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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Präcision und anerkennenswerther Schnelligkeit unter allgemeinem Beifall um den aus dem Bassin sich hoch erhebenden Leuchtthurm und durch glitzernde Felsengrotten ihre kleinen Rundfahrten vollzieht. Nur allein dieses Triumvirat: „Waggon, Ballon und Gondel“ genügt schon, um den elektrischen Strom in all seiner Herrlichkeit und Macht wirken zu sehen.

Herr Trouvé, der außer seiner vielbewunderten Gondel auf elektrischem Gebiete in unserem Jahrzehnt eine der ersten Autoritäten der französischen Nation ist – wir erinnern nur an seine zahl- und sinnreichen Erfindungen auf dem Felde der Anwendung des elektrischen Stromes in der Heilkunde – hat in allerjüngster Zeit wiederum die Welt mit einer ganz eigenartigen Schöpfung seines Genies beglückt. Es sind dies lebende, elektrische Schmucksachen: Schmetterlinge, welche ihre Flügel lustig hin und her bewegen, Häschen, welche emsig mit ihren kleinen Pfoten einer silbernen Glocke feine, helle Trillertöne entlocken etc.

Der Verfasser bemerkte diese Schmucksachen an der Coiffüre der Baronin von Rothschild, der Fürstin von Metternich und anderer distinguirter Personen. Nur reiche Leute können sich diesen Luxus erlauben; denn diese reizenden Schmucksachen, welche von den Damen in der Frisur, dagegen von den Herren meist als Busennadel in der Cravatte getragen werden, sind ziemlich theuer und kosten 100 bis 5000 Franken das Stück. Sehr beliebt sind diese elektrischen Kleinodien unter den reichen Radjahs von Ostindien und Birma, welche dieselben vorn an ihrem mächtigen Turban tragen und, so geschmückt, wohl einen sehr fashionablen Eindruck bei Gesellschaften und Gelagen der asiatischen Granden bewirken.

Doch kehren wir zurück von den braunen Fürsten des Ganges in den schimmernden Palast der Elektricität an der Seine, und wenden wir unsere Aufmerksamkeit auf ernstere Gegenstände. Hier stürzen mächtige Wassermassen in Etagenhöhe herab – sie sind vor wenigen Secunden gehoben worden durch die kleine, unscheinbare, dicht danebenstehende elektrische Maschine; dort sitzen zehn junge Mädchen vor zierlichen Nähmaschinen und fertigen allerhand nützliche Wäschestücke und Garderobe, aber sie mühen sich nicht mehr durch das anstrengende Treten der Kurbel ab; das besorgt heute die kleine elektrische Maschine. Gehen wir einige Schritte weiter, der deutschen Abtheilung zu! Hier steht ein großer Pavillon in geschmackvoller Ausstattung, eine Maschinenwerkstatt bildend. Es ist die Ausstellung der rühmlichst bekannten Maschinenfabrik von Heilmann, Ducommun und Steinlen zu Mühlhausen im Elsaß. Große, starke Dreh-, Hobel- und Bohrmaschinen für Eisenbearbeitung sind hier aufgestellt, und zahlreiche dunkle Lederriemen schwirren emsig durch die Luft. Fragen wir: „wer treibt alle diese 20 nimmer rastenden Werkzeugmaschinen?“ Nun, hier unsere kleine elektrische Maschine! Aber sie bewirkt noch mehr. Nicht allein bewegt sie alle diese Arbeitsmaschinen, sondern sie versorgt auch jede dieser Arbeitsstätten durch praktische konische Milchglasglocken mit dem angenehmsten und hellsten „Glühlicht“ nach dem System Edison, jener Beleuchtungsmethode, die bis noch vor wenigen Wochen die ärgsten Anfeindungen erfahren mußte und heute auf der Pariser Ausstellung durch ihre vorzüglichen Eigenschaften bereits alle Gegner besiegt hat.

In die schaurigen Tiefen der meilenlangen Tunnels dringt sie ein, die elektrische Maschine, und treibt hier völlig präcis und sicher die langen Bohrer, welche die Oeffnungen für die Dynamitpatronen zu schneiden haben. In die Oper, in’s Concert zu gehen, haben wir heute nicht mehr nöthig, das besorgt uns die Elektricität einfacher und bequemer. Dort an der Seite des purpurfarbenen Fauteuils hängt ein kleiner silberner Bügel an einer dünnen, seidenen Schnur. Wir lassen uns auf den weichen Sessel nieder und legen den Metallbügel an unser Ohr, um uns sofort inmitten eines wundervoll einherbrausenden Orchesters zu befinden. Wie alt erscheint uns heute dieses kaum vor wenigen Jahren zum ersten Mal vorgezauberte Wunder des Telephons! Und wenn auch alle diese Apparate noch keineswegs den Stempel der Vollkommenheit tragen, wenn auch manche von ihnen für das praktische Leben noch zu unpraktisch und zu theuer sind, so beweisen sie dennoch, daß es möglich ist, diese vielfältigen Arbeiten durch die elektrische Kraft zu vollbringen, und sie alle eröffnen eine bisher ungeahnte Aussicht auf neue Reformen in unserem Culturleben.

