Seite:Die Gartenlaube (1881) 726.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

er, und bei aller Hast und Härte der Aussprache hatten seine Worte doch eine wärmere Klangfarbe.

Anne-Marie biß sich in die Lippen vor. Schmerz.

„Bemühen Sie sich nicht meinethalben und gehen Sie nur ruhig voraus, Herr von Boddin! Ich werde bald in der Lage sein, Ihnen zu folgen.“

Sie fühlte, daß sie nur mit Anstrengung aller Willenskraft sich würde nach Hause schleppen können, allein um keinen Preis der Welt hätte sie seine Hülfe angerufen. Es war eigentlich ein Wunder, daß er über ihr kindisches Laufen noch keine Glossen gemacht hatte.

„Ich wollte nur wissen, ob Sie sich den Fuß verstaucht haben,“ fragte er kälter. „Haben Sie die Güte, mir zu antworten, Cousine!“

Sie kämpfte einen Augenblick unschlüssig und nickte dann.

„So würden Sie ohne Hülfe einfach hier liegen bleiben, meine Verehrte,“ sagte er. „Himmel, dort kommen diese verwünschten Schafe schon wieder an. Sie, Mann halten Sie Ihre Schafe etwas zurück!“

Und ohne weitere Frage bückte er sich zu Anne-Marie nieder, nahm dieselbe, ehe die Ueberraschte dazu kam, sich zu wehren, wie ein Kind vom Boden auf und trug sie kraftvoll in leichtem Trabe auf die Landstraße hinüber, die er glücklich noch vor Ankunft der Heerde betrat. Das Bündel hatte er dabei nicht aus der Hand gegeben.

„Lassen Sie mich nieder, Herr von Boddin!“ rief das junge Mädchen, dessen Antlitz ein glühendes Roth bedeckte, während sie doch nicht umhin konnte, den Arm um seinen Nacken zu legen. „Das ist ungezogen von Ihnen.“

Er sah mit sicherem Lächeln, das bei ihm immer eine leichte spöttische Beimischung zu haben schien, auf die braunen Mädchenaugen nieder, welche ihn in Scham und Verwirrung anblickten

„So?“ meinte er kühl. „Lassen Sie sich diese Ungezogenheit immerhin gefallen! Sie hatte einen guten Zweck. Und nun versuchen Sie einmal zu stehen, Cousine, indeß ich ein paar Worte mit dem Manne da rede!“

Er ließ sie vorsichtig aus den Boden gleiten, bis er fühlte, daß sie zu stehen vermochte. Dann wandte er sich ab, ging zu dem Schäfer, welcher der Scene mit breitem Lächeln zugesehen hatte, und veranlaßte einstweiliges Hinübertreiben der Thiere in die Brache.

Während dessen hatte Curt von Boddin Anne-Marie den Arm gereicht, den diese wohl oder übel annehmen mußte, und begleitete nun ihre Gehversuche mit ermutigendem Zuspruch. Wie unbeweglich dieser Arm war! Kaum eine Linie breit gab er dem Drucke nach. So gingen die Beiden eine Weile neben einander. Anne-Marie. sprach gar nicht, sondern stieß nur von Zeit zu Zeit leise Schmerzenslaute aus; ihr Begleiter fragte blos hier und da, ob er stehen bleiben solle? Ob sie es bis nach Pelchow hinein aushalten würde? Wenn sie durchaus vorzöge, sich auf den Grabenrain zu setzen und zu warten, wolle er auch voraus gehen und den Wagen für sie besorgen.

Mit dem Gutswagen sei der Onkeln in Branitz zur Jagd; die anderen Gespanne wäre aus dem Felde beschäftigt, meinte Anne-Marie.

Wie zur Antwort erschien Curt’s Demminer Wagen im Gesichtskreise und lockte ein: „Gott sei Dank!“ auf die Lippen der Leidenden. Sie blieben jetzt stehen und ließen das Gefährt herankommen; zehn Minuten später rollte dasselbe zwischen den verwüsteten Thorpfeilern hindurch aus den Gutshof und hielt auf einen Wink Anne-Marie’s neben dem Herrschaftshause.

Eine ältliche Frauensperson bog mit überraschtem Gesicht um die Hausecke, während Curt hinabsprang und Anne-Marie die Hand reichte, um sie schließlich doch noch einmal auf den Arm zu nehmen und herauszuheben.

„Sie dort, kommen Sie einmal her und helfen. Sie meiner Cousine auf ihr Zimmer!“ rief er, die Neugierige gewahrend. „Sie hat sich den Fuß verstaucht. Oder noch besser: holen Sie gleich frisches Wasser und einen Streifen Leinwand. Wohin soll ich Sie geleiten, Cousine Lebzow?“

Anne-Marie deutete die Front des einstöckigen Hauses hinunter, das seine Giebelseite dem Hofe zukehrte. Zwischen dieser Front und der Nesselwüste führte ein rohes Steinpflaster an ein paar auffallend niedrigen, kaum anderthalb Fuß vom Boden entfernten Fenstern vorüber zu einer Thür, welche die junge Dame öffnete.

