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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


König Roger.

Als König Roger, der Normann, noch jüngst vertrieben von Lothar,
Sein altes Reich zurückgewann, gestützt auf eine tapfre Schaar,
Da zog er stolz mit seinem Heer und triumphirend über’s Land,
Bis er zuletzt in voller Wehr dem Städtchen Troja nahe stand.
Es ward von eis’gem Schreck gerührt die schuldbewußte Bürgerschaft,
Weil gegen ihn in’s Feld geführt die Stadt gehässig Muth und Kraft,
Und weil sie einst mit Rainulf sich, mit Roger’s Feind, verbündete,
Dem hier, wo jählings er verblich, ein Grabgewölb sich ründete.
Deßwegen wider Roger’s Zorn ward eine Schaar hinausgesandt,
Zu flehen um der Gnade Born und abzuwehren Mord und Brand.

Der König ließ die Botschaft vor; da fluchte sie dem alten Bund
Und zeigt’ ihm das bekränzte Thor, verzagt und winselnd wie ein Hund.
Doch Roger sprach hinweggekehrt: „Nicht lieben kann ich diese Stadt,
Die meinen ärgsten Feind geehrt und Lorbeern ihm gewunden hat.“
Und würdevoll entlassen, schleicht die Schaar zurück in Scham und Schmerz
Und kündet laut, daß unerweicht geblieben König Roger’s Herz.

Kaum hat das Volk sein Loos gehört, so tobt es wild Straß’ auf, Straß’ ab,
Das Schlimmste fürchtend, sinnverstört und wälzt sich hin vor Rainulf’s Grab.

Die Gruft, die kaum die Leiche barg, wird aufgestoßen mit Gewalt
Und fluchend zerrt man aus dem Sarg des Helden friedliche Gestalt.
„Es gilt des neuen Königs Huld, die unsre Stadt im Krieg verlor;
Dem danken wir’s; der trägt die Schuld. Auf, stürzt den Schurken über’s Thor!“
Die blinde Wuth vollführt den Plan, und eine zweite Botschaft eilt
Zu König Roger’s Heer, im Wahn, jetzt sei der böse Riß geheilt.
Man fragt ihn keck und hoffnungsvoll, ob er die That der Treue sah
Und einziehn werde sonder Groll – da nickt der Fürst ein schweigend: „Ja!“

Dies Wort erfährt die Stadt im Flug; bald herrscht Frohlocken überall;
In Prachtgewanden strömt ein Zug zur Mauer mit Drommetenschall –
Da spaltet sich das Eisenthor, und langsam, langsam zieht herein
Ein schwermuthvoller Priesterchor mit Kerzenglanz und Litanein.
Zu beiden Seiten staunend schaart verstummend sich das Volksgewühl:
Denn heldenmäßig aufgebahrt, auf schwarzem Tuch und sammtnem Pfühl,
In seidnem Fürstenpomp erscheint der ausgegrab’ne Rainulf jetzt
Und wird von seinem ärgsten Feind, von König Roger, beigesetzt.
Zur Kirche geht der fromme Held; die Menge folgt mit stumpfem Sinn;
Die Bahre wird in’s Grab gestellt, und betend kniet der König hin.
Er denkt des menschlichen Geschicks und lauscht der Priester ernstem Chor
Und würdigt jene keines Blicks und zieht hinaus zum andern Thor.

Wilhelm Henzen.




Vom siebenten deutschen Bundesschießen.

Kaum irgendwo ist das Schützenwesen volksthümlicher, als im südlichen Baiern, wo sich Jeder als einen geborenen Schützen betrachtet. Bis in die neueste Zeit, welche der Wehrkraft des Volkes ganz andere Formen gegeben hat, überwachten der Staat und die Gemeinden selbst das Schützenwesen als ein für die Landesvertheidigung unentbehrliches Institut, indem es gesetzlich geregelt und durch verschiedene Vortheile begünstigt ward. Kein Wunder also, daß der stolze Satz: „Ein Schütz’ bin ich“ – den Ehrgeiz des Landmannes wie des Städters in gleicher Weise weckte und der Gang zur Schießstätte von jeher als ein ehrenvolles Privilegium des freien Mannes galt.

Unter solchen Verhältnissen erregte schon die Kunde, das siebente deutsche Bundesschießen werde in der baierischen Landeshauptstadt abgehalten werden, überall freudige Sensation.

