Seite:Die Gartenlaube (1881) 741.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 45.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.

Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


Indeß der Wagen im Mondschein weiter rollte, brummte der Baron kopfschüttelnd vor sich hin. Nach einer Weile sagte er:

„Jochen, hör’ mal zu! Daß mir der Pannewitz den Schabernack angethan hat, das ärgert mich gar nicht mehr; denn erstens habe ich ihm meine Meinung sehr ausdrücklich gesagt; zweitens habe ich ihm heute zweihundert Thaler im Jeu abgenommen, was ihm verdrießlich sein mag, und drittens habe ich ihm auch mal einen Streich gespielt, indem ich ihm von Demmin eine Farbe mitgebracht habe, weil er seinen grauen Bart schwarz färben wollte; es war aber eine, die blos schwarz aussah und die Haare so roth machte wie Fuchshaare. Das hat er mir heute richtig bezahlt. Aber daß sich so’n Kerl aus meiner leiblichen Verwandtschaft mir vor die Nase hinsetzen und sich als Herr in Pelchow abspielen will, was mein offenbares Eigenthum ist, das ist mir doch schlimmer als Gift und Opperment. Daraus sehe ich, daß die Teterower nicht abwarten können, bis mich der liebe Herrgott von dieser Erde abruft, wo sie denn doch Pelchow geerbt hätten. Aber ich will ihm schon klar machen wer Herr in Pelchow ist. Ich habe noch immer fertig gebracht, was ich gewollt habe. Als ich getauft worden bin, was unsern Herrn Pastor sein Vater gethan hat, da haben sie mich Wilhelm geheißen, und das ist denn auch mein Name bis zu meinem zwanzigsten Jahre gewesen. Nun hat er mir aber auf einmal nicht mehr gefallen, und ich dachte, ich wollte mich Franz nennen. Das gab nun einen großen Aufstand, aber ich habe das doch fertig gebracht, und der Herr Pastor hat den neuen Namen auch noch in das Kirchenbuch einschreiben müssen. Und mit der Teterower Padde werde ich auch noch fertig. Was meinst Du, Jochen?“

„Ja, aber das Gericht, Herr; das ist doch was anderes.“

„Schweig, Jochen! Du bist ein großer Esel, mein Sohn – das habe ich Dir schon vorhin gesagt.“

Und der Baron legte sich zornig zurück und griff wieder zu den beiden Wagenrippen.

Fünf Minuten später hielt der Wagen vor dem Thor; Jochen öffnete, führte die Pferde bis an das Gutshaus und half seinem Herrn absteigen. Etwas schwankend schlug dieser den Weg an den Nesseln hin ein, welchen zuvor Curt von Boddin mit Anne-Marie gegangen, blieb aber am ersten Fenster stehen, löste einen Riegel und schob die untere Fensterhälfte empor; alsdann stieg er durch die Oeffnung ein und ließ das Fenster wieder herunter.

Der Mondschein fiel in das Zimmer, welches gleich dem von Anne-Marie bewohnten sich als „Raum für Alles“ darstellte. Der Kachelofen und ein riesiger alter Schrank nahmen die Wand gegenüber ein; links stand ein Schreibsecretär mit einfachem Bett, zwischen diesem und dem Ofen der Waschtisch, auf dem eine Zinnschüssel blinkte, rechts neben einer Thür ein altmodisches Kanapee, zu ihm gehörig ein gewöhnlicher Holztisch und drei oder vier der bekannten Bauernstühle mit ausgeschnittenem Herzen in der Lehne. Vor dem Schranke prangte eine beträchtliche Anzahl Stiefeln in Reihe und Glied.

„Da haben sie mir wieder mal aufgeräumt,“ brummte der alte Herr und scharrte mit dem Fuße auf der Diele, wobei es von dem dort gestreuten Sande knirschte. Er ging darauf, so leise er bei der nicht völlig gesicherten Herrschaft über seine Glieder vermochte, auf die einzige sichtbare Thür zu und horchte.

Es raschelte nebenan; ein vergnügtes Lächeln leuchtete wahrhaft verklärend in dem rothen alten Gesicht auf.

„Onkel – bist Du wieder da?“ erscholl die Stimme Anne- Mariens.

„Ja wohl, Döchting; hast Du Dich denn schon zu Bett gelegt?“ fragte er dagegen.

„Nein, Onkel! Ich lege mir kalte Wasserumschläge um den Fuß.“

„Na, dann kann ich Dir ja wohl noch gute Nacht sagen, mein liebes Anne-Marieken? Ich habe schon gehört, daß Du Dir den Fuß verstauchst hast. Das mußt Du ja nicht machen – das ist ja ungesund.“

Eine rührende väterliche Zärtlichkeit klang aus den Worten des Barons. Er hatte während des Sprechers die Thür geöffnet und sah nun Anne-Marie von Lebzow auf ihren Schaukelstuhl mit dem umwickelten Füßchen am Kamin sitzen. Neben ihr auf dem Tisch brannte eine Bronzelampe mit Milchglaskugel, deren Lichtschein voll auf ihr noch immer blasses Gesicht fiel; seitwärts auf dem Teppich, leicht zu erreichen, stand das Waschbecken. Er hielt ihr die Hand hin, welche sie an ihre Lippen zog, und lächelte ihr zu, wie etwa ein alter Bullenbeißer lächeln würde.

„Mein liebes Döchting, wie geht’s Dir denn nun? Erzähl’ mir doch mal, wie das gekommen ist!“

Die Frage war ihr sichtlich peinlich. Sie blickte vor sich nieder und entgegnete:

„Du weißt ja, wie das beim Laufen manchmal kommst. Es wird schon morgen wieder gut sein. Habt Ihr denn viel geschossen in Branitz?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_741.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)