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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aber es ist nicht zu verkennen, daß die Bevölkerung allmählich beginnt; zur Schlotfeuerung überzugehen. In engem Zusammenhang hiermit steht auch wohl das Verschwinden des Rieddaches, und haben wir hier ein drastisches Beispiel für jene wirtschaftliche Anpassung, welche die äußeren Formen umgestaltet: der Grund für das Verschwinden des Rieddaches mit der Herdkuhle ist einfach der, daß die Feuerversicherung bei der Einführung des Schornsteins für Häuser mit Rieddächern viel höhere Prämien fordert, als für solche mit Ziegeldach.

Wie die Feuerstatt, so hat auch der Brunnen – um denselben an dieser Stelle gleich zu erwähnen eine eigenartige vom übrigen Deutschland abweichende Form, und wenn man sein Bild, aus dem Zusammenhang gehoben, einem Bewohner Oberdeutschlands vorlegte, so würde er denselben aller Wahrscheinlichkeit nach in die ungarische Pußta versetzen; denn es ist genau derselbe Ziehbrunnen mit dem mächtig hinausragenden Arm, den wir hier wiederfinden, meist, wie dort, roh aus einem unbehandelten Baumstamm angefertigt, von welchem an Stange, Seil oder Kette der Eimer herabhängt.

Die die Howand begrenzende Wohnstube oder „Dönse“, auch „Achterdönse“, theilt sich meist in zwei Zimmer. Die Möbel der Dönse sind auf das Allernothwendigste und Einfachste beschränkt, Vorhänge zieren meist die Fenster, und findet man da ab und zu eine wunderliche Färbung der im übrigen Deutschland nur in weißer Farbe üblichen Mullvorhänge in’s Hochrothe. Von den Fensterscheiben hat man vielfach gelesen, daß sie sich besonderer Verzierungen, namentlich auch durch Inschriften erfreuten; gegenwärtig ist aber diese Sitte, solche Fensterscheiben zu benutzen nicht nur ganz abgekommen, sondern man findet – mit Ausnahme allenfalls westfälischer Districte – auch diese alten Scheiben fast nirgend mehr.

Eine eigentümliche Ausstattung der Stube bildet oft der Strohdeckel. Während das übrige Deutschland denselben nur zum niedrigsten Dienst vor der Schwelle der Wohnung kennt, erscheint er hier in veredelter Form, buntgeflochten als Zimmerzierde, und zwar dutzendweise in regelmäßigen Abständen über den Boden der Stube verstreut. Beim Beschreiten eines solcher Zimmers fühlt man die moralische Verpflichtung, storchbeinig jeden einzelnen Deckel zu „nehmen“.

Das merkwürdigste und eigenartigste Institut der ganzen Wohnstube sind nun aber die Bellkästen. Soviel Poesie in der grotesken Alterthümlichkeit des Hauses liegt, hier hört sie absolut auf. Diese Bettkästen findet man zwar auch in einigen französischen und englischen Districten, ebenso in sehr alten Häusern des oberen Deutschland, namentlich noch auf Burgen, aber in solch weiter Ausdehnung sind sie nur in Niederdeutschland in Gebrauch. Entweder in dem todten Raume, welcher da entsteht, wo das schicke Dach auf die Grundmauer stößt oder in der Scheidewand zwischen den beiden Dönsen befindet sich eine Art dunkler Verschlag (die beigegebene Skizze, Nr. 8, illustrirt dies), oder auch zwei neben einander durch eine Scheidewand getrennte; der untere Theil desselben ist mit Stroh gefüllt und darauf liegen Berge von Federbetten, welche dem Raum entsprechend ein Lager für zwei bis drei, ja mehr Personen bilden. Macht das Ganze schon den Eindruck einer finsteren Höhle, so kommt nun eine weitere verdunkelnde Einrichtung dazu: die „Schotten“, Schiebtüren, welche der Bauer, sobald er mit seinen Bettgenossen in den Kasten gekrochen ist, wie der Staar in den seinigen, namentlich bei kälterer Witterung hinter sich zuschiebt.

Das ist nun zwar schauerlich, das Merkwürdigste ist es aber doch noch nicht; dieser Vorzug gebührt meiner Ansicht nach dem „Bettquast“. Mitten über dem Bett hängt nämlich von der Decke des Bettkastens eine Schnur mit einer Quaste oder einem Knopf herab, so weit, daß der im Bett Liegende sie mit ausgestrecktem Arm erreichen kann. Das Ding heißt der Bettquast und soll, wie man uns sagt, zum Aufrichten dienen – eine wunderliche Aufgabe, welche fast den Verdacht erregen könnte, daß es dem niederdeutschen Bauer ganz besonders schwer falle, aus den Federn zu gelangen.

Ueber alle die geschilderten Einrichtungen, über Mensch und Thier, legt sich nun ein breites gewaltiges Dach, das ebensowohl mit Stroh, wie ganz besonders auch mit „Reid“, unserem Ried, dem reichlich an den Deichen wachsenden Schilfe, gedeckt wird, welch letzteres ein sehr dauerhaftes Material liefert. Auf dem Dach wuchert eine starke Moosvegetation, und auf dieser haben wiederum oft Pflanzensamen Wurzel geschlagen und geben mit ihren hochgerichteten Stengeln dem Ganzen ein eigentümliches und freundliches Aussehen.

