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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Neben dieser Erfindung erwähnt Peschel als einen Beweis dafür, daß auch diesen geringsten aller Menschen nicht gänzlich der Scharfsinn fehlt, noch die von Darwin gemachte Beobachtung, daß die Feuerländer bei der Vermehrung ihrer Jagdhunde die Regeln der Rassezüchtung befolgen. Peschel hebt außerdem die Thatsache hervor, daß es, vom La Plata angefangen, bis zum Cap Horn und vom Cap Horn längs der Westküste Südamerikas bis fast zur Landenge von Panama zur Zeit der Entdeckung keinen Volksstamm gegeben hat, der auf den Einfall gerathen wäre, andere Fahrzeuge zu verfertigen als Flöße; folglich mußte die Erbauung von Kähnen in den Magellan’schen Gewässern von Neuem erfunden werden, und die Erfinder waren eben die Feuerländer, bei denen die eigenartige Küstengestaltung gewisse Lebensgewohnheiten und Fertigkeiten hervorgerufen hat.

Ursprünglich besaßen sie, wie Capitain Wilkes erzählst freilich auch nur Kähne aus Baumrinden, die über ein Gestell gespannt und zusammengenäht waren, des Ausschöpfens aber fortwährend bedurften. Später sind jedoch bei ihnen bessere Fahrzeuge gesehen worden, und es wird sogar ihre Kalfaterung gerühmt. Immerhin sind die Feuerländer nur als Anfänger im Seemannshandwerk zu betrachten, und Peschel schließt aus ihren schwachen Versuchen, so wie aus der in ihren Händen befindlichen Waffe, der Schleuder, welche sonst selten bei maritimen Stämmen angetroffen wird, daß sie früher auf dem Festland, wie die ihnen verwandten Araucaner oder Patagonier, von der Jagd gelebt haben, und schließlich, von stärkeren Nachbarn aus ihren Revieren verdrängt, zu dem Wagniß einer Ueberfahrt nach dem nächsten Küstenland und zur Jagd auf Seethiere genötigt worden sind.

Nach der allmählichen Ausrottung der Seehunde, an denen das Feuerland sehr reich war, müssen sich jetzt die Feuerländer meist mit Schalthieren und Fischen begnügen.

Darwin, der, als Begleiter des Capitain Fitzroy auf seiner großen Reise um die Erde im Jahre 1832, auch das Feuerland besucht und in seinen am Bord des Kriegsschiffes „Beagle“ verfaßten Tagebüchern die scharfsinnigsten und wertvollsten Beobachtungen niedergelegt hat, schildert das Feuerland als ein Bergland, welches zum Theil in das Meer versunken ist, sodaß tiefe Buchten die Stellen einnehmen, wo früher Thäler sich ausdehnten Die bergigen Strecken sind, mit Ausnahme der exponirten westlichen Küste, vom Wasserrande aufwärts mit einem großen Walde bedeckt. Die Bäume wachsen auf den Bergen bis zu einer Höhe von 800 bis 450 Meter über dem Meeresspiegel; auf diese Zone folgt dann ein Streifen Land mit kleinen niedrigen Alpenpflanzen und diesem wieder die Linie des ewigen Schnees, welche in der Magellans-Straße bis zur Höhe von circa 1000 Meter herabsteigt.

Man findet nur äußerst selten einen Acker ebenen Bodens in irgend einem Theile des Feuerlandes. Ueberall aber ist die Oberfläche desselben von einer dicken Schicht morastiger Torfes bedeckt. Selbst innerhalb des Waldes wird der Boden durch eine Masse langsam faulender vegetabilischer Substanzen verborgen, welche, weil sie vom Wasser durchleuchtet sind, dem Fuße nachgeben. Ein anderes Mal schildert Darwin beim Besteigen des etwa 600 Meter hohen Mont Taru die düstern Waldungen, deren jedes Markzeichens entbehrende Dichtigkeit den Wanderer zwingt zum Compaß seine Zuflucht zu nehmen.

„In den tiefen Schluchten,“ sagt unser Gewährsmann, „ging die todtenartige Scenerie der ödesten Stille über alle Beschreibung; draußen blies ein heftiger Sturm, aber in diesen Hohlwegen bewegte nicht einmal ein Windhauch die Blätter der höchsten Bäume. Alles war so düster, kalt und naß, daß selbst nicht die Pilze und Moose gedeihen konnten. In den Thälern war es kaum möglich fortzukriechen, so vollständig waren sie von großen modernden, nach allen Richtungen hin umgestürzten Baumstämmen verbarricadirt. Ging man über diese natürlichen Brücken, so wurde man oft dadurch aufgehalten, daß man knietief in das verfaulte Holz einsank; wenn man ein andermal versuchte, sich an einen festen Stamm anzulehnen, so erschrak man, eine Masse zerfallener Substanz zu finden, bereit, bei der geringsten Berührung umzustürzen. Endlich befanden wir uns zwischen den verkümmerten Bäumen und erreichten dann bald den kahlen Rücken, der uns auf den Gipfel führte. Hier hatten wir eine für das Feuerland charakteristische Aussicht: unregelmäßige Bergketten, gefleckt durch Haufen von Schnee, tiefe gelblich-grüne Thäler und Meeresarme, welche das Land in vielen Richtungen durchschnitten. Der starke Wind war durchdringend kalt und die Atmosphäre etwas dunstig, sodaß wir nicht lange auf dem Gipfel blieben. Das Herabsteigen war nicht ganz so mühsam wie das Hinaufsteigen; denn das Gewicht des Körpers erzwang sich einen Weg, und alles Ausrutschen und Fallen geschah in der gewünschten Richtung.“

In diesen düsteren, immergrünen Wäldern wächst an den Buchenstämmen in ungeheurer Menge ein kugliger hellgelber Pilz von schleimigem, ein wenig süßem Geschmack, der ein Hauptnahrungsmittel der Feuerländer bildet.