In München selbst wurden die Vorbereitungen zu dem Feste mit wahrer Begeisterung betrieben; die Garantiefonds waren bald aufgebracht, und es schien auch die Beschaffung eines passenden Platzes nicht schwer; man dachte von vornherein an die „Wiese“. Was die so kurzweg „Wiese“ benannte Fläche dem Münchener ist, muß erst erklärt werden. Auf dem westlich der Stadt gelegenen großen Plane, welcher durch die Ruhmeshalle mit dem Kolossalbilde der Bavaria abgeschlossen wird, feiert die baierische Landwirthschaft ihr jährliches Hauptfest, welches zugleich ein großartiges Volksfest darstellt, an dem die Bewohner des ganzen Landes und fast ausnahmslos die Einwohner Münchens theilnehmen. Dieser Platz, den die Tradition bereits geheiligt hat, ist jedem Münchener werth und theuer; denn Erinnerungen, die bis in die fernsten Tage der Kindheit zurückgehen, verleihen ihm eine Art historischen Ranges, und deshalb glaubte man den Gästen nichts Schöneres bieten zu können, als die „Wiese“, vollständiger ausgedrückt: die Theresien-Wiese. Nach einigen mühsamen Unterhandlungen mit den dortigen Grundbesitzern ward das nöthige Areal dem großen Zwecke gewonnen, und nun begann eine eigenartige Arbeit. Man begnügte sich nicht damit, nach Muster der obligaten Volksfeste für die Unterkunft der Theilnehmer zu sorgen, sondern trachtete, dem Charakter Münchens als Kunststadt entsprechend, das Aeußere des großartigen Werkes durch die Weihe der Kunst zu veredeln.

Die Künstlerschaft nahm sich mit Eifer und Liebe der Sache an, und bald lagen die Entwürfe für die Bauten nach Angaben des Malers Rudolph Seitz und des Architekten Gabriel Seidl vor, deren Namen in den weitesten Kunstkreisen wohl bekannt sind. Im Frühjahre wurde mit den Arbeiten begonnen, und am 22. Juli, einen Tag vor der Eröffnung des Festes, stand die kleine Schützenstadt fertig da.

Der frühe Morgen des nächsten Tages sah die Münchener geschäftig, ihre Häuser zum würdigen Empfange der Gäste zu schmücken. In bunten Wellen wogten die mächtigen Flaggen des Reiches, des Landes und der Stadt durch die Lüfte, und was an Blumen, Kränzen und Guirlanden aufzutreiben war, wurde dem frohen Beginnen geopfert. Auf dem festlich geschmückten Bahnhof wurde jede neu ankommende Schützenabtheilung von einem Comitémitgliede begrüßt; hierauf erschienen zwölf wahrhaftige Münchener Kindeln – in die Tracht des bekannten Mönchleins gekleidete Kellnerinnen – und kredenzten den schäumenden Pokal. Das mundete den von der Fahrt und durch die Hitze mitgenommenen Schützen, und neugestärkt folgten sie dann der Schützenmusik, welche sie nach dem alten Rathhause geleitete, woselbst die Fahnen aufbewahrt wurden.

Auf den Straßen entwickelte sich reges Leben und Treiben. Tausende von Münchnern bildeten förmlich Spalier, um die Ankommenden zu sehen und zu begrüßen, und es war, als ob mit den Gästen die eigentliche Festesbegeisterung ihren Einzug in der Isarstadt gehalten hätte. Die in mehreren Schulhäusern errichteten Massenquartiere waren zwar einfach, aber reinlich und freundlich ausgestattet; eine in launigen Versen abgefaßte Hausordnung machte den Gast mit der Hauspolizei bekannt, und ein Wunsch- und Beschwerdebuch gab ihm Gelegenheit, sein Herz, wenn es sich durch etwas beengt fühlen sollte, zu erleichtern.

Der folgende Tag, wohl der glanzvollste und schönste der ganzen Festperiode, sah mit hellen Augen gar freundlich in die Stadt herein, und schon in früher Morgenstunde rüstete sich alle Welt zum Festzuge. Wer selbst nicht activ betheiligt war, eilte einen passenden Zuschauerplatz zu finden, zu erhaschen, zu erkämpfen. Gegen Mittag war der riesige Körper des Festzuges zusammengefügt, und langsam setzte er sich in Bewegung.

Nach der Absicht der Arrangeure sollte die Eintönigkeit eines aus gleichen Elementen zusammengesetzten Zuges durch stellenweise Einschiebung einer historischen Abtheilung unterbrochen werden, und ein Erfolg sonder Gleichen lohnte diese glückliche Idee, deren Ausführung allerdings erst durch die Aufopferung der Arrangeure und Theilnehmer möglich wurde. Wochenlang war unter der Direction der Maler Flüggen, Schraudolph und Hierl geschneidert, gemalt, cachirt, gezeichnet und gestickt worden, und einzelne Theilnehmer scheuten die Kosten zur vollkommen getreuen Nachahmung der Originalcostüme nicht. Es waren vier solcher historischer Gruppen, und eine errang immer mehr Beifall als die andere.

Den Zug eröffneten Bannerträger und Turnerabtheilungen; sodann folgte die Gruppe des Scheibenschießens; da zogen Pfeifer, lustige Märsche blasend, und scheibentragende Zieler, in schwarz-gelb – die Münchener Stadtfarbe – gekleidet, vorüber; in ihrer Mitte wurde eine kolossale reichverzierte Ehrenscheibe mit dem Bildnisse der Fortuna getragen; dann rollte der Festwagen, von pomphaft geschirrten Rossen gezogen, heran; auf diesem boten sich zwei mächtige vergoldete Löwen, welche Scheiben hielten, den Blicken dar, der weithin schauende Aar aber schwebte mit ausgespannten Flügeln darüber.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_563.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)