Bei dem Dache selbst sind zwei Formen zu unterscheiden: die eine, bei welcher die Giebelwand des Hauses bis unter den Hahnenbalken reicht, die andere, welche ein nach der Giebelfront des Hauses schräg abfallendes Dach zeigt, welches meist nur bis zur Hälfte der Höhe des Daches hinabreicht, sodaß die Giebelfronten des Dach- und Mauerwerkes eine größere Höhe haben, als die Seitenwände. Diese letztere Art hat noch am Giebel eine besondere Gestaltung, den Walm, einen mützenartigen, über den gekränzten Hahnenhölzern gewölbten Aufsatz von Stroh oder Ried, in dessen Mitte sich das sogenannte Uhlenloch befindet (oft durch ein Thürchen verschlossen), welches dem Fruchtboden Licht gewährt; doch ist diese Oeffnung nicht überall vorhanden.

Was aber diese Stelle – den Giebel – zu einem der interessantesten Theile des ganzen Hauses, ja vom historischen Standpunkte vielleicht zum merkwürdigsten macht, ist das Giebelzeichen, die gekreuzten Pferdeköpfe – ist jedoch hier nicht der Raum geboten, näher auf diese altehrwürdige Giebelzierde einzugehen und behalte ich mir deren Besprechung für einen späteren Artikel vor. –

Wenn wir die Geest und ihr altertümliches Haus verlassen und in die Marsch hinabsteigen, so tritt uns hier nicht allein eine große Mannigfaltigkeit der Bauarten entgegen, sondern für den erster Blick scheint auch kein klarer Zusammenhang mit dem Typus des alten Geesthauses zu bestehen, doch ist in Wirklichkeit dieses als der Stammvater des Marschhauses anzusehen. Die scheinbar vollständige Verschiedenheit ist die Folge eines ähnlichen Vorganges, wie er in der organischen Welt zur weitesten Umgestaltung führt – die Folge der Anpassung an die umgebenden Verhältnisse, die in der Marsch total verschieden sind von denen in der Geest.

Für die Abstammung vom Geesthaus sprechen sowohl die Geschichte der Marsch, wie die im gegenwärtigen Bau der verschiedenen Marschhäuser noch erhaltenen Reminiscenzen an das alte Geesthaus; denn die Marsch ist trotz ihrer wirtschaftlichen Ueberlegenheit über die Geest doch immer vom historischen Standpunkte aus durch die Geest beeinflußt worden. Der Typus des friesischen Hauses, wie wir es noch in Nordfriesland finden, mußte da aufgegeben werden, wo der einwandernde Friese seinen Blick von der See und Schifffahrt ab- und dem Land- und Ackerbau zuwandte. Hier aber traf er natürlich lediglich auf die Vorbilder der umgrenzenden Geest. Aber ebenso zeigt die weitere Geschichte der Marschen deren bewegteste Perioden durch den Kampf gegen die Geestbewohner charakterisirt werden, auf den weiteren Einfluß derselben hin, insofern bald schwächere bald stärkere Bevölkerungselemente der Geest unter diejenigen der Marsch gemischt wurden. Ja, dieser Einfluß der Geest hat heute noch nicht aufgehört, nur daß es nicht der blanke Stahl der Waffe, sondern das nicht weniger mächtige blanke Gold ist, welches hierbei eine Rolle spielt, indem sich bedeutende Massen Geestcapital zwischen den Besitzstand der Marschen schiebt.

In den westlichen Marschen ist der Einfluß Hollands sowohl in Bezug auf die Wirthschaft überhaupt, wie namentlich, was uns hier interessirt, in Einzelheiten der häuslichen Einrichtungen unverkennbar, während die östlichen wohl mit den Dithmarschen in Beziehung standen. In der neueren Zeit tritt nun die Beeinflussung durch das Hinterland, das obere Deutschland hinzu, welche sich namentlich von den Flußläufen aus geltend macht. Wie der Grund und Boden der Marschen durch Anschwemmung entstanden ist, so könnte man die geistigen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Marschen in den letztvergangenen Decennien sowohl, wie noch in der Gegenwart, mit einem Schwemmlande vergleichen, indem die mit der Benutzung des Dampfes immer mächtiger angeschwollene Flut des Verkehrs Schicht auf Schicht im Culturleben der Marschen absetzte, die freilich oft noch unvermittelt neben einander liegen, sich aber immer mehr zu einem neuen organischen Ganzen zusammenfügen.

Man kann allerdings wohl bei jeder Marsch im Allgemeinen von einem Typus ihres Häuserbaues sprechen, aber dieser Typus ist in Wirklichkeit keineswegs streng durchgeführt; denn theils drängen sich verschiedene Bauarten neben einander, theils weichen die einzelnen Gehöfte mehr oder weniger von der Norm ab, auf keinen Fall aber existirt ein allgemeingültiger, aller Marschen gemeinsamer Typus; das, was alle Marschen mit einander theilen, schließt sich an die Eigenthümlichkeit des Marschlandes selbst an.

Die Marsch ist ein vom Wasser geschaffenes, vom Wasser um- ja überwogtes Land – das kommt zum prägnanten Ausdruck bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_630.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)