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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

2.

Es war ein gar traulicher Raum, den Else von Düchau seit zwei Monaten wieder bewohnte. Eine ältere Cousine hatte sich denselben, da sie jahraus, jahrein aus längere Zeit nach Barten zu kommen pflegte, vollständig nach ihrem Geschmack eingerichtet, und von diesem war es in der ganzen Familie bekannt, daß er selbst mit einfachen Dingen die freundlichsten Wirkungen hervorbrachte. Hier konnte weder der purpurne Plüschbezug der Meubles, noch die birkenen Etageren, Tische und Stühle auf irgend welche Eleganz mehr Anspruch machen, wohin sie aber gestellt waren, unter welchen Bildern sie standen, selbst durch welche der zahllosen Nippes sie geziert wurden – diese Anordnungen brachten ein reizvolles Ganzes hervor.

Else hatte sich nach der Verheirathung der Cousine für ihre Besuche in Barten ebenfalls diesen Raum zum Bewohnen ausgebeten; nur einige Kleinigkeiten waren hinzugefügt, nichts Wesentliches umgestellt, so war er geblieben, was er immer gewesen, der volle Ausdruck einer weichen, sinnigen Persönlichkeit. Obwohl gerade der Ausdruck für Else wenig paßte, fühlte sie sich doch in dieser Umgebung wohl und versicherte gern, daß sie das Zimmer nur gewählt habe, um so ihrer lieben Hertha rascher ähnlich zu werden. Natürlich trat dabei schon in der bloßen Art und Weise, wie sie dergleichen hinwarf, der tiefe Gegensatz zu Tage, der zwischen ihrem Wesen und dem ihres Ideals lag.

Eben freilich hätte Niemand, der sie nicht kannte, ihren Bewegungen, ihrer Haltung die sonstige Lebhaftigkeit zugetraut. Sie war immer wieder nachdenklich stehen geblieben hatte nur einmal wie verstohlen gelacht, ja die Blätter der Fächerpalme in so schmeichelnd zarter Weise gestreichelt, daß diese unter der ganz ungewohnten Liebkosung gleichsam erschauern mußten. Und jetzt stand sie schon eine Weile vor den beiden kleinen Oelbildern, welche über dem Sopha hingen: rechts die Rosenlaube mit all den Sonnenfunken, die golden auf der Erde lagen, schien sie am meisten zu fesseln, obwohl sie auch dem Wasserfall im Mondschein dann und wann einen Blick gönnte. „Froloff“ las sie mechanisch auf einer Rosenranke und versuchte sich nun darauf zu besinnen, was ihr die Cousine von dem Maler erzählt hatte: war es nicht Eigenthümliches gewesen?

Doch was kümmerte sie im Grunde dieser Maler! Hatte sie nicht an so viel Anderes zu denken? Es wurde schon dunkler; die Sonne mußte im Untergehen sein – jede Minute konnte Förster kommen. Wie er eigentlich aussah? Und würde seine Liebe tief genug sein, um das Opfer zu bringen? Wenn nicht, wenn nicht? Wäre das aber denkbar?

Sie richtete sich hoch auf: so voll empfand sie ihren Werth, daß sich der kleine Mund zu einem spöttischen Lächeln verzog. Und damit schwand auch das bisherige Träumerische ihres Wesens. Unruhig begann sie von einem Zimmer in’s andere zu gehen, trat hier an’s Fenster – dann dort, schlug auch ein paar Accorde auf dem Pianino an, doch blos, um gleich wieder aufzuhören, und war schließlich bereits im Begriffe zur Schwester hinüberzugehen, als sie deutlich Schlittengeläute hörte. Da kam er: noch rasch in’s Wohnzimmer, ihn dort an Doris’ Seite zu empfangen.

Sie ließ jedoch die Thürklinke, welche sie schon gefaßt hatte, wieder los. Wie Absicht könnte das aussehen, beinahe als würde er erwartet, von ihr erwartet. Das durfte nicht sein.

Nachlässig ging sie von Neuem bis an’s Fenster und sah scheinbar ruhig dem Tanze wirbelnder Flocken zu; dabei hörte sie aber genau, daß der Schlitten hielt und dann seitwärts nach der Remise fuhr. Recht lange dauerten die paar Minuten sogar, bis der Bediente „das gnädige Fräulein“ herüberbat.

Ganz als „Gnädige“ trat sie über die Schwelle des Wohnzimmers, doch flog sofort, ehe sie Förster recht angesehen, ein Rosenschimmer (es konnte allerdings noch ein Abglanz von ihrem vorherigen Studium der Rosenlaube sein) über ihre Wangen, und sie eilte nun in ihrer natürlichen Weise einem Stuhl in der Nähe von Doris zu, die eben von ihrem Mißfallen an dem eingetretenen Schneewetter gesprochen hatte.

