwürdiger Mensch; er hat so was Unruhiges an sich.“

„Hat er sonst nichts gesagt?“

„Ja er hat gefragt, wann wir zu Mittag äßen und ich hab’ ihm gesagt: Klock’ Eins, aber er brauche sich nicht so sehr zu sputen; denn was den alten Herrn und Sie anbeträfe, da hätte der alte Herr gesagt, Sie wollten auf Ihren Stuben essen, und da könne er hinten allein essen, wann er wolle.“

„Hat Dir der Onkel das aufgetragen?“ fragte Anne-Marie heftig.

„Heute Morgen ja,“ war die verwunderte Antwort.

Also zu Pannewitzens fuhr er? Da würden ihn diese ja nun gleich kennen lernen. Sie war neugierig, was wohl Leonore und Hedwig Pannewitz über ihn urtheilen würden. Das mußte sie bald erfahren. Ohnehin war es Zeit, daß sie wieder einmal bei Pannewitzens einen Besuch machte. – Wie die beiden jungen Mädchen wohl ihm selber gefallen würden? Leonore war schöner, aber Hedwig war entzückend. Am Ende verliebte er sich in eine von den Beiden. Aber sie waren zu gut für ihn.

Es war eine schweigsame Fahrt, die Curt von Boddin mit dem alten Jochen machte; nur selten eine Frage, und immer eine einsilbige, zu welcher die nächste Umgebung des Wagens Veranlassung bot; ebenso selten und einsilbig war die Antwort. Endlich tauchte Branitz aus, Curt beugte sich vor und studirte mit sichtlichem Interesse die hübschen Verhältnisse des Baues, die stattlichen Bestände des Parks, einen Theil der Anlage nach dem andern.

Als Jochen das Thor passirte, wurden am Fenster ein paar weibliche Köpfe sichtbar, allein Curt hatte nicht Zeit, genauer hinzusehen; denn gleich am Thore hielten die Pferde vor Herrn von Pannewitz; der junge Mann stellte sich vor und stieg, freundlich willkommen geheißen, hinunter.

„Na, Jochen,“ fragte Herr von Pannewitz mit verschmitztem Lächeln und streichelte die langen gefärbten Bartcoteletten, „wie seid ihr denn gestern Abend nach Hause gekommen?“

Jochen verzog den breiten Mund zu vergnügtem Grinsen. „Es ist so abgegangen, Herr. Unser Baron war aber höllisch fuchtig, sodaß ich umkehren mußte, und ich dachte schon, er würde über das Thor steigen, Unterwegs hat er sich aber gegeben, indem daß er sagte, er hätte Ihnen zweihundert Thaler abgenommen und hätte Sie auch mal mit Bartfarbe gefoppt – dafür hätten Sie sich wohl revanchirt.“

Herr von Pannewitz lachte, als ob er ersticken sollte, wie denn die ganze rundliche Figur der Ausdruck des Behagens und munterer Laune war.

„Ein Original, Ihr Herr Onkel!“ sagte er, zu Curt gewandt. „Wir haben gestern einen Spaß mit ihm gehabt“ – und nun erzählte er die Geschichte. „Sie werden Ihre Noth mit dem alten Baron haben, Heer von Boddin; denn er kann sehr kratzbürstig sein, wenn er gereizt wird, ja unter Umständen mehr als grob. Im Grunde ist er ein guter alter Bursche, voll der possirlichsten Einfälle. Aber kommen Sie hinauf! Ich will Sie meinen Damen vorstellen.“

„Verzeihung!“ sagte Curt, dem zunächst die burschikos lustige Weise der neuen Bekanntschaft wenig zusagte; „wie Sie sehen, bin ich zu einer formellen Visite nicht gerüstet; ich wollte mir das auf einen späteren Tag versparen. Was mich zu Ihnen führt, ist nur eine dringliche Angelegenheit.“

Er klärte Herrn von Pannewitz über die Erfahrung auf, die er mit dem Onkel gemacht.

„Das sieht ihm ähnlich,“ lachte Dieser auf der Treppe, dem Gast die Hausthür öffnend. „Sie riskiren immer, daß er aus seiner Drohung Ernst macht. Na, kommen Sie nur herauf! Meine Damen sind nicht so scharf auf den schwarzen Frack, und ich will Sie schon entschuldigen. Bleiben Sie über Mittag hier. und seien Sie mein Gast – keinen Widerspruch! Den giebt’s auf Branitz nicht. In Pelchow schlucken Sie nur mit Aerger, was Ihnen der alte Drache, die Dürten, zusammenbraut. Nach dem Essen fahre ich mit Ihnen nach Pelchow – wissen Sie was? Ich nehme das ganze Weibervolk mit hinüber; meine Mädchen und die Lebzow sehen sich gern einmal wieder; die können helfen, den Alten zahm machen. Nettes Ding, die kleine Lebzow, wie? Die müssen Sie auch zur Hülfe nehmen; die hat ’ne Art, dem Teufel ein Ohr abzuschmeicheln. Das ist auch die Einzige, die Pelchow ein Bischen menschlich zu machen verstanden hat. – Kinder, hier bringe ich Euch Herrn von Boddin aus Teterow, der jetzt Pelchow für den Alten bewirthschaften wird – meine Frau, meine Töchter Leonore, Hedwig –“

Curt von Boddin fing bald an, sich in diesem Kreise zu gefallen. Die Damen waren liebenswürdig, Frau von Pannewitz, die einst in Schwerin Hofdame gewesen, hatte sogar etwas Distinguiertes. Beide Mädchen gaben sich freier, besonders die jüngere, Hedwig, welche mehr in die Art des Vaters schlug. Nur war es Curt fatal, daß Herr von Pannewitz seine Angelegenheit den Frauen zum Besten gab und daß auch diese sie nur von der komischen Seite nahmen. Unwillkürlich schweiften seine Gedanken in den mageren herbstlichen Garten hinter dem Herrenhause von Pelchow zurück, in den Garten mit seinen Sonnenrosen, Dahlien, Astern, feiner Reseda, und mit der feindlichen Cousine Lebzow, die heute in Curt’s Erinnerung eher vornehm und stolz aussah, als ländlich, wie sie ihm gestern erschienen. Die dürre wüste Umgebung, in der sie lebte, hob ihr Bild merkwürdig farbig heraus, und ihm, dem mehr zum Ernst neigenden Manne, war die abwehrende, feindliche Haltung reizvoller, als die behagliche Liebenswürdigkeit hier, die ihn wie ein laues Bad umspülte. Dennoch: wenn seine Aufmerksamkeit von der Unterhaltung gefesselt war, fühlte er freundlich das Wohlthuende guter Formen und einer eleganten Umgebung, an welche seine Vergangenheit ihn gewöhnt hatte. Das Essen war gut, der Wein vorzüglich – die Cigarren muthmaßlich auch, allein Curt rauchte nicht. Die Idee, nach Pelchow zu fahren, fanden die Damen allerliebst, und der Gast hatte wieder das ausschweifendste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_760.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)