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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


daß auch in diesen elenden Geschöpfen das Licht der Vernunft stammt, wenn das Flämmchen auch noch so schwach und unentwickelt ist. Darwin schildert die Neugierde und Ueberraschung der Eingebornen recht drastisch; in einer Gesellschaft von achtundzwanzig Mann, die unter dem Commando des Capitain Fitzroy nach der östlichen Mündung des Canals aufgebrochen war, landete er eines Tages – es war um die Mittagszeit unter einer Gruppe von Feuerländern.

„Anfangs,“ berichtet er, „waren sie nicht geneigt, freundlich zu sein; denn bis der Capitain an der Spitze der anderen Boote heranruderte, hielten sie ihre Schleudern in der Hand. Wir entzückten sie aber bald durch unbedeutende Geschenke, z. B. durch ein rothes Band, das sie um ihre Köpfe banden. – Es war ebenso leicht, diese Wilden zu amüsiren, wie es schwer war, sie zufrieden zu stellen. Junge und Alte, Männer und Kinder hörten nicht auf, das Wort „Yammerschooner“, was ‚gieb mir‘ bedeutet, zu wiederholen. Nachdem sie fast jeden Gegenstand, einen nach dem andern, selbst die Knöpfe an unsern Röcken bezeichnet und ihr Lieblingswort in soviel Ausdrucksweisen wie nur möglich gesagt hatten, sprachen sie es dann in einem neutralen Sinne aus und wiederholen tonlos: ‚Yammerschooner‘. Nachdem sie für jeden einzelnen Gegenstand sehr eifrig geyammerschoonert hatten, wiesen sie, einen sehr einfachen Kunstgriff gebrauchend, auf ihre jungen Frauen und kleinen Kinder, was soviel heißen sollte als: ‚wenn ihr’s mir nicht geben wollt, dann werdet ihr’s doch denen geben‘.“

Darwin macht auch auf die außerordentliche Fähigkeit dieser Wilden, alle Bewegungen, Geberden und selbst die Sprache der fremden Ankömmlinge nachzuahmen, aufmerksam. Sobald diese husteten und gähnten, ahmten es die Feuerländer augenblicklich nach. Sie wiederholten auch mit vollständiger Correctheit jedes Wort in irgend einem Satze, der an sie gerichtet wurde, und erinnerten sich sogar eine Zeit lang solcher Worte, spanischer und auch deutscher und englischer. Sie baten nur Messer, die sie mit dem spanischen Worte cuchilla bezeichneten. Vom Tausch hatten sie deutliche Begriffe. Darwin gab einem Manne einen großen Nagel, ohne irgend ein Zeichen zu machen, daß er eine Gegengabe erwarte. Der Feuerländer suchte sofort zwei Fische aus und überreichte sie ihm auf der Spitze seines Speeres.

Der einem Heuschober in Größe und Gestalt ähnliche Wigwam der Feuerländer besteht nur aus einigen wenigen abgebrochenen in die Erde gesteckten Aesten und ist in der Regel an der einen Seite sehr unvollkommen mit ein paar Gras- und Binsenschichten bedeckt. An der Westküste sind indeß, wie Darwin berichtet, die Wigwams im Ganzen besser; denn sie sind dort mit Robbenfellen ausgekleidet. Des Nachts schlafen in diesen Räumen fünf oder sechs nackte und kaum vor dem Winde und Regen dieses stürmischen Klimas geschützte Wesen auf der Erde, wie Thiere zusammengekauert. So oft Ebbe ist, müssen sie – sei es Winter oder Sommer, Tag oder Nacht – aufstehen, um Muscheln von den Felsen zu sammeln. Wird eine Robbe getödtet oder das treibende Aas eines Walfisches entdeckt, so giebt es ein Fest, und solche elende Nahrung wird nur durch einige wenige geschmacklose Beeren und Pilze gewürzt. Geistige Getränke verschmähen die Feuerländer; dagegen ist ihr eifriges Bestreben auf die Erwerbung von Tabak gerichtet, für den sie alle ihre Geräthe bereitwillig hingeben.

Leider kann nach den Berichten aller Reisenden kaum noch gezweifelt werben, daß die Feuerländer Menschenfresser sind, wenn sie auch vielleicht nur durch die bei ihnen allerdings sehr häufige Hungersnot zu dieser entsetzlichen Entwürdigung des Menschengeschlechts veranlaßt werden. Darwin erwähnt die Mittheilungen von Eingeborenen, nach welchen diese, wenn sie im Winter vom Hunger geplagt werden, eher ihre alten Weiber tödten und verzehren, als ihre Hunde schlachten, da die letzteren Ottern fangen.