Förster wandte sich gleich an Else:

„Schon Ihrer Frau Schwester drückte ich meine Freude aus, daß sich unser neuer Weg bei seiner gestrigen Einweihung so manierlich aufgeführt und selbst Ihrem schweren Wagen keine Schwierigkeiten bereitet hat. Wir waren recht in Sorge.“

„O, der Weg ist sogar alles Lobes würdig!“ scherzte Else.

„So lange wir ihn passirten, vertrugen wir uns auf’s Beste, da wir schweigen mußten; sobald die Chaussee erreicht war, ging auch der Streit los.“

„Du bist aber –“

„Nein – nein!“ unterbrach Else die Schwester, „glauben Sie mir nur – wir haben uns sehr ernstlich gezankt. Selbstverständlich Hemmingen und ich; Doris schlummerte sanft oder stand mir bei.“

„Und worüber – wenn die Frage nicht indiscret ist – waren die Meinungen so getheilt?“

Else hob ein wenig die Schultern und antwortete, Förster endlich voll ansehend:

„Diesmal kann ich Sie nicht zu meinem Ritter bekehren, wie neulich, wenigstens für jetzt nicht; ich muß noch über Alles schweigen – Familienangelegenheiten!“

„Verzeihen Sie!“

Doris machte eine Bewegung der Ungeduld und sagte:

„Else bemüht sich den Kobold zu spielen; also –“

„Davon weiß ich nichts,“ fiel Förster ein.

„Danke schönstens!“ rief Else und fuhr zu Doris gewendet fort: „Siehst Du, so gehen Verleumdungen zu Schanden. Ihr allein habt blos immer Tausenderlei an mir auszusetzen – ja; die theure Familie! Doch nun wieder gut sein, Dorette! Auch ich vergebe Dir.“

Damit sprang sie auf und ging nach einem seitwärts stehenden Schränkchen.

„Wir haben die Photogramme, von denen wir gestern sprachen, hervorgesucht. Hier sind beide Bilder von meinem lieben, lieben Starnberger und da – der unheimliche Königssee!“

Sie legte die Blätter vor Förster auf den Tisch.

„Habe ich nun nicht Recht? Hier Alles – Leben, Glanz, gleichsam nichts als Glück; da finsterer Ernst, selbst bei Sonnenschein – ein Frösteln nahe.“

„Doch wie charaktervoll!“ versetzte Förster. „Leider habe ich beide nicht gesehen, würde aber nach dem Bilde glauben, daß der Königssee eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Urnersee haben müßte. Und ich kenne nichts, was mich so bis in das Innerste berührst ja ergriffen hätte, als der erste Blick nach Flühen hinüber. Ganz unvergeßlich!“

„Gewiß!“ erwiderte Doris, „die beiden Seen gleichen sich. Der Urner liegt nur noch freier: man hat doch die Rütlipartie, das grüne Urier Thal; am Königssee – Felsen an Felsen; hier das Stückchen Land mit Sanct Bartholomae“ – sie zeigte auf die betreffende Stelle des Photogramms – „bemerkt man kaum.“

„Unvergeßlich, sagten Sie vorher?“ warf Else ein, „unsere Rückfahrt über den Königssee bleibt mir gleichfalls unvergeßlich. Es stieg ein Gewitter, hier über den Watzmann, auf, mit einer Schnelligkeit, in so schauerlicher Wolken – der Athem stockte uns. O, Doris auch, nicht blos mir! Die Schiffer mußten rudern, was in ihren Kräften stand; das Wasser kräuselte sich schon und sah wirklich aus wie König Watzmann’s Blut.“

„Aber Else!“ sagte Doris lächelnd, indem sie aufstand und nach ihrem Nähtisch ging.

„Ich kann mir nicht helfen,“ rief diese. „Wie Blut sah es aus. Irgendwo mag noch eine rothe Wolke am Himmel gewesen sein – der Wiederschein! Damals dachte ich das schon. Was hat man nun an einer solchem Erinnerung? Noch heute empfinde ich ein Grauen, sobald ich mich da wieder hineindenke.“

„Ein Gewitter –“ meinte Förster.

„O für den See,“ unterbrach ihn Else, „ist Gewitter eine beinahe gleichgültige Zugabe. Herzbeklemmend bliebe er immer: und wenn man seine Felsen über und über mit Alpenrosen bestecken könnte, sie starrten doch wie das Unglück selbst drein. – Ich liebe nun einmal dergleichen Eindrücke nicht und suche sie noch viel weniger: überall Licht, Lachen und Freude! Nach unserm gestrigen Gespräch glaube ich übrigens, wäre das auch Ihr Geschmack – nicht wahr?“

„Für mein Haus, meine nächste Umgebung vermöchte ich mir nichts Reizenderes zu denken,“ erwiderte Förster warm. „Wie sich im Leben aber nicht Alles fortscherzen läßt, ja unser Herz, wenn auch vielleicht kaum bewußt, nach langer Helle wieder seine Schmerzen ersehnt, so möchte ich solche ernste Bilder nicht unter meinen Erinnerungen missen. Laube sagt einmal vom Drama: es solle nicht blos unterhalten, sondern auch schrecken und erschüttern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_655.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)