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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Freude beim Anblick einer Fülle von Liebesgaben; sie meinte, nie so reichlich beschenkt worden zu sein.

Das meinte sie bei jedem Anlasse gleicher Art; denn bei der Innigkeit ihres Wesens fühlte sie sich schon dann beglückt, wenn es für etwas zu danken gab, wenn der Quell von Freude frei ausströmen durfte. Den reichen Gaben der Eltern hatten sich allerlei Sendungen von Verwandten und Freundinnen zugesellt – eine ganze Schatzkammer, deren Reichthum sich gar nicht auf einmal übersehen ließ. Zwischen Stoffen und Büchern, Schmucksachen und Briefen lag auch ein Notenheft mit tiefblauer Decke, welche Margarita’s Initialen in geschmackvoller Ausführung trug. Sie schlag neugierig den Deckel zurück und ward schnell roth.

„Genzianen.
Comtesse Margarita Seeon
in Verehrung zugeeignet von Siegmund Riedegg.“

stand in schöner Fracturschrift auf dem ersten Blatte.

Sie hob das Heft ein klein wenig in die Höhe und tippte mit dem Finger auf ihren Namen:

„Gesehen, Mama?“

„Natürlich,“ sagte die Gräfin gelassen. „Lieutenant Riedegg bat mich um Erlaubniß, Dir seine Composition auf den Flügel legen zu dürfen. Ich ersuchte ihn aber, mir das Heft zuzustellen; vielleicht findest Du im Laufe des Tages Zeit, die Sachen durchzunehmen, und kannst die Artigkeit vergelten, indem Du heute Abend eine der Nummern vorträgst.“

„Margarita Seeon zugeeignet,“ murmelte das junge Mädchen entzückt, Ottilie sah ihre Tochter einen Augenblick aufmerksam an.

„Du wirst Dich hoffentlich nicht für einen musikalischen Stern halten, weil Dir musikalisches gewidmet worden?“ fragte sie mit kühlgewordenem Lächeln. „Auf solche Aufmerksamkeiten junger Leute, denen Zutritt im Hause vergönnt wird, ist überhaupt kein Gewicht zu legen; dergleichen gehört zum guten Ton. Lieutenant Riedegg hat Tact und wählte deshalb gerade die Form, welche seine Stellung zu uns bezeichnet.“

Die zartgeschweiften Lider des jungen Mädchens senkten sich. Weder in den Worten noch im Tone der Mutter lag Unfreundliches, aber dennoch war ihr Entzücken auf einmal wie ausgelöscht. Sie trat unwillkürlich vom Tisch zurück und folgte, ohne etwas zu erwidern, der Gräfin hinab in das Speisezimmer, wo sie die respectvollen Glückwünsche des Dienstpersonals etwas zerstreut in Empfang nahm. Ottilie schien auf diesen Stimmungswechsel gar nicht zu achten und besprach während des Frühstückes einige Vorbereitungen für den Abend, wobei Margarita ihre Munterkeit schnell zurückgewann.

Die Geburtstagsfeier sollte sich mit einer Art von Abschiedsfest vereinigen, da mit diesem Abende die winterlichen Donnerstage ihren Abschluß fanden und der General eine größere Reise vorhatte. Des Familienfestes wegen sollte heute der Kreis der Gäste erweitert, vor Tische ein wenig musicirt, nach dem Essen getanzt werden. Margarita freute sich namentlich auf diesen letzten Theil des Programms. Wer sie nur gehen sah, mußte begreifen, wie gern sie tanzte; denn diese Bewegung war für sie ein lebendig geworbener Rhythmus. Ihre feine Gestalt blieb den ganzen Tag über in einer Art von Tanzschritt, dem es an begleitender Melodie nicht fehlte – treppauf, treppab flog das Geburtstagskind, leise singend, überall schmückend, sie selbst der beste Schmuck für das feiertägige Haus.

„Wissen Sie, was ich möchte?“ sagte Margarita zu Lieutenant Riedegg, als der Contretanz sich auflöste, bei dem er ihr Partner gewesen.

„Nun?“

„Ich möchte für mein Leben gern einmal den C-dur-Walzer von Schubert tanzen können, den wir vierhändig spielen. Den giebt es aber wohl gar nicht für zwei Hände, und der gute Mann, der heut bei uns aufspielt, brächte ihn keinenfalls heraus. Schade!“

Siegmund lächelte zu ihr nieder. Ihr bei Tage wie von schwachem Goldschimmer überhauchter Teint hatte bei Licht eine Perlenfarbe, deren Schmelz durch einen kostbarer Schmuck, den sie an Hals und Armen trug, heute noch gehoben wurde. Die feinen Löckchen bewegten sich leicht auf ihrer etwas gewölbten Stirn, und unter den schmalen sehr dunklen Brauen ruhten die schöngeschnittenen Augen mit dem goldig braunen Stern im bläulichen Weiß Das weiche Oval des Gesichts, der thaufrische Mund waren so kindlich.