Die Waffen der Feuerländer bestehen zumeist aus Bogen und Pfeilen, von denen der Marine-Stabsarzt Dr. Essendorfer im vorigen Jahre in der „Berliner anthropologischen Gesellschaft“ einige Exemplare vorgezeigt hat. Der Schaft des Bogens ist von sehr hartem Holz, die Sehne ein gedrehter Robbendarm. Die Pfeile, aus leichtem Holz angefertigt, sind an einem Ende gefiedert, am anderen stumpf und mit einer kleinen Spalte versehen, in welche die Pfeilspitzen erst beim Gebrauch eingesetzt werden. Die Pfeilspitzen bestehen aus einer grünen glasartigen Masse und stehen bei den Eingeborenen in hohem Werthe; sie geben dieselben nur ungern und für verhältnißmäßig hohe Tauschobjecte her. Auch eines primitiven messerartigen Instruments, dessen Griff aus einem etwa spannelangen Stück Holz besteht, an welches ein mandelförmiges grünes, an den Rändern geschärftes Stück einer glasartigen Masse befestigt war, erwähnt Dr. Essendorfer. Im Uebrigen stimmt seine Schilderung der Feuerländer, denen er im Sommer des Jahres 1878 begegnet ist, mit derjenigen Darwin’s dem Wesen nach überein. Ueber die Religion der Feuerländer konnte Darwin nichts Bestimmtes ermitteln. Sie begraben ihre Todten zuweilen in Höhlen, doch kennt man die Ceremonie nicht, die sie dabei beobachten. Daß sie, wie alle Wilden, abergläubische Gebräuche haben, geht indeß aus der Thatsache hervor, daß jede Familie oder jeder Stamm einen Zauberer oder Beschwörungsmeister besitzt.

Eine eigentliche Regierungsform kennen die Feuerländer nicht. Sie leben in anarchischer Gleichberechtigung der Eine neben dem Andern. Die gegenwärtig in Berlin weilenden Feuerländer sind indeß nicht die ersten, welche mit europäischer Cultur in Berührung kommen. Dasselbe Kriegsschiff „Beagle“, auf dem Darwin sich befand, als er das Feuerland besuchte, hatte drei Bewohner jenes Landes an Bord, welche wenige Jahre vorher durch den Capitain Fitzroy nach England gebracht und dort auf Kosten der englischen Regierung erzogen und unterhalten worden waren. Einer dieser Feuerländer, Jenning Button getauft, war sogar eine Zeitlang in vornehmen Gesellschaften als Schooßkind verhätschelt worden, hatte in Europa stets Handschuhe und blankgeputzte Stiefeln getragen und sprach sogar englisch. In seine Heimath zurückgebracht und mit seinen Verwandten vereinigt, wurde er aber bald wieder der frühere nackte, ungewaschene und ungekämmte Feuerländer.

Wir dürfen übrigens hoffen, daß der diesmalige Aufenthalt der Feuerländer in Europa, und insbesondere in Deutschland, dazu beitragen wird, unsere bisherigen Kenntnisse über diesen uncivilisirtesten Menschenstamm richtig zu stellen und zu erweitern.

Heinrich Steinitz.




Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Siegmund wich erschrocken zurück. Im Ausdruck der beiden schönen Gesichter, die einander wie entgeistert anblickten, lag etwas Furchtbares. Genoveva’s Züge wurden fahl; sie wendete ihren Kopf langsam von ihrem Sohne ab, ging mechanisch einer Thür im Hintergrund des Zimmers zu und verschwand.

Siegmund schwankte einen Moment wie trunken; seine Blicke begegneten Horn’s scannendem Auge; brennende Röthe bedeckte sein vorhin aschfahl geworbenes Gesicht; er ließ einen schnellen wilden Blick über die Gruppe hinirren, welche ihn wortlos umstand, hob dann plötzlich den Kopf und folgte seiner Mutter auf dem Fuße.

Er hatte nicht weit zu suchen. Genoveva stand unbeweglich mitten im anstoßenden schwach erleuchteten Cabinet. Als sie ihren Sohn erblickte, kam Leben in die starre Gestalt; sie streckte ihm, wie beschwörend, beide Hände entgegen. Siegmund trat hinweg, als fürchte er von diesen stehenden Händen berührt zu werden. Seine arbeitende Brust war noch immer keines Lautes fähig, aber um so gewaltsamer sprach die zusammengezogene Stirn. Genoveva ertrug nicht den Blick von Entsetzen in diesen Augen, die sie allezeit liebend angeschaut.

„Siegmund!“

Sein Name, mit einem Ton gerufen, den er von dieser Stimme nie gekannt, riß ihn aus der lähmenden Starrheit. Er trat dicht zu ihr heran.

„Hier finde ich meine Mutter,“ sagte er dumpf „In einem Spielhause.“ Das Wort drohte ihm die Kehle zusammen zu schnüren; er schauderte und schloß einen Moment die Augen. So sah er nicht, welche unaussprechliche Qual sich in Genovevas schöne, stolze Züge grub. Ihre ausgestreckten Hände sanken kalt und leblos

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_735.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)