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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

dafür Schmach und Hohn. Die Gesetze konnten mir nicht helfen. – ‚Geld, schaffe Geld!‘ sagte der Advocat. ‚Geld und Zeit haben schon manches gewonnen, was verloren schien. Dann arbeitete ich und darbte – was so in Jahren erworben ward, blieb ein Tropfen im Meer. Ich riß mich von meinem Einzigen, meinem Liebsten los, um in Ehren mehr zu gewinnen. Jahre hindurch hielt ich aus bei der mürrischen Kranken, und ward mir während dieser Jahre das Treiben im Hause verdächtig, was ging es mich an! Sie starb, und ich blieb. Mein Feind war so alt, und es galt nur noch kurze Zeit. Da sah ich denn freilich bald klar genug, was um mich her vorging. Was lag daran – ich blieb.“

„Das durften Sie nicht,“ rief Fügen.

„Wer seinem Schicksal nicht entrinnen kann, ergiebt sich,“ sagte sie herb. „Kommt immer das Gleiche, so spürt man eine Nemesis – was nützt es da sich zu wehren? sein Ruf war lange hin, ehe ich Gewißheit hatte; Cavaliere aus aller Herren Ländern hatten mich in diesem Hause schalten und walten sehen – die Zukunft neben Siegmund war hin; die seinige wenigstens sollte gewonnen werden. Und am Ende – was gingen mich diese Menschen an! Clairmont’s Salon trug kein Schild, aber wer dorthin kam, wußte, wohin er ging. Verächtlich war mir das ganze Gelichter; über sie hinweg sah ich mein Ziel.“

Ihr Auge brannte in dämonischer Gluth. Plötzlich erhob sich eine Stunde aus alter Zeit vor Fügen’s Seele. Er sah das Musikzimmer der Moosburg, sah die dunkelschöne Gestalt nach dem Wandschranke schreiten, dem sie die Zeugen ihres kurzen Glücks, ihre Lieder, entnahm – dann wandte sie mit dem gleichen dämonischen Ausdruck den Kopf nach ihm, um auf seine Frage nach ihrem höchsten Wunsch das Wort zu erwidern: „Reichthum!“ In der Nacht, welche diesem Abend folgte, war er selbst sich der heißen Leidenschaft für sie bewußt geworden – das Dunkle, Flammende in ihr, das ihr mächtiger Wille seitdem stets so fest in Banden gehalten, jahraus, jahrein, übte heute eine andere Wirkung auf ihn als damals.

„Genoveva,“ sagte er tiefernst, „Sie haben sich schwer versündigt an sich selbst und an ihm, für den Sie gethan, was man um Keinen darf – um Keinen!“

Sie erhob sich mit einer jähen Bewegung.

„Tausende von Frauen haben ihr Leben, ihren Begriff von Tugend, ihre Ehre für Männer hingeworfen, die keines Athemzuges werth waren,“ rief sie leidenschaftlich, „nur weil sie liebten! Siegmund gilt mir mehr als dem Weibe der Mann – er ist mir Ersatz für alle Unbill, die bisher mein Theil gewesen. Aber der Tag der Entscheidung ist nahe, und bis dahin sollen Kraft und Wille ausdauern.“

Wie im Widerspruch mit diesen Worten schwankte sie plötzlich und sank keuchend zurück. Fügen sprang erschrocken auf; er glaubte ihren erstickten Athem mit jedem nächsten Moment dem Erlöschen nahe; ihre eisig kalten Hände krampften sich; ein bläulicher Ton überzog das zuckende Gesicht. Doch schlug sie nach wenigen Minuten die Augen auf.

„Es ist nichts –“

Ihre Hand fest gegen das Herz gepreßt, blieb sie noch eine kurze Weile zurückgelehnt und begann in Pausen weiter zu sprechen.

„Nichts – nur die lange Angst – was ich auch that, Siegmund fern zu halten – ich sah meine Verdammung drohen Tag und Nacht. – Und wollte doch nichts, als ihn nur einmal wiedersehen – nachdem sein Recht gewonnen – unter vier Augen – dann sterben in Verborgenheit. – Es sollte nicht sein.“

„Ihn wiedersehen sollen und müssen Sie,“ rief Fügen tieferregt, „Ich kehre sofort um und erkläre ihm –“

„Es giebt nichts zu erklären,“ sagte, sie dumpf, „Meinen Sie, ich wüßte nicht, was ich gethan? Ein Mord kann verziehen werden, Untreue, Meineid – Alles, nur das Niedrige nicht.

Dächte Siegmund anders, so wäre er nicht mein Sohn. Ihn gäb ich hin, seine Liebe; damit erkaufe ich ihm seinen Namen – das wußte ich und hab’ es dennoch gewollt. Was könnte uns wieder zusammenführen?“

Sie brach ab.