„Möchte jeder Ihrer Wünsche so leicht in Erfüllung gehen wie dieser!“ sagte er herzlich und sah sich um. „Max, auf einen Augenblick!“

Lieutenant Friesack nahm sich kaum Zeit, der Tänzerin, die er eben zurückführte, eine Abschiedsverbeugung zu machen. „Sie befehlen?“

Die Frage ward zwar nicht an den Rufer, sondern an Margarita gerichtet, wurde aber von Siegmund beantwortet:

„Comtesse Seeon wünscht den nächsten Walzer mit Dir zu tanzen.“

Das junge Mädchen sah etwas erstaunt aus; Max verbeugte sich mit strahlendem Gesicht, während Siegmund an Beiden vorüber zu dem in eine tiefe Nische des Saales gerückten Flügel ging, welchen der für heute engagirte Spieler eben verlassen hatte; er setzte sich an denselben und intonirte den eben bezeichneten Walzer.

Da glitt sie vorüber, vom besten Tänzer geführt, wie losgelöst von der Erde, so ganz Jugend und Freude, daß es genügte ihr nachzuschauen, um jede Sorge zu vergessen Siegmund wünschte jedoch keinen Augenblick mit seinem Freunde zu tauschen; hier am Flügel, während er die Melodie spielte, die ihren unschuldigen Wunsch befriedigte, während ihr süßes Gesicht vor Freude leuchtete, fühlte er sich ihr näher als Max, dessen Arm ihre leichte Gestalt umschlang. Auch blieb sein Lohn nicht aus. Er hatte kaum den letzten Accord angeschlagen und seinen Platz noch nicht verlassen, als Margareta unerwartet neben ihm stand und ihm lieblich die Hand entgegenbot:

„Viel, viel Dank!“

„Da kämen wir aus dem Bedanken heute gar nicht heraus,“ scherzte er und erhob sich, „mein Gehorsam bedeutete ja meinen Dank – Sie wissen wofür.“

„O!“ erwiderte sie schnell. „Das, offen gesagt, das hat Mama mich geheißen. Ich that es nicht einmal gern; wär’ es nach meinem Sinne gegangen, so hätte ich keines von Ihren Liedern vor all den fremden Leuten zuerst gespielt. Die übrigen sollen Sie auch nur zu hören bekommen, wenn wir wieder einmal ungestört zusammen musiciren. Ich habe Ihnen noch nicht einmal so recht sagen können, wie froh es mich macht, daß so Köstliches mir gehört! Froh und sehr stolz.“

Ein rasches Wort drängte sich auf Siegmund’s Lippen; der unbefangene Blick, welcher seinem Auge begegnete, ließ ihn aber verschweigen – was verschweigen? Kaum war er sich darüber klar; er empfand nur, daß dieser freie Blick nicht damit übereinstimmte. Und schon sprach sie neckisch weiter:

„Weil Ihr Geschenk mich unter allen Angebinden am meisten freute, trage ich heut seine Farbe! Das haben Sie wohl gar nicht bemerkt? Mama meinte, ich solle Rosen tragen, ich kämpfte aber muthig für mein Blau. Gentianen freilich hatte ich nicht, Kornblumen tragen aber wenigstens die gleiche Uniform. Uebrigens war es recht schelmisch von Ihnen, den Fußfall einer kleinen Dame vor zwei jungen Herren auf solche Weise zu verewigen. Ich sehe ohnehin ja kein Blaublümelein, ohne so roth zu werben, wie es blau ist.“

Der letzte Satz dieser Scherzworte ging nicht mehr so fröhlich von den Lippen wie ihr Anfang; denn während Margarita vom Rothwerden sprach, tauchte sich ihr Gesicht, wie ihr seiner Hals in tiefe Gluth, und die Wimpern senkten sich vor dem stillen Blick, der auf ihr ruhte.

„Der Tag, an dem ich Ihnen zuerst begegnete, Comtesse, traf mit einer Wendung meines Geschicks zusammen“ sagte Siegmund leise. „Sie ließen mir eine Ihrer Blüthen zurück; ich bewahre sie noch; denn sie hat mir Glück gebracht. Deshalb nannte ich diese Lieder ohne Worte ,Genzianen’.“

Er hatte das ganz einfach hingesprochen, ohne nur zu wissen mit welcher Innigkeit. Ein scheuer, tiefer, warmer Blick flog zu ihm auf, um sich rasch wieder zu verhüllen. Sein Herz begann heftig zu schlagen; ein plötzliches Gefühl von Freude wuchs in ihm auf und sprang als übermütiges Scherzwort von den Lippen, die eben noch so verborgenen Dinge verrieten

„Sie kämpfen für unser Blau!“ sagte er in ganz verändertem Tone. „Und so tapfer kämpften Sie, daß Sie sogar eine Generalin besiegten! Mit welchen Waffen aber? Darf ich fragen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_690.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)