Seite:Die Gartenlaube (1881) 670.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


anderen derselben, Dufour’s, in dessen Adern französisches Blut floß, war es hauptsächlich zu danken, daß das kühne Beginnen in Angriff genommen und glücklich durchgeführt ward.

Von den Erfindern der Leipzig-Dresdener Bahn lebte bis ganz vor Kurzem noch einer, der Banquier W. Seyffarth in Leipzig. Auch er ist nun geschieden. Harkort ist an der Stätte seines Wirkens im Standbild verewigt; seine Büste, inmitten des grünen Baumwerkes am Rande des Parkes zu Leipzig auf hohem Sockel aufgestellt, blickt hinüber auf den glänzenden Bahnhof, der jetzt den Ausgangspunkt der Bahnlinie in Leipzig überdeckt. Ein zweites Denkmal, von Seyffarth an einer andern Stellte des Parkes gestiftet, verewigt das Unternehmen selbst, seine ersten und seine jetzigen Leiter.

Heutzutage, wo der Staat den Privaten eine dieser großen Unternehmungen – der Eisenbahnen – nach der anderen aus der Hand nimmt und sich aneignet, wirft man vielfach nur übelwollende oder höchstes mitleidige Seitenblicke auf die Privatindustrie, die, meint man, zur Schaffung und Leitung so großartiger Verkehrsmittel weder befähigt noch berechtigt sei. Aber man sollte nicht vergessen, daß ohne die wagende Kühnheit eben dieser Privatindustrie und des sie unterstützenden Associationsgeistes Deutschland wahrscheinlich noch lange ohne Eisenbahnen und hinter anderen Ländern zurückgeblieben wäre; denn die Regierungen, weit entfernt, das vorhandene Bedürfniß einer so tiefeinschneidenden Reform des ganzen Verkehrswesens zu erkennen und zu seiner Befriedigung die Hand zu bieten, verhielten sich damals meist sehr kühl dagegen, ja hinderten vielfach das Zustandekommen zweckmäßiger, dem Interesse des großen Verkehrs wirklich dienender Bahnlinien durch allerlei Rücksichten. Gerade in unserer Zeit, die so geneigt ist, den hohen wirthschaftlichen, politischen, ja sittlichen Werth des Princips der Selbsttätigkeit des Volkes zu unterschätzen und zu mißachten, kann es nicht schaden, daran zu erinnern, wie die bedeutendsten, großartigsten Unternehmungen aus jenem Gebiete in den dreißiger und vierziger Jahren fast ausschließlich und jedenfalls zuerst auf dem Wege eben dieser Selbsttätigkeit der Privaten zu Stande gekommen sind.

Noch ein anderes Bild aus jener Vergangenheit!

Das denkwürdige Jahr 1848 war fast zur Hälfte verflossen und hatte bereits Ereignisse von unberechenbarer Tragweite aus seinem Schooße geboren: in Preußen einen Thronwechsel; an der westlichen Grenze Deutschlands, in Frankreich, eine künstliche Heraufbeschwörung des Schattens Napoleon’s des Ersten und eine neue Auflage des Rufes nach dem „linken Rheinufer“. In der Metropole des deutschen Buchhandels aber, in Leipzig, feierte man in ungetrübter, voller Festesfreude das vierhundertjährige Jubiläum der Buchdruckerkunst, dieser echtdeutschen Erfindung. In Berlin hatte die Polizei das Fest verboten, oder sie hatte wenigstens alle die öffentlichen Kundgebungen verboten, die erst ein solches Fest zu einem rechten Volks- oder Nationalfeste machen. In Leipzig dagegen war die Polizei – Ehre ihr dafür! – so frei von Angst und so voll Vertrauen auf den guten Geist der Bevölkerung, daß sie ein wirkliches „Volksfest“ (auf dem großen Exercirplatze bei Gohlis) mit allen möglichen Lustbarkeiten nicht blos gestattete, sondern daß sie auch jeder sichtbaren Ueberwachung der wohl 30,000 bis 40,000 Köpfe starken Menge sich streng enthielt, die Wahrung der Ordnung lediglich dem Festcomité überlassend. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Nicht Ein Fall von Unordnung, von Trunkenheit oder Lärmen trübte das schöne Fest: das Volk bewies durch die That daß, wenn man ihm vertraut, es dieses Vertrauen rechtfertigt.

