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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Und wenn – und wenn,“ keuchte er hervor, „so hat sie Alles nur um Dich gethan.“

„Wie muß sie mich doch verachtet haben, daß ihr das Geld wichtiger für mich erschien als die Ehre –“

„Du weißt nicht, was Du sprichst,“ rief Fügen; „jetzt muß Alles heraus, wenn sie es mir auch tausendmal verboten hat. Begreif’ es, wer kann, daß sie sich erniedrigen durfte, aber es ist geschehen, um Dich zu erheben. Du bist der rechtmäßige Enkel des jüngst verstorbenen Grafen Riedegg auf Riedegg, und dieser Graf Riedegg hat die rechtskräftigen Beweise für die geheim geschlossene Ehe Deiner Eltern böswillig unterschlagen. Jetzt erst, nach seinem Tode, kann Dein Recht mit Hoffnung auf Erfolg erstritten werden. Deine Mutter ist bereits in Wien. Ich kam hierher, um abzuholen und ihr nachzusenden, was sie an hinterlassenen Papieren Deines Vaters verwahrt hielt. Leider ist nur Weniges darunter von Bedeutung. Deshalb bedarf es großer Mittel, den Anspruch durchzusetzen dem sich die Seeon’s schwerlich ohne Weiteres fügen werden. Nun weißt Du, was Deine Mutter that. In den Staub hat sie sich geworfen, damit Du über sie hinweg den Platz erringst, der Dir zusteht.“

Siegmund blieb sprachlos, während die einander überstürzenden Worte auf ihn eindrangen. Nun flammte er auf:

„Und das Alles habt Ihr mir bis heute vorenthalten? Zu wissen, wer ich bin, das war mein Recht, und ich hätte es wie ein Mann vertreten, statt auf schmähliche Art Jahre lang darauf zu denken, wie sich aus einem Hinterhalte hervorbrechen ließe. Mein Recht war, vor diesen alten Mann, der meinen Eltern so Schweres angethan, selbst hinzutreten und ihm Auge im Auge abzuringen, was mein ist. Und jetzt, jetzt, wo er todt ist, keine Gerechtigkeit, keine Vergeltung ihn mehr erreichen kann, sollen um meinetwillen, sollen mit Hülfe des Raubes die wehrlosen Frauen beraubt werden. O der Schmach!“

Fügen stand betreten. Zum ersten Male kam ihm das Bewußtsein, daß mit dem langen Verhehlen an Siegmund’s Menschenrechte gesündigt worden sei. Da berührte ihn des jungen Mannes eiskalte Hand.

„Der alte Graf Riedegg hatte nur einen Sohn,“ sagte er mit zuckender Lippe. „Gräfin Ottilie Seeon ist also die Tochter meines Vaters. Ist dies Alles auch ihr bekannt?“ Neue Angst lag in den Augen, die an Fügen’s Lippen hingen. „Ich glaube nicht,“ sagte dieser.

Siegmund schwieg brütend. Die klaren blauen Augen Ottilien’s, seiner Schwester, blickten frei in seine Gedanken hinein. Margarita! Es ging wie Nebel über ihn hin; er richtete rasch den Kopf empor und sagte nach tiefem Athemzuge:

„Wenn Sie meiner Mutter schreiben, so erklären Sie ihr in meinem Namen, daß ich persönlich nie darein willigen werde, das Erbtheil der Tochter meines Vaters zu verkürzen.“

„Und sonst hast Du mir nichts an Deine Mutter aufzutragen?“ fragte Fügen mit eindringendem Blick „Wie die Sachen stehen, bin ich entschlossen, die Papiere selbst an Ort und Stelle zu bringen; ich reise noch heute Nacht. Giebst Du mir Antwort mit auf ihren Brief oder – begleitest Du mich vielleicht selbst?“

Ein namenlos gequälter Ausdruck prägte sich in Siegmund’s Züge; mit einem Male legte er beide Hände auf Fügen’s Schultern:

„Können Sie sich eine Vorstellung davon machen, sie vor mir erröthen zu sehen? Ich kann es, kann es nicht! Wir haben einander zu sehr geliebt; sie war mir zu herrlich – käme sie mir unversehens über den Weg, ich müßte mein Gesicht verbergen und flüchten bis an’s Ende der Welt, ehe ich erlebte, daß meine Mutter die Augen vor ihrem Sohne niederschlagen müßte. Sie weiß das selbst; deshalb gehen Sie, wenn Sie müssen, und sagen Sie nichts, als was ich Ihnen auftrug!“

Schweigend wandte sich Fügen ab, schnürte die Papiere zusammen, schloß den Schreibtisch und ergriff seinen Hut.

„Ade,“ sagte er knapp; „ich gehe nach Lahnegg; will ich heute noch weiter, so ist keine Zeit zu verlieren. Nein, keine Begleitung! Wir haben mehr als genug geredet. Nun sehe Jeder zu, wie er mit dem fertig wird, was er Neues erfahren!“

Sein sonst so freundliche’s Gesicht trug einen Ausdruck von Grimm und Kummer zugleich, der Siegmund traf.

