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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

den gefährlicheren und nicht Jedermann erreichbaren Standorten behaupten kann.

Man muß die riesenhaften modischen Tellersträuße, in denen die Blume jeden poetischen Reiz verliert und die Körbe voll, welche im Sommer an vielen Eisenbahnstationen zum Verkauf ausgeboten werden, gesehen haben, um das zu begreifen. Angesichts dieses Mißbrauches kann man es nur billigen, daß eine Reihe von Cantons-Regierungen wie Bern, Graubünden und Obwalden, den Edelweißverkauf neuerdings durch Gesetze eingeschränkt haben. Dieselben verbieten zwar Niemanden, das Abpflücken und Ausgraben des bedrohten Kleinods der Alpen wohl aber das Feilbieten desselben auf Märkten und Straßen.

Obwohl die Gefahr einer Ausrottung bei der weiten Verbreitung und der großen Vermehrungsfähigkeit der Pflanze wirklich nicht so groß ist, wie sie erscheinen könnte, muß man diese Maßregel doch durchaus billigen, da es sich bei dem Verkauf und Versand der Wurzelpflanzen um den ziemlich verfehlten Versuch handelt, das Edelweiß in unseren Gärten und Zimmern einzubürgern. Es ist wahr, wir haben viele Alpenpflanzen an unsere Gärten und Töpfe gewöhnt, wir ziehen Eisenhut, Alpenveilchen, Alpenstiefmütterchen, Aurikel, Feuerlilien, Alpenrosen und andere von den Bergen stammende Blumen in unseren Gärten und Alpenanlagen, allein eine ziemliche Anzahl dieser Kinder der freiesten und herrlichsten Natur fügt sich durchaus nicht einer solchen Verpflanzung in tiefere Regionen, und weit entfernt, uns damit zu ärgern, vermehrt diese Freiheits- und Heimathsliebe nur die Bewunderung des echten Pflanzenfreundes für sie, geradeso wie derselbe die selteneren Orchideen seiner heimatlichen Wälder und Wiesen nur um so mehr schätzt je schwerer sich dieselben im Garten einbürgern lassen. Das Edelweiß läßt sich ja, wenn man ihm einige Sorgfalt widmet, Jahre lang im Garten cultiviren, allein meist verliert es schon binnen kurzer Zeit den dichten weißen Filz, der das Gewächs so einzig schmückt, und statt, wie andere Gartengewächse, in der Pflege geschickter Hände an Schönheit zu gewinnen, erinnert es in seiner kümmerlichen Erscheinung dann meist an jene gefangenen Vögelchen, die der egoistische Mensch, ihres Freiheitsdurstes nicht achtend, mit unendlicher Gefühllosigkeit im Käfig dahinschmachten läßt. Auch dem Edelweiß kann keine Gartenkunst die reine dünne Luft und das intensive Licht seiner Heimath ersetzen.

Als ich vor einigen Jahren mit einem jungen Poeten mehrere Wochen in den Hochalpen umherzog, sprachen wir oft von der unvergleichlichen Schönheit der Alpenpflanzen, die ihre Schwestern in der Ebene an Größe sowohl, wie an Farbentiefe und Duft entschieden zu übertreffen scheinen. Ich sage: scheinen; denn die Größe der Blüthen wenigstens beruht im Wesentlichen auf einer Täuschung, die in vielen Fällen nur durch die geringe Stengelentwickelung in dem überaus kurzen Hochalpensommer- und durch die Eigenthümlichkeit der Blätter hervorgebracht wird, sich zu dichten Polstern zusammenzudrängen, welche die Wurzeln vor Kälte schützen. Sie brauchen das Licht dort oben auch nicht mit langen Stengeln und weit umhervertheilten Blättern zu suchen; denn da oben giebt es keinen Schatten, außer dem unentrinnbaren der Bergeshäupter, der Wolken und Nebel, da der Wald viel tiefer liegt. Wer wollte den tiefen Azur der Enziane, das reine Carmin- und Purpurroth der Silenen, Nelken und Primeln der höhern Alpen übersehen? Selbst die gemeinen gelben Habichtskräuter und Löwenzahnarten entwickeln hier ein Goldgelb, das bis zu Orange und Mennigroth sich verdichtet, und die in der Ebene weißen Doldenblumen erscheinen hier rosa bis purpurn überhaucht. Ebenso verkünden die würzigen Düfte der Alpenblumen ihren Ruhm weithin.

Meinem Begleiter verschaffte es seiner Naturgabe gemäß größeren Genuß, diese in die Augen springenden Vorzüge vieler Alpenpflanzen als ein undurchdringliches Geheimniß der Natur zu bewundern; mir hinwiederum sagte es mehr zu sie zu analysiren und das Verständniß ihrer Oberheerschaft in den natürlichen Bedingungen ihrer Existenz zu suchen Es zerstört für mich die Poesie der Natur nicht, nach der neueren, den Lesern der „Gartenlaube“ in einem besondern Artikel (1878, S. 50 bis 52) vorgeführten Blumentheorie zu denken, daß die Blume alle ihre Anziehungskraft und ihre lockenden Reize zu ihrem eigenen Vortheile entfaltet, um dadurch Insecten anzulocken, die ihre Bestäubung und Fortpflanzung sichern; nein, diese Erkenntniß vertieft den Naturgenuß.