Da der elektrische Strom heute fast ausschließlich durch schnelle Rotation erzeugt wird und diese Rotation, außer mittelst Dämpfen und Gasen, durch jede beliebige elementare Kraft, wie Wind und Wasser, billig erhalten wird, so leuchten die weiteren nationalökonomischen Vortheile der allgemeinen Einführung der Elektricität in sämmtlichen Zweigen der Industrie und der Gewerbe sofort ein.

Die in einem einzigen Wasserfall der Erde, dem Niagarafall, enthaltene lebendige Kraft ist gleich derjenigen Dampfkraft, welche jährlich aus 270 Millionen Tons Steinkohlen erhalten wird, und das ist genau die Fördermenge der Kohlen aller Länder während eines Jahres. Es ist unbegreiflich, daß die amerikanische Nation, die sonst stets bei allen großartigen Unternehmungen schlagfertig dasteht, hier am Niagara in jedem Jahre die nützliche Kraft von 16 Millionen Pferden unbenutzt läßt.

Aber nicht allein der Niagara, sondern alle minder großen Wasserfälle der Erde, alle Stromläufe, sowie das continuirliche Phänomen der Ebbe und Fluth, können gezwungen werden, eine billige und außerordentlich gewaltige Elektricitätsmenge zu erzeugen. Sehen wir uns jedoch nach dieser allgemeinen Betrachtung die einzelnen in der Ausstellung vertretene Fächer der elektrischen Technik genauer an.

Diejenige Anwendung der Elektricität, die zur Zeit wohl das größte allgemeine Interesse in Anspruch nimmt, und welche demzufolge auch auf der Pariser Ausstellung außerordentlich cultivirt erscheint, ist unstreitig die Erzeugung des „elektrischen Lichtes“. Diese Errungenschaft der Neuzeit datirt im Großen erst seit der letzten Pariser Weltausstellung des Jahres 1878, obwohl bereits im Jahre 1813 Davy den ersten Volta’schen elektrischen Lichtbogen erzeugte. Was sich hier des Abends von 8 bis 11 Uhr dem Publicum im Ausstellungspalast darbietet, versetzt uns aus dem Reiche des Irdischen hinaus in das Reich des „Idealen“, in das Reich der wunderbaren Feenmärchen, die wir in unserer Jugend so oft geträumt.

Schon lange, ehe man den Palast der Ausstellung betritt, wird man getroffen von den lang gezogenen Strahlen zweier mächtiger elektrischer Reflectoren, die, gleich großen glänzenden Gestirnen, vom dunklen hohen First des Palastes ihre blitzenden Strahlen in die weitesten Entfernungen senden. Wunderbar geisterhaft erscheint der hierdurch grell erhellte berühmte Obelisk von Luxor des Place de la Concorde. Kommt man dem Palast näher, so erblickt man die Statuen zweier edel geformter Nymphen, welche mit ihren Händen eine starke elektrische Lichtquelle emporhalten, gedämpft durch eine in echt griechischem Stil gehaltene, die lang gezogene Form eines Prismas darstellende Laterne.

Bei jedem Schritt, den wir jetzt weiter zurücklegen, empfangen uns größere und zahlreichere elektrische Candelaber. Aber im Innern des Palastes, den wir nun betreten, strahlt und blitzt es aus circa 3000 elektrischen Flammen, von der stärksten möglichen hier benützten Lichtintensivität zu 4000 Normalkerzen bis zur kleinen elektrischen Glühlichtzimmerflamme von 8 Normalkerzen. Circa 50 verschiedene Systeme der Erzeugung elektrischen Lichts sind hier auf der Ausstellung vertreten und wetteifern allabendlich mit einander. Es würde uns jedoch zu weit führen, die Vorzüge und Nachtheile aller der einzelnen elektrischen Lampen zu besprechen. Wir theilen im Folgenden nur über diejenigen, die ein besonderes Interesse erwecken, Näheres mit.

Während die einen Aussteller das elektrische Licht frei von den glühenden Kohlenstäben herabstrahlen lassen, hüllen es andere in Milchglasglocken ein, um so die grelle Wirkung desselben zu mildern, und Andere wiederum fangen das in Souterrainräumen erzeugte Licht in großen Spiegeln auf und lassen alsdann den milderen, aber auch matteren Schein in die zu erleuchtenden Hallen sich ergießen. So hat ein Erfinder seinen elektrischen Beleuchtungsapparat, der speciell für Straßen- und Platzbeleuchtung bestimmt ist, tief in die Erde verlegt und läßt die elektrischen Lichtstrahlen von unten durch eine kleine Bodenöffnung im Trottoir vertical zu imposanter Höhe emporschießen, wo sie hoch oben in der Luft von einem gigantischen, von hoher Säule getragenen Reflector aufgefangen und, von diesem zurückgestrahlt, ihrem eigentlichen Wirkungskreise, dem Trottoir und Fahrdamm wieder nach unten zugeführt werden. Jedenfalls eine originelle Idee, deren Verwendung möglicher Weise bei unserer modernen „Theaterbeleuchtung“ zu erwägen wäre. Auf diesem letzteren Gebiete kommt es ja vor Allem darauf an, eine Beleuchtung zu schaffen, welche den Innenraum des Theaters nicht erhitzt und jede Feuersgefahr ausschließt. Beide dieser Bedingungen sind aber bei letzterem Systeme vollkommen gelöst.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_714.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)