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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schmackhaften Fleische, noch ein vorzügliches Leder, welches, dank seiner Festigkeit, den Krieger vor feindlichen Geschossen in hohem Maße beschützte. Selbst als die Feuerwaffe allgemein eingeführt wurde, trug der Soldat mit Vorliebe Kleidungsstücke aus Elenleder, und die Helden des dreißigjährigen Krieges sehen wir in Elenkollern streiten und fallen. Sagt doch in „Wallenstein’s Lager“ der Wachtmeister von seinem Feldherrn:

„Ja, daß er fest ist, das ist kein Zweifel;
Denn in der blut’gen Affair bei Lützen
Ritt er euch unter des Feuers Blitzen
Auf und nieder mit kühlem Blut.

Durchlöchert von Kugeln war sein Hut,
Durch den Stiefel und Koller fuhren
Die Ballen, man sah die deutlichen Spuren;
Konnt ihm keine die Haut nur ritzen,
Weil ihn die höllische Salbe thät schützen.“

Worauf der mehr nüchterne „erste Jäger“ erwidert:

„Was wollt ihr da für Wunder bringen!
Er trägt einen Koller von Elendshaut,
Das keine Kugel kann durchdringen.“

Daß der Glaube an die schützende Eigenschaft des Elenkollers wohl auf Uebertreibung beruhte, beweist uns übrigens dieselbe Lützener Schlacht, in welcher auch Gustav Adolf ein Elenkoller trug und doch das Leben lassen mußte.

Mit der zunehmenden Ausrottung der Wälder lichtete sich bedeutend der Bestand des Elchwildes in Deutschland, bis in Sachsen das letzte Elen im Jahre 1746 und in Schlesien im Jahre 1776 erlegt wurde. Gegenwärtig findet man dasselbe in geringer Anzahl von höchstens 100 Stück nur an der äußersten nord-östlichen Kante des deutschen Waldgebietes in dem Forste von Ibenhorst bei Memel. Auf diesem Waldcomplex, welcher aus etwa 2000 Morgen mit Kiefern, Fichten und Birken bewachsenen Höhenboden, aus 6000 Morgen Torfmooren und etwa 40,000 Morgen Erlenbruch besteht, fristet der ehemalige König unseres Waldes ein kümmerliches Dasein, vor dem todbringenden Blei des Feuerrohres durch strenges Jagdgesetz geschützt.

Die Erscheinung des gewaltigen Thieres gemahnt uns durch das eigenthümlich geformte Geweih und das sonderbare fast viereckige Maul an die Ungeheuer der vorsündfluthlichen Zeiten. Die Leibeslänge eines erwachsenen Hirsches beträgt 2,6 bis 2,9 Meter, die Höhe am Widerrist 1,9 Meter. Das Weibchen, welches in der Jägersprache das „Thier“ genannt wird, steht in der Größe dem Elchhirsche kaum nach, ist jedoch ein wenig schmäler gebaut und trägt kein Geweih.

Außerhalb Deutschlands lebt noch das Elen in Skandinavien und in den Ostseeprovinzen, von denen eine, Kurland, diesen „Roßhirsch“ der alten Deutschen in seinem Wappen führt. In ziemlich bedeutender Zahl findet sich ferner das Elch auf dem asiatischen Festlande und in Nordamerika, wiewohl auch dort sein Bestand bereits stark gelichtet wurde.

Die Elche in dem Ibenhorster Forste zeigen in letzter Zeit eine sehr geringe Fruchtbarkeit, sodaß die Befürchtung nahe liegt, daß auch diese letzten Repräsentanten dieses Hochwildes auf deutschem Boden bald aussterben werden. Um so mehr hat man also das Recht, sie schon heute als eine aus Deutschland verjagte Art zu bezeichnen, und um so größeres Interesse dürfte unsere heutige naturgetreue Abbildung des Thieres bei unseren Lesern erwecken.




Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)
30.

Der Eindruck, welchen Paris auf Siegmund machte, war überwältigend. Diese glänzende, tausendfarbige Welt, die mannigfaltige, immerwährende, ungeheure Bewegung, diese imposanten Paläste und Boulevards, die wimmelnden Straßen mit all den reizvollen Einzelbildern berauschten sein Auge, während er vom Bahnhofe nach dem „Grand Hôtel“ fuhr, um in diesem Riesenpalaste vorläufig abzusteigen. Jede Reisemüdigkeit war verschwunden; nachdem er sich umgekleidet und sich über die einzuschlagende Richtung orientirt hatte, drängte es ihn vorwärts – hinaus.

