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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


bei jedem heimlichsten Gedanken steht gleich der zweite, was Sie darüber denken würden, und das macht so gut.“

Dem Manne gingen die Augen über. Ihm war, als sähe er auf einem Strom all sein reichliches Hab und Gut an sich vorüberschiffen in’s Weite. Es anzuhalten war aber unmöglich.

„Ja, wir wollen versuchen, gut zu sein, Jana,“ sagte er weich. „Und Freundschaft halten, ob nun so und so viel Meilen dazwischen stehen oder nicht. Versprechen Sie mir Eins in die Hand: Sie rufen mich, wenn Sie je meines Beistandes bedürfen, Sie oder die Andern. Verlassen Sie sich darauf – ich komme.“

Vor Vesperläuten des folgenden Tages hatte der Wintergast die Moosburg verlassen. Es ist seltsam, wie still und leer plötzlich alle Räume erscheinen, wenn ein Genosse des täglichen Lebens daraus verschwindet. Eine Stimmung geht durch das Haus, wie sie Einen überkommt, wenn Glocken aufhören zu läuten – die Welt steht und geht wie zuvor, aber sie scheint auf einmal stumm geworden. Genoveva hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen; die Kinder spielten auf der Wiese. Jana ging lautlos im Hause umher und besorgte pünktlich die täglichen Abendgeschäfte. Dann stieg sie still hinauf in die verlassenen Zimmer – auch hier zu ordnen, war ihr Amt. Als sie die Thür öffnete, überkam sie ein Abschiedsweh, das sie nur einmal ähnlich empfunden – damals galt es dem Tode. Ist Scheiden, Verschwinden nicht auch ein Sterben? Ihr war es so – in diesem Augenblick schwand Alles dahin, was sie getröstet; sie wußte nur Eins: es war vorbei. Still, mit überströmenden Augen, ging sie umher, ordnete, glättete hier und dort, berührte, wie liebkosend, jedes Geräth. Kaum wagte sie zu athmen, als ob ein Seufzer schon den Hauch von Gegenwart verscheuchen könnte, der hier noch zögerte und für ihr Empfinden noch Alles füllte, wie der Odem der Natur die Welt füllt. Auf dem Tische des Schlafzimmers, wo Fügen mit Vorliebe zu arbeiten pflegte, obgleich ihm andere anstoßende Räume zu Gebote standen, lag neben dem Schreibzeug eine Feder; es war ein Kiel, wie ihn der Meister stets zum Notenschreiben benützte. Wie manchesmal, wenn sie ihm eine Erfrischung in das Zimmer getragen, hatte sie solchen Kiel in der Hand gesehen, die Melodien festbannte. Feines Roth stieg ihr bis unter die Haare; sie streckte fast scheu die Hand aus und barg die Feder in ihrem Gewande. Als sie dann in das Musikzimmer hinaustrat, lag auf dem Pult des geöffneten Flügels ein Heft. Sie beugte sich hinab; ihr ahnte schon, was das sei. Ja wohl zögerte hier noch seine Seele. Genoveva’s durchcomponirte Lieder füllten die Blätter, welche des Mädchens Hand jetzt langsam umwendete. Seltsam zwiespältiges Empfinden ergriff sie. Zwei Seelen zugleich blickten ihr entgegen, die der Herrin und die seine; diese Gemeinsamkeit that ihr wehe. Während sie vor dem Flügel saß und, die Linke auf den Tasten ruhend, Seite um Seite durchblätterte, flog ihr Auge über die Textesworte, welche er gewählt. Das Meiste war ihr unbekannt; die letzte Seite trug die Ueberschrift: Scheiden.

Auch die Rechte sank nun auf die Tasten nieder; halb unbewußt schlug Jana die einfachen Accorde der Begleitung an, und mit leiser, durch das heftige Klopfen ihres Herzens halb erstickter Stimme intonirte sie die schlichte, innige Weise:

Leb’ wohl, leb’ wohl! kurz ist das Wort,
Der Inhalt aber tief –
Lang tönt es noch im Herzen fort,
Nachdem der Mund es rief.

Auf Wiederseh’n! melodisch Wort,
Voll Trug und Süßigkeit,
Du ruhst als tief verhüllter Hort
Im Schooß der Ewigkeit.“

Ihre Stimme brach in Schluchzen. Um wen weinte sie so trostlos? Um den Lebenden, oder um einen Todten?

(Fortsetzung folgt.)




Max Bruch.
Ein musikalisches Charakterbild.

Wer in der ersten Hälfte der sechsziger Jahre einem der größeren deutschen Männergesangvereine angehörte, der wird sich des tiefgehenden Interesses erinnern, welches damals in jenen Kreisen ein die Phantasie mächtig ergreifendes Opernwerck hervorrief: Max Bruch’s „Frithjof“. Der Componist hatte sich mit einem Schlage einen gewaltigen Respect und große Liebe erworben, und obgleich er den meisten Sängern ein Neuling war, so hieß er doch sehr allgemein „unser“ Bruch.