Von Säugethieren erwähnt Darwin außer Walfischen und Robben eine Fledermausart, einige Maus- und Fuchsarten, dann die Seeotter, das Guanaco oder das wilde Llama und eine Hirschart, die sich indeß meist in den trockenen östlichen Theilen des Landes aufhält.

Die düsteren Wälder sind nur von wenig Vögeln bewohnt; am häufigsten begegnet man dem Baumläufer, der überall in den Buchenwäldern, hoch oben und tief unten, in den allerdüstersten, nassen und unzugänglichsten Schluchten zu finden ist. Eigentümlich ist die Abwesenheit fast aller Reptilien; selbst der Frosch kommt dort nicht vor.

Das Klima des Feuerlands schildert Darwin als gleichmäßig feucht und windig. Aus einer kleinen vergleichenden Tabelle über die Temperaturverhältnisse, die er mitteilt, geht hervor, daß die Durchschnittstemperatur des centralen Theils des Feuerlandes im Winter kälter und im Sommer um nicht weniger als 91/2 Grad kühler ist als in Dublin.

Dieses unwirthliche Land wird nun von einem sehr elenden Menschenschlage bewohnt. Nach Darwin's Schilderung, die auch von anderen Reisenden bestätigt wird, scheinen die Feuerländer den benachbarten Patagonier der Magellansstraße nahe verwandt zu sein. Die Wilden, die ihm bei der Landung zuerst begegneten, bestanden aus Leuten, auf welche die oben von uns angedeuteten Merkmale zutreffen. Der Hauptsprecher war ein alter Mann, der ein Stirnband aus weißen Federn rund um den Kopf gebunden hatte, welches zum Theil sein schwarzes, verwildertes Haar zusammenhielt. Quer über sein Gesicht zogen sich zwei breite Streifen; der eine, hellroth gemalt, reichte von einem Ohr zum andern und schloß die Oberlippe mit ein; der andere, weiß wie Kreide, lief parallel mit dem ersten, sodaß selbst die Augenbrauen des Mannes weiß gefärbt waren.

„Die Gesellschaft war,“ fügt Darwin hinzu, „durchaus den Teufeln ähnlich, welche in Stücken, wie der ‚Freischütz‘, auf die Bühne kommen.“ Diese Wilden begrüßten die Landenden in eigenthümlicher Weise. Durch das Geschenk eines rothen Tuches, welches die Feuerländer sofort um ihren Hals banden, ward zunächst die gegenseitige Freundschaft begründet. Dies drückten die Wilden so aus, daß der schon erwähnte alte Mann den Ankömmlingen die Brust beklopfte und eine Art glucksendes Geräusch machte, wie die Leute thun, welche Hühnchen füttern. Diese wiederholten Beweise der Freundschaft wurden mit drei Schlägen beschlossen, welche gleichzeitig auf die Brust und auf den Rücken gegeben wurden.

Die Sprache der Feuerländer verdient nach europäischen Begriffen kaum articulirt genannt zu werden. Capitain Cook hat sie mit den Lauten verglichen, die ein Mensch beim Reinigen seiner Kehle macht – aber, bemerkt dazu Darwin, sicher hat kein Europäer jemals seine Kehle mit soviel Gutturalen und glucksenden Geräuschen gereinigt. Darwin schildert an weiteren Stellen seines Tagebuches andere Gruppen der Eingebornen noch weit abschreckender. So bezeichnet er einmal sechs Feuerländer, die in einem Canoe neben ihm und seinen in der Nähe der Wollaston-Insel an’s Land gehenden Gefährten sich befanden, als die elendsten Geschöpfe, die er irgend wo gesehen. Während die Eingebornen an der Ostküste Guanaco-Mäntel und die auf der Westküste Robbenfelle, bei der centralen Stämmen die Männer meist eine Otternhaut oder doch irgend einen ähnlichen, freilich zur Bedeckung nicht hinreichenden schmalen Streifen als Bekleidung tragen, waren die Feuerländer in dem Canoe völlig nackt, und selbst eine ganz erwachsene Frau in Eva’s Costüm. Diese armen elenden Geschöpfe waren in ihrem Wachsthum verkümmert; ihre häßlichen Gesichter hatten sie mit weißer Farbe beschmiert; ihre Haut war schmutzig und fettig, ihr Haupthaar verwirrt, ihre Stimme mißtönend.

„Erblickt man solche Menschen,“ sagt Darwin, „so kann man sich kaum zu dem Glauben bekehren, daß sie unsere Mitgeschöpfe und Bewohner einer und derselben Welt sind.“ Und doch geht

aus den persönlichen Beobachtungen des berühmten Forschers hervor,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_734.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2024)