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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 46.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.

Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Als Curt auf dem Rückwege nach den Fenstern des Eßzimmers blickte, welche auf der Gartenseite lagen, sah er sie geöffnet und die Gestalt der Wirthschafterin sich in dem Zimmer bewegen. Er steuerte mit seinen gewohnten raschen Schritten zu den Fenstern hinüber und reichte das Tuch hinein.

„Geben Sie das dem Fräulein von Lebzow, Frau! Ich lasse ihr sagen, sie möge ihre Sachen besser verwahren, wenn sie nicht verderben sollen.“

„Das geht mich nichts an. Legen Sie’s nur da auf den Stuhl,“ war die mürrische Antwort, welche der neue Administrator überhörte. Er stockte einen Augenblick wie in plötzlicher Verlegenheit. Nun hatte er ihr wieder eine Ungezogenheit sagen lassen, und es war doch so fatal, wie sie ihm gestern so derb den Text gelesen, in Gegenwart dieser Person da.

„Fügen Sie hinzu, ich lasse ihr gute Besserung wünschen!“ sagte er rasch und möglichst gleichmütig, indem er den Garten nach der Richtung des Feldweges hin eilig verließ.

Den Knickbruch konnte er in der Ferne sehen; es mochte eine halbe Stunde Weges bis dahin sein. Wenn er nur erst sein Reitpferd da hätte! Im Pferdestalle hatte er nur dasjenige des Onkels bemerkt, das er natürlich nicht benutzen mochte. Nein – besser „durfte“; denn die Uebergabe des Gutes an seine Verwaltung war ja noch nicht erfolgt. Aber selbstredend würde er auch später dem alten Kauze sein Reitpferd lasten; die Wagenpferde höchstens konnten gemeinschaftlich benutzt werden, und das sollte von seiner Seite möglichst bald geschehen; denn sobald die Zimmer für ihn restaurirt waren, mußte er nach Demmin fahren und Möbel aussuchen.

Er machte sich Gedanken wegen des Eßzimmers; es war ihm doch höchst peinlich, mit dem Baron und Aline-Marie von Lebzow dort, wo er geschlafen, zu frühstücken. Aber was half es? Und – im Grunde: verwöhnt waren die Beiden wahrhaftig nicht, namentlich der Onkel wohl nicht heikel in Anstandssachen. Wie das alte Original nur aussehen mochte! Lustig genug, nach der Schilderung, welche in der Verwandtschaft von ihm umlief.

Aber Cousine Lebzow! Hm! Sie hatte ihm selber gestern Abend eine Anstandslection ertheilt, und, wie er sich innerlich sagte, eine wohl verdiente. Curt von Boddin betrachtete sich freilich als eine Art alten Junggesellen, obwohl er erst in den dreißiger Jahren stand, als eine Art „Onkel“, der schon gute Lehren geben und sich selber die Befolgung derselben bequem machen durfte. Trotz seiner sorgfältigen Toilette und seines scharfen Auges für die gute Form steckte doch etwas von der saloppen Art der Boddins in ihm. Der Widerspruch in seinem Wesen machte ihn nachdenklich. Er wollte versuchen, sich zusammenzunehmen, aber er sagte sich doch heimlich, daß ihm das sehr schwer werden würde. Wahrhaftig, er war ein richtiges Stück von einem alten Junggesellen.

Indem er das dachte, schritt er durch die Felder, deren Bewirthschaftung er zu prüfen, zu leiten, zu bessern hatte: er that klug, sich ein wenig umzusehen. Der Ackerbau so primitiv wie das häusliche Leben: die ursprünglichste Dreifelderwirthschaft aus Großväterzeiten! Aber der Boden sah vortrefflich aus, Er hob eine Scholle und betrachtete sie: das mußte Qualität Eins sein. Die Krautfelder dort standen ungemein üppig. Und wie fett der Klee auf der Brache da war! Nur noch Drainage – die brauchte rings in der Gegend aller Boden, das wußte er, und davon hatte natürlich Onkel Boddin keine Ahnung, auch kein Geld dazu.

Diese Kleebrache! Merkwürdig, daß sie fast genau die Form hatte, wie diejenige, über welche er gestern Abend gegangen war. Dort kniete damals Anne-Marie voll Lebzow und biß die Lippen zusammen – sie hat eine etwas kurze Oberlippe, dachte er – und sah ihn mit den braunen Augen schmerzlich abwehrend an. Ihr Mund war in dem Augenblick wirklich hübsch, und in der Art, wie sie ihn gestern Abend abgefertigt hatte, lag Rasse. Sie kam ihm jetzt gar nicht so ländlich vor, wie anfangs.

Es war eigentlich doch eine großartige Ungezogenheit, daß er sie so ohne Umstände aufgenommen und auf die Straße hinüber getragen hatte. Gestern hatte er gar nichts dabei gefühlt; es hatte ihm Spaß gemacht, sie wie ein Kind hinüber zu tragen. Er war sich ihr an Lebensreife so überlegen vorgekommen.

Curt von Boddin ging ein Stück langsamer. Er schnellte den Zwicker von der Nase, und die spöttischen Linien um seine Mundwinkel zuckten; er warf den Kopf ein paarmal hin und her, als wollte er sich irgend eines Gedankens oder einer Empfindung erwehren. Es war ihm, als hielte er das schlanke, blühende Mädchen und fühlte ihren Arm um seinen Nacken; ein voller weicher Arm war das, und merkwürdig war diese Last: schwer und weich und lebendig; es wehte etwas um sie, wie um eine Blume. Der Gedanke, daß er sie so getragen hatte, war ihm doch ein angenehmer, und gerade weil sie ihm das nicht gegönnt hatte, dachte er mit einer Art wohltuenden Trotzes daran.

Auf der Wiese dort wurde Grummet gewendet; hinter ihr

lag ein Bruch; wirres Unterholz, wild gewachsene Bäume von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_757.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)