Tags vorher hatte die geistige Feier stattgefunden. Auf dem Marktplatze war eine Tribüne errichtet, von der aus Raimund Härtel, der Verstand der Buchdruckerzunft, die Festrede hielt. Am Schlusse dieser ward eine dort aufgestellte Buchdeckerpresse enthüllt, die sofort ein Festgedicht druckte, das unter die Kopf an Kopf gedrängten Zuhörer vertheilt ward. Als die Masse gegen die Tribüne hin wogte, um die von da herabflatternden losen Blätter aufzufangen, sah ich neben mir einen langen, hagern Mann, ernsten, fast sauren, aber bedeutenden Gesichts und sichtlich voll lebhaftesten Interesses, halb vorwärts drängend, halb gedrängt. Es war Dahlmann, das Haupt der berühmten „Göttinger Sieben“, deren tapfere Gewissensthat kurz vorher das fast in politischen Schlummer versunkene Deutschland so mächtig aufgerüttelt hatte. Mit seinen Freunden, den Grimm’s und Albrecht, war er nach Leipzig gekommen, um das Fest mitzufeiern, zugleich um sich persönlich für die warme Theilnahme zu bedanken, die Leipzig dem Schicksal der Sieben gewidmet; denn Leipzig war der Ausgangspunkt und Sitz jenes „Göttinger Comité“ gewesen, das Ehrensammlungen veranstaltete für die Männer, die ihrer Stellen entsetzt worden waren, weil sie ihren Verfassungseid nicht brechen wollten, der Ausgangspunkt jener Bewegung, welche nicht blos Adressen und Dankesworte, sondern auch klingende Beweise dafür geliefert, daß, wenn ein deutscher Fürst strenge Gewissenhaftigkeit mit Entziehung von Amt und Gehalt straft, das deutsche Volk bereit sei, aus seinen Mitteln solche Ehrenmänner zu entschädigen.

So trat mitten in die Festesfreude der Leipziger Jubelfeier der volle Ernst des Lebens hinein, gleichsam verkörpert in der edlen Gestalt Dahlmann’s: die Erinnerung an die traurige politische Misere unserer rechtlosen deutschen Zustände, glücklicher Weise aber auch zugleich das erhebende Gefühl, daß es noch Männer gäbe, die solchem Unrecht muthig die Stirn böten.

Damals war dies der erste und einzige Staatsstreich in Deutschland. Seitdem sind wir – namentlich in den fünfziger Jahren – überreich mit Staatsstreichen aller Art gesegnet gewesen. Aber, Gott sei Dank, auch da hat es nicht an Solchen gefehlt, die dem von den „Göttinger Sieben“ gegebene schönen Beispiel von „Männerstolz vor Königsthronen“ nacheiferten – freilich auch nicht an Solchen, die schwächlich oder charakterlos genug waren, ihre Ueberzeugungen zu wechseln mit dem Wandel der herrschenden Systeme. Immerhin wird das deutsche Volk gut thun, jene tapfere Mannesthat der Sieben auch jetzt und für alle Zeit als ein leuchtendes Vorbild unvergessen sein zu lassen.




Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


26.

Ottilie, Gräfin Seeon, hatte sich, seit sie uns als jugendliche Comtesse Riedegg aus den Augen schwand, in den vornehmen Lebensformen ihres Standes bewegt. Ihr Großvater selbst hatte sie in die große Welt eingeführt.

Das Wiederauftreten dieses seiner Zeit so hervorragenden, seit Jahrzehnten in Einsamkeit vergrabene Magnaten erregte Aufsehen; er ward von Seite des Hofes wie der Gesellschaft mit Auszeichnung empfangen, und diese Auszeichnung übertrug sich auch auf das schöne Mädchen, seine einzige Erbin.

Ottilie sah sich umworben, gefeiert, beneidet, und ihre kühle, etwas hochfahrende Art, diese Huldigungen anzunehmen, steigerte nur den Eifer Derer, welche nach ihrer Hand strebten – ein vermögensloser Officier aus altem Hause, Major Seeon, welcher den Jahren nach ihr Vater sein konnte, führte sie heim. Die Haltung, mit welcher Major Graf Seeon von seinem Glücke Besitz nahm, bewies jedoch, daß er solcher Auszeichnung werth sei; seine gediegene Persönlichkeit erschien überall an ihrem richtigen Platze und erwarb sich die Liebe Aller; nur mit seinem Schwiegervater, dem Grafen Riedegg, harmonirte der Major wenig, und die Jahre änderten nichts an dieser Kühle der gegenseitigen Beziehungen. Daß Ottiliens einziges Kind ein Mädchen war, bestärkte noch Graf Raimund’s Gleichgültigkeit. Mehr als je auf sich selbst zurückgezogen grollend gegen Menschen und Schicksal, den öffentlichen Ereignissen gegenüber völlig theilnahmlos, verzehrte der Greis in tiefster Einsamkeit sein Dasein, für dessen Ziele ihm dereinst die Erde kaum weit genug erschienen war.

Ottilie war glücklich, wenn dieses Wort auf leidenschaftsloses Zufriedensein Anwendung finden darf. Seit dem gewaltsamen Tode ihres über Alles geliebten Vaters, des einzigen Menschen, der ihr junges Herz erwärmt hatte, waren die Elemente des Stolzes, der Kälte, welche in ihr lagen, vorherrschender geworden, aber was

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_670.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)