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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Besprechung der heutigen kynologischen Verhältnisse Deutschlands an dieser Stelle unterbleiben muß. Nur Folgendes möchten wir noch besonders hervorheben: Die eigentümlichen Anforderungen, welche mit unerbittlicher Strenge an die Züchtung einzelner Hunderassen gestellt werden müssen, dürfen nicht von der Laune Einzelner abhängen. Nur gemeinsames Studium und gemeinsames Vorgehen können hier auf den richtigen Weg führen. Die heutige Richtung in unserer Kynologie verfolgt den Zweck, die sämmtlichen schönen, edlen und wertvollen Rassen der Vergessenheit zu entziehen, sie zu erhalten und zu veredeln. Die Engländer haben uns die richtigen Wege der Züchtung gewiesen. Benutzen wir diese Lehre, um unsere guten deutschen Hunde zunächst wieder auf den ihnen gebührenden Platz zu erheben! Dann wird es nicht schwer halten, das englische Material zu überflügeln, und wir werden die nicht unbedeutenden Summen, welche heute für edle Hunderassen nach England wandern, dem Lande erhalten.




Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Die Gesellschaft landete an einer kleinen Halbinsel, um Mittag zu machen, und alle Register fröhlicher Stimmung wurden vor der Tafelrunde aufgezogen; als man sich wieder einschiffte, und dem letzten Ziele der Fahrt, dem äußersten See-Ufer, zuzurudern, war sogar ein gewisser Uebermuth mit an Bord gegangen und ließ bald die Aussicht auf freiere Bewegung, als sie dem Einzelnen während der Seefahrt möglich war, sehr willkommen erscheinen, Schon begann die Sonne sich abwärts zu neigen, als die Gesellschaft landete und den Spaziergang über eine leicht ansteigende Landzunge unternahm – in langer Reihe; denn der zwischen Felstrümmern über nacktes Geröll führende schmale Weg gestattete höchstens paarweises Gehen.

Die Herren ließen ihren Damen den Vortritt. Siegmund war Einer der Letzten. Langsam nachschlendernd, gewahrte er im spärlichen Grase eine Blume, die er pflückte. Sein scharfes Auge suchte nun Margarita. Zwischen den Felsblöcken, die über das Uferland ausgestreut lagen, erhob sich eine schöne Esche; dort stand sie, den linken Arm um den Stamm geschlungen, der Hut hing ihr am Arme; ihr lockiges Stirnhaar bewegte sich schimmernd im Winde. Etwas Leuchtendes und zugleich Edles sprach aus ihrem Gesichte wie immer, wenn sich Schönes ihr auftat. Siegmund zögerte einen Augenblick, trat aber dann rasch näher. Die Augenblicke waren kostbar; er wollte sich die Erinnerung gönnen, hier, an seiner Lieblingsstelle, neben ihr gewesen zu sein.

Beide tauschten nur einen Blick und schauten dann auf den – kleinen, wie Jaspis schimmernden See, dessen Dreieck von phantastisch getürmten Felsen eingeschlossen war. Rötliche, hoch aufragende Hörner im Hintergrunde, starre Wände, von denen allerwärts glitzernde Wasserfäden niederrieselten, zur Rechten und Linken. Das dazwischen ruhende Wasser. war so wundersam klar, daß selbst die seichtesten Stellen am Strande das Blau des Himmels, die feinen Ufermoose rein wiederspiegelten. Weltentfremdet und erhaben war das ganze Bild.

„Wie göttlich!“ sagte Margarita leise.

Siegmund sah in ihre warmen Augen.

„Dieser See ist mir besonders lieb, seit Jahren,“ sagte er. „Wollen Sie in Erinnerung behalten, daß ich Ihnen nahe sein durfte, als Sie zum ersten Male hierher kamen? Sehen Sie, was ich hier gefunden habe!“

Sie nahm die kaum erschlossene blaue Gentiane, die er ihr bot, und berührte damit ihre Lippen. Obgleich ihre Augen nicht auf Siegmund gerichtet waren empfand sie den Blitz, der in den seinen aufflammte, und wurde purpurrot, während sie die Blume an ihrem Mieder befestigte. Wie im Bedürfniß, ihr glühendes Gesicht abzuwenden schwang sie sich leicht auf den Felsblock, neben welchem sie stand, bog einen Ast der erst schwach belaubten Esche abwärts, brach einen kleinen Zweig und reichte ihn Siegmund, ohne ein Wort zu sprechen.

„Wissen Sie auch, was Sie mir da geben?“ fragte er und sah sie an. „Die Esche ist ein heiliger Baum. Schlangen gehen lieber durch das Feuer, als durch den Schatten einer Esche; darum schützt ein Eschenblatt vor allem Bösen. Gönnen Sie mir noch diesen zweiten Talisman?“

„Alles!“ sagte das junge Mädchen innig.

