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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

welchem die Saiteninstrumente, voll ausdrucksmächtigen Accorden des Flügels begleitet, wie Gesang hintönten, weckte großen Beifall. Das lieblich beginnende, feierlich prächtige Andante, welches Siegmund die erste Stimme gab, riß die Zuhörer noch lebhafter hin und die wetterleuchtende Gewalt des Finale weckte einen wahren Sturm voll Applaus.

Dreimal zurückgerufen, ward Siegmund, nachdem er in das Zimmer der Musiker zurückgekehrt, von Glückwünschenden umringt. Gönner und Neider – Alle äußerten sich lebhaft über den großen Erfolg, welchen der Debütant gewonnen. Er athmete hoch auf, als der Beginn der nächsten Nummer Alles in den Saal zurückeilen ließ und er sich allein fand. Seine klopfenden Pulse ließen ihn nicht ruhig auf einer Stelle weilen; er ging erregt auf und nieder, warf sich aber endlich doch in einen Sessel, in welchem er, tief in Gedanken, das Ende des Concertes erwartete, um dann mit Fügen nach Hause zu gehen.

Das Programm näherte sich seinem Schluß. Während der zwischen die beiden letzten Nummern fallenden Pause ließ nahes Stimmengemurmel Siegmund aufblicken. Zwei Herren standen mit dem Rücken gegen das Zimmer unter der halboffenen Saalthür und unterhielten sich. Beide waren Siegmund als Musikfreunde bekannt, namentlich der Aeltere, welcher bei Fügen häufig aus und ein ging. Obgleich die beiden Herren ihre Stimmen dämpften, vernahm Siegmund in der tiefen Stille, die ihn umgab, doch jedes Wort. Sie sprachen über sein Spiel. Er wurde dunkelroth und änderte seine Stellung.

„Ganz vortrefflich!“ sagte der Eine enthusiastisch. „Nicht wahr? Wie zart kam jede Feinheit heraus; nicht die leiseste Nüance ging verloren Dieser junge Mensch wird noch einmal von sich reden machen“

„Hm,“ warf der Aeltere ein, „fanden Sie nicht bei alledem den Vortrag ein wenig conventionell? Das heutige Ensemble kann nicht als Maßstab gelten; ich hörte den jungen Riedegg aber wiederholt im Fügen’schen Hause spielen – Beethoven, auch Chopin, und jedesmal hatte ich gleichen Eindruck wie heute: mir wäre bei solcher Jugend ein weniger geschmackvoller Vortrag lieber; spürte man statt dessen nur etwas von dem Ungestüm, von dem dunklen Vorwärtsdringen, das den Anfänger vom beginnenden Virtuosen unterscheidet!“

„Aber ich bitte Sie –“

„Sie haben Recht in Allem, was Sie sagen wollen – ich habe aber auch Recht. Wir hörten einen trefflichen, einen ganz vorzüglichen Schüler des Meisters – diesen Meister wird er aber nie erreichen.“

Der vorgeneigte Kopf des im Schatten sitzenden Lauschers senkte sich tiefer, als der eben einfallende Schlußchor das Gespräch abschnitt. Einige Minuten nachher stand Siegmund rasch auf, nahm seine Noten unter den Arm und verließ das Haus.

Das schwache milde Licht des Neumondes begegnete seinen heißen Augen; hell und still lag die Straße vor ihm, welche von hier in gerader Richtung nach Fügen’s Wohnung führte. Auf dem Platze vor dem Conservatorium zeichneten sich die dunklen Silhouetten wartender Wagen ab, von schwatzender Dienerschaft umgeben. Siegmund wandte sich nach links und ging raschen Schrittes dem Quai zu. Dort war es tief einsam, und vom Strome her wehte scharfe Luft. Der späte Wanderer nahm den Hut ab und ließ den kühlen Wind durch seine Haare spielen, während er zwischen den schlanken jungen Bäumen der Uferanlagen auf- und niederging. Das that ihm wohl, ebenso das Schäumen und Brausen, mit dem das Wildwasser unaufhörlich gegen die Pfeiler der Bogenbrücke schlug.

Das wie Silber und Perlen auf dem Wasser zitternde Licht, so hold es war, sagte ihm nichts in dieser Stunde; sie war ihm keine Stunde der Träume. Jenes starke, wilde und dennoch rhythmische Brausen stimmte aber mit den Schlägen seines Herzens überein. Was er seit Monaten schweigend in sich getragen und durchgekämpft, forderte heute feste Gestaltung von ihm, und er war auch schon mit sich einig. Loszulassen, was als heißer Kämpfe werth erfunden worden, ist aber furchtbar schwer, bleibt selbst dann ein Schmerz, wenn es um des erkannten Besseren willen aufgegeben wird. Der alte Hang, zu dem er seit frühester Kindheit geneigt, packte Siegmund eben jetzt wieder mit so leidenschaftlicher Gewalt, daß er empfand, er müsse das beschlossene Loslassen ohne längeres Zögern zur That beschleunigen. Er hob plötzlich den Kopf. Sein Auge traf die gewaltigen Contouren des Gebirges, das sich, scheinbar näher gerückt, geheimnisvoll und majestätisch gegen den blassen Himmel abzeichnete. Wie anders dessen Formen, als die seiner heimatlichen Gipfel! Und doch mahnten ihn die dämmerigen Riesenhäupter an seine geliebte Heimath, an die theure Gestalt, welche höher und herrlicher in seiner Seele stand, als Alles, was aus Erden aufragte, höher sogar, als sein Ideal, die Kunst!