Der Weg nach dem Bankhause Selettier, seinem nächsten Zielpunkte, ließ sich zu Fuße zurücklegen. Warmes goldenes Licht fiel über den schönen Boulevard des Capucines, umspielte die gewaltigen Stufen der Madelaine, in deren Nähe alle Blumen, welche die Gärten noch versagten, verschwenderisch ausgebreitet lagen. Siegmund eilte mit leichtem Tritt über das breite Trottoir der schönen Straßen, alle Sinne lebhaft beschäftigt, aber dennoch mitten unter dem überall sich zudrängenden, lächelnden Neuen nur von einem Gedanken beherrscht. Jeder schnelle Pulsschlag galt diesem einen Gedanken: Heute noch werde er seine Mutter wiedersehen, ihre Stimme hören, ihren Augen begegnen – davor trat jetzt Alles in den Hintergrund; nur diese Gewißheit fieberte in ihm.

Das Bankhaus lag vor ihm, ein Palast. In die Comptoirräume eingeführt, übergab Siegmund einem jungen Manne, der nach seinen Wünschen fragte, seine Karte mit dem Ersuchen, dieselbe dem Chef des Hauses zuzustellen, den er zu sprechen wünsche. Nach sehr kurzem Verzug öffnete sich ihm das Privatcabinet des Banquiers; dieser, ein noch junger Mann, erhob sich bei seinem Eintritte vom Schreibpulte und fragte in höflichster Weise, aber ohne zum Niedersitzen einzuladen, womit er dienen könne.

„Entschuldigen Sie die Störung!“ sagte Siegmund; „ich komme, mir die Pariser Adresse Mr. Alfred de Clairmont’s zu erbitten, dessen Geschäfte Ihr Haus führt und der gegenwärtig hier anwesend ist.“

Der Banquier zuckte die Achseln:

„Kein Irrthum, Monsieur? Ich möchte die Anwesenheit Monsieurs in Paris bezweifeln.“

„Frau von Riedegg, meine Mutter, die dem Hause ihres – unseres Verwandten vorsteht, gab mir kürzlich Nachricht von hier aus –“

Der Banquier ließ einen neugierigen Blick über die elegante Erscheinung des in Civil gekleideten jungen Mannes gleiten.

„Ah!“ sagte er – und dann: „Die Beziehungen sind nur geschäftlichen Charakters, wahrscheinlich kein Anlaß vorhanden, das Haus zu benachrichtigen. Erlauben Sie –“

Er stand auf, öffnete die Thür und rief einen der im Comptoir arbeitenden Herren herbei.

„Mr. Pinel, sehen Sie doch gefälligst das Datum der letzten Eintragung für Madame Geneviève Clairmont nach –“

„Riedegg,“ verbesserte Siegmund.

„Pardon, Monsieur! Die Zusendungen Madames werden nach Weisung auf den Namen Monsieurs gebucht.“

Siegmund’s frappirter Aufblick begegnete einer Miene, die ihn reizte. Nun kehrte der Comptoirist zurück.

„Ancona, 5. März, Madame Geneviève Clairmont, zwanzigtausend Franken.“

„Sie wissen von keinem Avertissement einer Rückkehr nach Paris, Mr. Pinel?“

Der junge Mann verneinte schweigend und zog sich zurück.

„Bedauere –“ sagte der Chef.

Das Wort hätte ebenso gut Adieu heißen können.

Siegmund empfahl sich. Verstimmt, unbefriedigt wanderte er auf dem Trottoir ohne Ziel und Richtung. Mehr noch als die erlittene Täuschung ging Anderes ihm im Kopfe herum. Weshalb streifte seine Mutter hier den Namen ab, den sie daheim trug? Hatte sie im Anschlusse an Clairmont diesen Namen seines Vaters überhaupt freiwillig aufgegeben? Die quälenden Zweifel regten sich neu; auch die offenbare Unlust des Banquiers, ihm Rede zu stehen, eine gewisse Geringschätzung, die nicht in dessen Worten, wohl aber in seinem Tone gelegen, als von Frau von Riedegg die Rede gewesen, wirkten nun auf seine Stimmung nach. Er überlegte, ob es zweckmäßiger sei, sich an die österreichische Botschaft oder an die Polizeipräfectur zu wenden, um das Domicil seiner Mutter zu erforschen. Jedenfalls schien es rathsam, sich im Gesandtschaftshôtel über die localen Verhältnisse zu orientiren. Sein Paß sicherte ihm dort jedes Entgegenkommen.

Während er ganz vertieft immer vorwärts, vorwärts ging, ohne weiteren Blick für das schöne Paris, das ihn zuvor so sehr bezaubert, rief eine Stimme ihn lebhaft an:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_717.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)