Siegmund war im Begriffe, lebhaft ihre Hand zu erfassen; da besann er sich auf alle die Menschen umher; zugleich durchzuckte ihn die Erinnerung an die Rüge, welche ihm zu Theil geworden, als er sich neulich ebenso wie jetzt mit Margarita isolirt hatte. Sein Blick überflog die Gruppen schnell und scharf. Die Generalin stand abgekehrt – das einzige aus ihn gerichtete Augenpaar gehörte Max Friesack. Er bot Margarita unwillkürlich die Hand um ihr von dem Steine niederzuhelfen, auf dem sie noch stand, und ließ dann diese liebe Hand sogleich los, ohne sich den leisesten Druck zu gestatten.

Die Gesellschaft war im Aufbruche begriffen, und das rasche Sinken der Sonne mahnte, daß es Zeit war, sich einzuschiffen. Oberst Friesack bot der Generalin seinen Arm; sie nahm ihn nicht an und bezeichnete mit den Wimpern ihre Schwägerin. Der Oberst setzte sich mit der alten Dame in Bewegung, während Ottilie ein paar Schritte seitwärts trat um einen Theil der Gesellschaft an sich vorbei passiren ließ. Siegmund befand sich jetzt in ihrer Nähe; sie richtete eine Bemerkung an ihn, die ihn an ihre Seite führte. Margarita war schon voraus. Als die Gräfin nun auch folgte, behielt sie den jungen Officier neben sich, allerlei Gleichgültiges berührend. Schon war das Schiff in Sicht und die Vordersten im Einsteigen begriffen, als Ottilie ihren Begleiter ersuchte, ihr den Shawl umzugeben, und zugleich, um die noch Folgenden nicht aufzuhalten von dem schmalen Wege ob in das angrenzende Feld trat.

Während er ihr den kleinen Dienst leistete, wandte sie ihm ihre festen blauen Augen zu und sagte ganz ohne Strenge, in gelassenem Tone:

„Lieber Riedegg, ich möchte Ihnen etwas zu bedenken geben. Wir legen Werth auf Ihren Verkehr mit uns, mein Mann und ich. Lassen Sie diesen Verkehr nicht durch Unüberlegtheiten zur Unmöglichkeit werden! Wir verstehen uns, nicht wahr?“

Eine schnelle Flamme blitzte ihr aus Siegmund’s Augen entgegen; die rasche, unwillkürliche Bewegung seiner Hand schien ebenso raschen Worten auf seinen Lippen voranzugehen, doch wurden solche, wenn gedacht, nicht ausgesprochen. Er wechselte die Farbe und antwortete nur durch schweigende Verbeugung. Auch schien die Gräfin keine andere Erwiderung erwartet zu haben; nach kaum merklichem Zögern legte sie die kurze Strecke bis zum Ufer zurück und stieg ein. Siegmund setzte sich neben den Steuermann. Hier durfte er schweigen. Während das Fahrzeug im beginnenden Dämmer des Abends heimwärts ruderte, unterschied sein scharfes Auge ein rotes Krenz, das von der Platte eines der Gebirgsriesen aufragte. Dies war die Stelle, wo der kleine Nachen heute früh an dem Schiffe vorüber gefahren war und die Phantasie einer Genossin der Fahrt den Schluß einer Novelle in die Luft gezeichnet: zwei Menschen, die zusammen gehören – geschieden werden – nach Jahren sich wieder begegnen, nahe und doch unerreichbar – wie müßte Denen wohl zu Muthe sein?

Es war tiefe Nacht, als Wagen und Reiter in S. eintrafen Auf dem Residenzplatze trennte man sich. Siegmund’s Weg führte ihn über den Strom, und als er sich verabschiedete, schloß Max sich ihm an. Dies war nichts Ungewöhnliches, obgleich Friesack’s in anderer Richtung wohnten; heute war die Begleitung des Freundes aber Siegmund unwillkommen; nachdem er sich so lange Zeit Gewalt angetan hatte, empfand er glühende Sehnsucht noch Einsamkeit. Doch schien auch Max in schweigsamer Stimmung, gegen seine Art, die gewöhnlich jede erlebte Anregung wortreich austönen ließ. Erst als Beide über die schon menschenleere Brücke kamen, sagte er dicht neben dem Freunde in gepreßtem Tone:

„Siegmund!“

Die eigentümliche Betonung seines Namens riß diesen aus seiner Zerstreuung.

„Was ist Dir?“ fragte er, als er nun im hellen Schein der Gaslaterne den Ausdruck von Max’ Gesicht wahrnahm.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_706.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)