Als Max Bruch seinen „Frithjof“ schrieb, war er noch ein ziemlich junger Mann (er ist am 8. Januar 1838 zu Köln am Rhein geboren). Seine Fähigkeiten hatten sich aber frühzeitig bemerkbar gemacht und waren – zum Theil von der eigenen Mutter - so eifrig und sorgfältig gepflegt worden, daß der Knabe in seinem vierzehnten Jahre bereits an siebenzig Compositionen geschrieben hatte, darunter eine Symphonie, welche in Köln im Jahre 1852 zur Aufführung kam. Von da ab studirte er einige Jahre als Stipendiat der Mozart-Stiftug bei Ferdinand Hiller und fing nun auch an, einige Compositionen drucken zu lassen. Den Winter von 1857 zu 1858 verbrachte er in Leipzig; dann lebte er wieder in seiner Heimath, wo immer weitere und weitere Kreise sich mit den veröffentlichten Werken des Componisten befaßten.

Neben manchen Artigkeiten, welche er der Hausmusik erwies – er componirte Clavierstücke, Lieder für eine und zwei Stimmen – waren es namentlich zwei kleine Chorwerke, durch welche sich der junge Bruch als einen begabten Componisten documentirte. Sie hießen „Birken und Erlen“ und „Jubilate, Amen“. Die letztere, sein 0p. 8, zeigt ihn zum ersten Male in jener Virtuosität des Klanges, der die Mehrzahl seiner Compositionen, die Chorwecke voran, so viele blendende Wirkungen verdanken. Hier hat er einen Solosopran mit einem vierstimmigen Chor gemischt, dessen feierliche Weise bald wie aus der Luft, ganz aus der Ferne herüberklingt, bald schwebend näher rauscht wie mit Wetternacht – und darüber der Solisten süß schwebende Melodien! Und das ist kein bloßer Ohrgenuß, sondern der innere Zusammenhang mit dem Texte macht die Musik poetisch und führt sie in die Seele.

Das erste größere Werk, welches Max Bruch in die weite Welt schickte, war die Oper „Loreley“. Das Textbuch zu derselben hat Emanuel Geibel geschrieben und zwar für Felix Mendelssohn-Bartholdy, der aus demselben jenes Fragment componirt hat, das man in Concerten oft genug hören kann. Geibel schildert in dieser Dichtung, wie aus einem jungen anmuthigen Kinde, mit Namen Leonore, die arge Rheinhexe Loreley wird. Betrogene Liebe ist das Motiv, welche das gutherzige Landmädchen im Augenblicke der Verzweiflung den Teufeln des Stromes in die Arme treibt und den Bund mit ihnen schließen läßt.

Wie von einem so feinen und geschmackvollen Dichter zu erwarten, hat Geibel sein Hauptinteresse darauf verwendet, bei der Darstellung dieser Metamorphose uns sehen zu lassen, was dabei in der Seele der Heldin vorging, nebenbei aber auch die Handlung mit vielerlei Aeußerlichkeiten ausgestattet, wie sie nach einer älteren Auffassung für eine Oper wünschenswerth erschienen. Gerade für diesen Theil der Oper bewährte sich Bruch’s Talent nun sehr glänzend. Da, wo die Geister triumphiren oder klagen, wo das Volk ein Weinfest feiert, wo die Fluthen des Rheines rauschen, hat der Componist starke und eindringliche Töne.

Das Werk wurde zuerst in Mannheim aufgeführt (im Jahre 1863), und fand von dort aus den Weg auf viele andere Bühnen; auch größere, wie Hamburg, Leipzig führten die „Loreley“ wiederholt unter vielem Beifall auf. Daß sie vom Repertoire verschwunden ist, bleibt zu bedauern – es hat aber seinen guten Grund darin, daß das Werk wohl einen theatralischen, aber keinen eigentlich dramatischen Geist besitzt. Die seelischen Momente sind matter ausgeführt als die scenischen. Die Phantasie des Componisten hat sich in Aufzüge und andere Bilder äußerer Natur viel lebhafter vertieft, als in den Gemüthszustand einer betrogenen Geliebten; die nebensächlichen Gefühle der Massen sind breit und in Naturtreue wiedergegeben, die Stimmungskrisen der Hauptpersonen meist mit dem gleichen Nachdruck und zuweilen conventionell.

Ungefähr ein Jahrzehnt später schrieb Bruch wieder eine große Oper „Hermione“. Sie ist nach dem Shakespeare’schen „Wintermärchen“ bearbeitet. In Berlin und Dresden errang sie einen sogenannten Achtungserfolg – im Ganzen ist sie sehr wenig gegeben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_556.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)