„Ich kann nicht anders,“ sagte er dumpf.

Fügen nickte nur und verließ dann Zimmer und Haus.




33.

Das war eine harte Reise für den treuen Mann. Die Stimmung, in welcher er sie zurücklegte, glich der eines Menschen, welcher von fernher an ein schweres Krankenlager gerufen worden und nicht weiß, ob er sein Geliebtes noch lebend trifft oder todt. Wie würde er Genoveva treffen? Die Frau, an der er so lange, so heiß gehangen, als an der einzigen Liebesleidenschaft seines Lebens, die ihm, trotz äußerlicher Empfindung, bis zum heutigen Tage hoch und einzig gestanden, Keinem vergleichbar. War es möglich, daß dieses Bild auch ihm in Nacht erlöschen könnte, wie dem Unglücklichen, von dem er kam? An Siegmund dachte er mit gemischter Empfindung; etwas in ihm gab dem jungen Manne Recht, und doch grollte er ihm wegen so starren Abwendens von der Mutter. Fehler, große Fehler waren begangen worden, aber ach, wäre es nur dies! Je mehr er Allem nachgrübelte, desto unbarmherziger gestaltete sich ihm, was er eben noch als unmöglich verworfen zur Gewißheit. Sein einziger zerbrechlicher Trost war die innerliche Unmöglichkeit; denn in ihm rief fortwährend eine Stimme: Sie – Genoveva? Nein, nein!

Er war am Ziele. Eine Stunde nachher stand er unerwartet vor Genoveva, die durch sein persönliches Eintreffen kaum überrascht schien. Um so betroffener, ja wahrhaft entsetzt ward Fügen bei ihrem Anblicke. Nur anderthalb Jahre waren vergangen, seit er sie zuletzt erblickt. Welche Verwüstungen halte diese Zeit angerichtet! Noch war sie schön, vielleicht schöner, als sie je gewesen; denn – die Marmorfarbe und Regungslosigkeit ihres Gesichts stimmte mit dem classischen Schnitte desselben überein. Nur war es nicht die Schönheit eines athmenden, lebenden Weibes. Ein bläulicher Ton umgab die eingesunkenen fast unirdisch lodernden Augen. Das außerordentliche Ebenmaß ihrer Gestalt ließ deren Hagerkeit nicht hervortreten, als – der Freund aber die Hand erfaßte, welche sich ihm entgegenstreckte, überlief es ihn; die schlanken Finger waren bis zum Aeußersten abgezehrt. Erbarmen mit ihr drängte alle widerstreitenden Gefühle zurück; dennoch hatte sie in dem Auge, das sie genau kannte, gleich im ersten Moment einen Blick gesehen, der ihr genug verrieth. Fast ausdruckslos und nicht im Tone einer Frage sagte sie nun:

„Sie haben Siegmund gesprochen.“

„Ja.“

Er suchte ein Wort, es der knappen Silbe beizufügen, fand aber keines. Sie bewegte leise den Kopf und sagte dann mit durchdringendem Blicke auf ihn:

„Und kommen doch zu mir?“

Fügen hielt es nicht mehr aus.

„Theure, arme Freundin!“ rief er außer sich. „Ja, ich komme, um Ihret- und Siegmund’s willen; auch um meinetwillen mußte ich Sie sehen. Erklären Sie nur alles! Es muß doch anders sein, als Siegmund es – nun ich bei Ihnen bin, weiß ich gewiß, es muß anders sein.“

„Setzen Sie sich!“ sagte Genoveva mit herbem Lächeln. „Ich habe Ihnen schon einmal eine Geschichte erzählt – den Anfang; so ist es in der Ordnung, daß Sie nun auch das Ende hören. Beides stimmt zusammen – es ist wie ein Ritornell.“

Sie wartete, bis er sich neben sie in die Ecke des Divans geworfen und dann sagte sie:

„Was Sie zuerst wissen möchten, ist doch wohl der Zusammenhang meiner Person mit dem Orte, wo mein Sohn mich traf? Meinten Sie das mit Ihrer Behauptung, etwas müsse anders sein, so irren Sie. Weshalb wundern Sie sich? Das Leben wiederholt mitunter seine spöttischen oder tragischen Combinationen. Erinnern Sie sich nicht mehr, wie das meine begann? Nun, der alte Mann hat Recht behalten: die Tochter des Spielers, des Abenteurers blieb im Cirkel – zwischen Spielern und Abenteurern“

Fügen schüttelte heftig den Kopf.

„Ich fasse es nicht,“ rief er zürnend, „nie werd’ ich es fassen, wie und warum Ihnen so Unhandliches möglich geworden.“

„Unglaublich?“ fragte Genoveva kalt. „Nicht mehr und nicht weniger unglaublich als die ganze Komödie des Lebens. Sie, dem ich meine Geschichte erzählt, sollten doch besser begreifen können wohin solche Anfänge führen. Den Namen, den mir die Geburt gab, beschimpfte mein Vater; der zweite, den mir die Liebe gab, ward vom Vater meines Kindes feige verleugnet. Als ich mein Recht forderte, nahm verbrecherische Gewalt es mir und bot mir

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