19.

„Endlich!“ rief Fügen dem Eintretenden etwas unnwirsch entgegen. „Wo um Alles in der Welt hast du gesteckt, Junge? So durchzubrennen – mir nichts dir nichts! Und der Max hat Dich gesucht wie eine Stecknadel und war sehr üblen Humors, daß Du nirgends auszumitteln warst. Die Resi gar, sammt ihren gebratenen Enten! Willst Du von der in den nächsten acht Tagen ein gutes Gesicht schauen, dann mußt Du mindestens eine doppelte Portion aufspeisen. Gelt, Resi?“

Das runzlige Gesicht der Alten, welche eben mit der duftenden Schüssel eintrat, trug wirklich einen verdächtigen Ausdruck, doch schmolz der harte Blick, mit dem sie ihren jungen Herrn begrüßte, bei seinem Anblick sofort dahin. Er war ja ihr Herzblatt.

„Ist’s denn erhört?“ murrte sie vorwurfsvoll, „so erhitzt, und damit herum rennen bei dem Wind! Wenn der Herr Siegmund morgen stockheiser sind, kann er sich dafür bei sich selber bedanken, und wenn er jetzt halb verbrogelte Enten kriegt – na, meine Schuld ist’s nit.“

Der Gescholtene nickte ihr begütigend zu und setzte sich schweigend an seinen gewohnten Platz. Fügen warf einen kurzen, festen Blick auf ihn und begann in seiner lebendigen Weise von Diesem und Jenem zu plaudern, bis die kleine Mahlzeit erledigt war und Resi eine Bowle heißen Glühweines auf den Tisch gestellt hatte. Der Hausherr füllte die Gläser.

„Ziert gleich Bescheidenheit den Mann wie den Jüngling,“ sagte er, „so laß uns doch unter vier Augen anstoßen – auf unser heutiges gutes Glück!“

Siegmund erröthete lebhaft.

„Ich bin beschämt,“ sagte er, während die Gläser zusammenklangen; „verzeihen Sie mir, lieber Meister, daß ich Ihnen nicht eher Glück wünschte zur glänzenden Aufnahme Ihres Werkes!“

„Das namentlich Dein Spiel zu dem schuf, was es bedeuten soll und kann.“

„Sie waren zufrieden?“ fragte der junge Mann zögernd.

„Das fragst Du? Wenn unser Publicum zufrieden ist und das so nachdrücklich äußert, sollte ich meinen, auch Du dürftest befriedigt auf den Erfolg blicken den Dir der Abend gebracht“

Siegmund’s Augen verschleierten sich einen Moment; dann wurden sie weit.

„Dieser Abend hat mir Anderes gebracht,“ sagte er fest. „Wollte ich sagen: Erkenntniß, so wäre das falsch; denn diese kam mir längst, aber er hat mir einen Entschluß gebracht.“

Fügen’s gespannter Blick begegnete dem des Jünglings, doch äußerte er kein Wort, bis Siegmund langsam, nachdenklich hinzusetzte:

„Meine Zukunft kann nicht der Musik gehören –“

Des Meisters Brauen rückten dicht all einander.

„Und weshalb nicht?“ sagte er in einem Tone, dem anzuhören war, wie sehr er sich zusammennahm.

„Weil ich begriffen habe, was ich mich lange sträubte zu begreifen: daß mir Grenzen gesteckt sind, über die ich nicht hinaus kam, wenn ich auch jeden Blutstropfen, jeden Nerv einsetze. Musik ist mir ja der Gipfel des Lebens, aber meine Kraft trägt mich nicht dort hinauf, und doch habe ich Kraft und Willen und Muth gleich Anderen, mehr vielleicht als Viele. Das ist es gerade. Alles Herrliche, das Sie, Meister, wollen und erreichen, das vollbringen Sie doch auch nur als ein Mensch – ich sehe das und kann mich daneben des eigenen Thuns nicht stellen. Was ich je componirt, es ist vielleicht correct, vielleicht melodisch; Sie lobten Manches – die eigenste Kraft, die ich in mir spüre, die kommt nicht darin zum Ausdruck. Unter der Linie dessen zu bleiben, was meine Zeitgenossen bei gleichem Streben vermögen – damit mag und kann ich mich nicht begnügen; es genügt mir nicht, ewig nur ein Virtuose zu sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_603.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)