Natürlich müßte nach diesen Voraussetzungen ein Wettstreit unter den Blumen um die Entfaltung der höchsten Reize entbrennen, und so haben denn Nägeli und andere Botaniker für die Entfaltung höherer Schönheiten seitens der Alpenblumen schon vor Jahren die natürliche Erklärung darin gesucht, daß in den Hochalpen die Insecten sparsamer seien, sodaß immer nur die farbenprächtigsten und würzigsten Pflanzen-Abarten von ihnen zur Nachzucht ausgewählt und bevorzugt worden seien. Mein verehrter Freund, der Oberlehrer Dr. Hermann Müller, welcher die Beziehungen der Blumen zu den Insecten zu seinem Lebensstudium erwählt und seit einer Reihe von Jahre jeden Sommer seine Ferien in den Hochalpen zugebracht hat, um die Alpenblumen nach dieser Richtung zu untersuchen, auch kürzlich ein besonderes Werk über dieselben veröffentlichte,[1] will freilich diese Erklärung nicht als genügend ansehen. Er meint, es fehle an der Grenze des ewigen Schnees im Sommer durchaus nicht an Insecten, welche geeignet seien, die Fortpflanzung der Blumen daselbst zu sichern, namentlich nicht an den fleißigsten und geschicktester derselben an Bienen und an Schmetterlingen. Nun seien aber die Schmetterlinge jedenfalls die farbenfrohesten aller Insecten, wie schon ihr eigenes, oft in der höchsten Farbenpracht schillerndes Gewand bezeugt, und Dr. Müller schreibt ihrem Ueberwiegen dort oben im Besonderen die Züchtung der von ihnen bevorzugten herrlich carminrothen Alpenblumen zu. Aber die Schmetterlinge sind außerdem auch Duftverständige und verbreiten mittelst besonderer Duftpinsel oft selbst für unsere Nasen sehr angenehme Düfte, wie dies zuerst der ausgezeichnete deutsche Naturforscher Fritz Müller in Brasilien, ein Bruder des Vorgenannten, endeckte. In einem Briefe über einen Ausflug in das Quellgebiet des Rio Negro schrieb mir derselbe vor einigen Jahren in Betreff eines dortigen Tagschmetterlings (Papilio Grayi), daß derselbe wie eine Blume dufte, weshalb er ihn, zum gelegentlichen Daranriechen wie einen Strauß in der Hand getragen habe. Man kann sich deshalb kaum darüber wundern daß die Tagfalter als Beherrscher der mittleren Alpenregionen dort eine Anzahl besonders würziger roter Blumen gezüchtet haben, wie z. B. das Herzbrändli (Nigritella angustifolia) und einige andere Orchideen (Gymnadenia odoratissima) , die gestreifte Daphne und verschiedene Nelken und Primeln – im Gebirge Speik genannt – Blumen deren Duft zwischen Vanille und Nelken schwankt.

„Halt da!“ rief eines Tages mein Begleiter, indem er sich bückte und ein prächtiges großes Edelweiß dicht an unserem Pfade pflückte; „erklärt man dieses farben- und duftlose Symbol der Hochalpen-Natur etwa auch durch den hochästhetischen Formensinn der Insecten? Reichen da die natürliche Zuchtwahl, das Ueberleben des Passendsten, und wie diese Schlagworte sonst noch heißen, auch zur Erklärung aus? Ist nicht diese herrliche Blume vielmehr in aller und jeder Beziehung ein Abbild der majestätischer Natur, in der sie erblüht? Ihre Farbe ist so rein, wie der Firnenschnee der zackigen Bergeshäupter im Sonnen- und Mondenglanz, der dichte schneeige Filz, der selbst die Blumenblätter bekleidet, ist der Nachbarschaft des ewigen Schnees angemessen und der Blumenstern selbst ein frappantes Abbild des Schneesterns, dem die Firnen, Gletscher und alle die Wunder der Hochalpen ihren Ursprung verdanken. Wahrhaftig, das Edelweiß ist ein echtes Miniaturbild der Hochalpen-Natur in ihrer ganzen erhabenen Reinheit und Schönheit, und ein solches, mit seiner Umgebung in vollster Harmonie stehendes Wunderwerk konnte nur die aus dem Ganze schaffende Natur zu ihrer Selbstbespiegelung vollenden.“



  1. „Alpenblumen, ihre Befruchtung durch Insecten und ihre Anpassungen an dieselben. Mit 173 Holzschnitten.“ Leipzig, Engelmann. 1881 – Diejenigen Leser, die sich auf eine bequeme Weise mit der zierlichen und farbenprächtigen Erscheinung der Alpenblumen bekannt machen wollen, möchten wir bei dieser Gelegenheit auf das schöne bei F. Tempsky in Prag lieferungsweise erscheinende Farbendruckwerk „Die Alpenpflanzen von Joh. Seboth nach der Natur gemalt“ aufmerksam machen. – Ferner wird der „Deutsche und Oesterreichische Alpenverein“ für seine Mitglieder eine „Anleitung zu botanischen Beobachtungen und zum Bestimmen von Alpenpflanzen“ im Frühjahre 1882 herausgeben. Um aber das Erkennen der einzelnen Arten dem Laien zu erleichtern, beschloß man, diesem von Professor Dr. R. W. von Dalla Torre in Innsbruck bearbeiteten Werke noch einen „Atlas der Alpenflora“ beizufügen Die erste Lieferung desselben liegt uns bereits vor; die Kinder der Alpenflora sind in derselben auf hellgrauem Papier in ihren bunten natürlichen Farben von dem bekannten Künstler Anton Hartinger in Wien trefflich wiedergegeben, sodaß die Arbeit das ungetheilte Lob aller Blumenfreunde sich erringen dürfte. Da der Atlas, welcher im Ganzen fünfunddreißig Lieferungen enthalten soll, auch an Nichtmitglieder des Alpenvereins zu dem Preise von zwei Mark für die Lieferung abgegeben wird, so empfehlen wir denselben der Aufmerksamkeit unserer Leser auf das Wärmste.
    D. Red.
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