„So,“ sagte sie, ihren Arm frei machend und sich leicht verneigend, „und nun danke ich Ihnen für Ihren Beistand, Herr von Boddin. Das Weitere werde ich mit Hülfe von Dürten besorgen.“

„Treten Sie nur einstweilen ein! Ich will Ihnen lieber den ersten Verband anlegen, damit Sie’s ordentlich machen lernen. Je bester es geschieht, desto früher wird der Fuß gut.“

Er nickte, ohne eine Antwort abzuwarten und war kaum eingetreten als jene Person, welche die Leidende Dürten genannt, eilfertig das Verlangte durch eine Thür gegenüber hereintrug; in seiner raschen Weise nahm er den Strohhut ab, legte das Bündel mit den Pilzen ans einen Stuhl und nahm der Wirtschafterin, welche fragend von ihm zu dem jungen Mädchen und von diesem zu ihm hin blickte, das Waschbecken und die Leinwand ab.

„Nun setzen Sie sich gefälligst, Cousine!“

Anne-Marie stand finster, auf einen Stuhl gestützt, während Curt von Boddin die Gegenstände aus den Boden stellte und die apfelgrünen Handschuhe abzustreifen begann. Ihre Geduld war zu Ende; eine wahre Erbitterung überkam sie, und sie mußte der erstickenden Empfindung Luft machen.

„Ich sagte Ihnen bereits, Herr von Boddin, daß ich Niemand als Dürten um mich brauche, um die Umschläge herzustellen,“ stieß sie leidenschaftlich heraus. „Sie haben mich wegen einiger Dinge getadelt, welche Sie an mir unschicklich fanden; ich erkläre Ihnen, daß ich Ihre Art, mich zu behandeln, für mehr als unschicklich halte, und rate Ihnen, erst zu lernen, daß ein Mann von Erziehung eine Dame nicht auf offener Landstraße im Arme trägt, noch weniger aber gegen ihren Wunsch sich in ihr Zimmer drängt und sie zwingt, sich Dienstleistungen von ihm gefallen zu lassen, wie Sie mir deren durchaus erzeugen wollen. Ich bin kein Kind, Herr von Boddin, und werde außer meinem Onkel Niemandem gestatten, mich als ein solches zu behandeln.“

Sie hatte mit steigender Aufregung gesprochen und stand, die Augen voll Blitze und die Wangen von Gluth, hoch aufgerichtet vor ihm, und diesmal schlug sie die Blicke nicht nieder, als er, sichtlich verwundert, mit dem Abstreifen der Handschuhe innehielt und sie scharf prüfend ansah.

„Hm!“ sagte er langsamer, als es sonst seine Art war, „ich meinte es gut; wen Sie indessen die Sache so auffassen wollen, kann ich Ihnen das Recht dazu nicht bestreiten. Gestatten Sie mir nur, bevor ich Sie verlasse, ein Wort der Aufklärung und ein paar kurze Frage an diese Person dort.“

„Ich bin keine Person,“ warf Dürten Schoritz schnippisch hin.

„Meinethalben mögen Sie sein, was Sie wollen! Was mich betrifft, so bin ich Curt von Boddin und werde von jetzt ab hier wohnen und das Gut Pelchow verwalten, nebenbei also Ihr Herr sein; verstehen Sie wohl? - Ist Ihnen eine Anweisung gekommen, mir ein Quartier bereit zu halten?“

Dürten Schoritz blickte Hülfe suchend auf Anne-Marie, welche noch immer da stand, die Augen finster auf den Mann vor ihr gerichtet.

„Davon weiß ich nichts,“ antwortete sie endlich kleinlaut.

„Gestern muß ein Brief eingetroffen sein, der meine Ankunft melden sollte.“

„Onkel ist seit vorgestern abwesend, und die inzwischen eingetroffenen Briefe liegen noch uneröffnet da,“ nahm Anne-Marie statt der Wirthschafterin das Wort. „Schicke in’s Dorf hinunter zum Radmacher und schlagt für den Herrn Administrator ein Bett im Eßzimmer für diese Nacht auf! Dürten Schoritz ist die Wirtschafterin,“ wandte sie sich mit erzwungener Kälte zu dem Vetter herum, „wollen Sie ihr nur in Bezug auf Ihre Verpflegung Mittheilung von Ihren Wünschen mache.“

Curt von Boddin ließ den Klemmer von der Nase fallen und griff zu seinem Hute.

„Ich werde in einiger Zeit dieses Haus von drüben her betreten, und Sie werden mir Auskunft über Verschiedenes ertheilen und etwas zu essen schaffen – Leben Sie wohl, Cousine! Ich darf wohl annehmen, daß Sie meiner Theilnahme für Ihr Ergehen zu entbehren wünschen.“

Er nickte steif mit dem Kopfe und ging in die beginnende Dämmerung hinaus.

Es war ein zierlich eingerichtetes Zimmerchen, das er verließ:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_726.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)