„Geben Sie mir Ihr Wort, Fügen,“ sagte sie nach einer Pause, die er nicht unterbrach, „daß Sie meinem Sohne weder schreiben noch ihn aufsuchen! Ich will mir nichts von ihm verzeihen lassen. Stören Sie nicht den Lauf der Dinge! – Sie brachten mir –?“

Zögernd und widerwillig legte Fügen seine Hand in ihre Rechte. Es ging ihm gegen die Natur, zu versprechen, daß er nicht versuchen wolle, den Riß zwischen Mutter und Sohn zu heilen. Doch sagte er vorerst nichts und beantwortete nur ihre ablenkende Frage: „Alles was ich fand. Obgleich Sie mich autorisirt hatten eine Durchsicht vorzunehmen, hielt ich es für das Beste, alles Vorhandene zusammenzupacken.“

„Gut! Ich erwarte im Laufe des heutigen Tages der Besuch meines Anwaltes. Ein erster Schritt ist bereits gethan. Brenner hat an Gräfin Seeon nach Riedegg geschrieben, die Thatsachen klar dargelegt und gütliche Vereinbarung empfohlen. Auch kam schon Antwort.“

„Nun?“ rief Fügen gespannt.

„Statt des erwarteten Protestes richtete die Gräfin eine Aufforderung an Brenner, sich zum Zweck persönlicher Rücksprache nach Riedegg zu begeben. Dieser wartet nur das Eintreffen der Papiere ab, die Sie bringen, um der Einladung Folge zu leisten. Führt die Unterhandlung nicht zum Ziel, so wird Brenner nach Lahnegg reisen, um unseren Zeugen zu gewinnen – man sagt ja, Alles habe seinen Preis. Jetzt vermag ich das lang Versagte zu erkaufen.“

„Wenn Entscheidung so nahe, muß ich es einrichten, bis dahin bleiben zu können,“ sagte Fügen. „seine Reise hierher war nicht vorbereitet – erst als ich Siegmund auf der Moosburg traf –“

„Dort also? Wie geht es ihm? leidet er – schwer?“

„Schwer!“ bekräftigte Fügen „Und deshalb dürfen Sie mir nicht verbieten –“

Sie drückte energisch seinen Arm und sah ihn gebieterisch an.

„Sie schweigen – das bleibt mein Wille.“

„Ich habe schon gesprochen,“ polterte er heraus, „es wäre ja doch die reine Unnatur gewesen, ihn unwissend zu lassen, nach Allem was vorgegangen.“

„Er weiß – und – Sie haben keinen Auftrag?“

„Doch!“ erwiderte Fügen. „Er trug mir auf, zu erklären, daß er nie darein willigen würde, das Erbtheil der Seeons zu verkürzen.“

„Als ob es sich darum handelte!“ rief Genoveva. „Es gilt das Recht, seinen Namen zu tragen.“

„Gnädige Frau, vergessen wir Eines nicht, was uns gar leicht geschieht, den Kindern gegenüber, die wir groß gezogen! Die Zeit kommt einmal, wo sie selbstständiges Leben fordern und freies Urtheil. Wir hätten mit Siegmund jetzt leichteren Stand, wenn das früher bedacht worden wäre. Ich mache es mir nicht zum Vorwurf, ihm die Wahrheit gesagt zu haben, und wenn er zürnt, weil er sie so spät erfahren, und wenn er meint, er hätte das Recht gehabt, seine Angelegenheiten selbst zu vertreten, so kann ich ihm darin nicht Unrecht geben.“

Genoveva antwortete nichts.

Erst als Fügen nach langer, lastender Pause aufstand und seinen Hut nahm, sagte sie, als hätte er eben seine letzten Worte gesprochen, in kaltem Tone:

„Gut! Was mein Sohn thun oder lassen mag, ist seine Sache. Die meine ist, daß zu Ende geführt wird, was ich begann.“


(Fortsetzung folgt.)




Karl Gussow.

Es war im Herbst 1876, als die große akademische Kunstausstellung in Berlin durch drei Bilder eines bisher dem Publicum der Reichshauptstadt nur oberflächlich bekannten junger Künstlers gerade im Jubeljahre ihrer fünfzigsten Wiederkehr einen epochemachenden Charakter aufgeprägt erhielt. Die Anhänger der neuen Schule, welche Karl Gussow mit ungeahnter Kühnheit, mit energischer und zielbewußter Sicherheit und mit glänzendem und verblüffendem Erfolge vertrat, verkündeten mit Jubelfanfaren aller Welt, daß mit diesen drei Thaten des jungen Meisters das modernste Kunstprincip, der Naturalismus, jetzt auch in die deutsche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_748.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)