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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Aber die ganze Erfindung muß als solche auch geschichtlich vorbereitet sein. Sepp giebt in dieser Beziehung zwei Fingerzeige. Er macht einen kühnen Griff, indem er auf eine Notiz in des alten Philostratus „Bildern“ verweist: „Die im Ocean lebenden Barbaren gießen die Farbe auf erhitzte Bronze (zum Pferdegeschirr), sofort haftet sie daran, verhärtet wie Stein und bewahrt die erhaltene Form.“ Es ist von der Insel Britannien die Rede. Septimius Severus hatte zur Berwunderung Roms aus Caledonien Proben einer gar nicht barbarischen Kunst, Schmelzornamente auf Bronze mitgebracht: da sah man Schilde mit edelsteinartigem, farbigem Email, glasemaillirte Schwertscheiden, Beschläge und Scheiben.

Gregor der Große schickte den Angelsachsen den Glaubensboten Augustinus; empfing er vielleicht auf diesem Wege die emaillirten Schmuckwerke und das Gefäßzeug, welche er der baierischen Fürstentochter und Longobardenkönigin Theodelinde überwies? Jedenfalls mußte das transparente Glasemail aus Metall schließlich auf die Glasmalerei führen. Nun aber waren die Glaubensboten der deutschen und nordschweizer Alpen und Baierns, die Gallus und Columban, Alto und St. Alban, Kilian und Sola und wie sie heißen fast alle von den britischen Inseln gekommen.

Und in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts traten die Schottenklöster hinzu, die sich rasch ausbreiteten. Sollte nicht durch diese Beziehungen etwas von der Kunstfertigkeit des Insellandes mit in das baierische Klosterwesen gekommen sein und etwa über St. Gallen, wie Professor Lübke will, oder St. Emeran, wie wir mit Professor Sepp vorzögen, die Entwickelung der Emaillirkunst zur Begründung der Tegernseer Glasmalerei geführt haben? – Ein anderer Weg wäre etwa von der gleichzeitigen griechischen Cultur her denkbar, welche jene sehr entwickelte Buntglastechnik bewahrt hatte, von der die pompejanische Sammlung und die Katakombenfunde schon sehr fortgeschrittene Proben zeigen: Bilder auf Dickglas gemalt und mit Gold und subtilerem Glase überzogen. Goldene und über der Vergoldung wieder verglaste Perlen und Edelsteintropfen fertigten nach Fronmund auch die Tegernseer Herren. Mit solchen Versuchen konnte man wohl auf das Einbrennen von Gemälden aus Glas in Farbenfluß kommen. Aus Griechenland hatte schon Otto der Erste buntgearbeitete Glasgefäße empfangen, und Otto der Zweite, der Wiederaufrichter von Tegernsee, war Gemahl der byzantinischen Prinzessin Theophania.

Doch kehren wir zu der jungen Tegernseer Anstalt zurück, die, kaum gegründet, schnelle Fortschritte machte! Der erstgenannte Glasmaler ist hier der ältere Werinher. Was die beiden in Tegernsee errichteten Glashütten betrifft, so lud der feinkörnige Quarzsand, den die Weissach absetzt, zur Anlage der bekannten Glashütte bei Kreut ein, wo man noch farbige Glasstücke auf der Halde findet. Aelter aber scheint die Glashütte in Winssee, dem Kloster gegenüber, nun beim Bauer „in der Au“ geheißen. Hierzu kommt noch ein Glashüttenberg auf der anderen Bergseite am Sulforstein oder Längrieß. Das Bemalen der Scheiben und das Einbrennen der Farben im Brennofen wurde jedenfalls im Klosterbezirk selbst vorgenommen. Bald trafen die Bestellungen so zahlreich ein, daß der Bedarf nicht gedeckt werden konnte und Entschuldigungen aushelfen mußten.

Das Geheimniß, wenn auch in den Künstlerkreisen bewahrt, blieb nicht lange ausschließlich an Tegernsee haften. Nach 1029 finden wir einen ehemaligen Tegernseer, den Taufpathen des St. Gotthard-Passes, als Bischof Gotthard auf dem Stuhle von Hildesheim, und dieser überaus geistvolle und kunstsinnige Mann hatte Glaskünstler aus Tegernsee um sich. So wanderte die neue Kunst durch die Mönche der altbaierischen Abtei nach Norddeutschland, Schwaben und Niederösterreich, und an der Wende des elften zum zwölften Jahrhundert legte der „Priester Theophilus“ – ein Pseudonym für den Mönch Roger Rutkerus oder Rüdiger – das Geheimniß der Technik in der Reichsabtei Helmarshausen an der fränkischen Nordgrenze urkundlich nieder.

Es würde zu weit führen, die Entwickelung dieser Kunst hier im Einzelnen zu verfolgen: den gewaltigen technischen Fortschritt durch die Wiederentdeckung Ueberfangglases im dreizehnten Jahrhundert, wodurch man zwei Farben über einander anbringen lernte, deren eine man ausschleifen konnte , die mächtige Förderung derselben durch die Gothik, ihre Fortschritte in künstlerischer Beziehung, Hand in Hand mit der Malerei, ihre Ueberleitung von der monumentalen zur Cabinetsmalerei, bis zum endlichen Verfall, ja bis zum völligen Verschwinden jeder Kenntniß von der alten Technik des Glasmalens. Nur als Curiosum möge erwähnt sein, daß ein Ulmer Griesinger, welcher als Kriegsknecht nach Italien kam, dort Laienbruder bei den Dominikanern von Bologna wurde und die Glasmalerei nach Italien verpflanzte, dafür als Jacobus Alemannus oder da Ulmo nach seinem Tode 1491 selig gesprochen und Patron der Glasmaler wurde.

Der letzte Name in der Reihe der Glasmaler aus der alten Schule ist derjenige des Baselers Wannenwetsch, dessen Familie zweihundert Jahre vor ihm aus Eßlingen eingewandert war. Eine Nachricht über ihn aus dem Jahre 1765 besagt: „Es hat diese Kunst (die Glasmalerei) nach und nach abgenommen, sodaß man keine gewisse Zeit bestimmen kann, als ungefähr zu Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Vor etwa dreißig Jahren ist der Letzte allhier, ein Bürger der Stadt, Wannenwetsch, verstorben, welcher noch einige kleine Sachen artig auf Glas gemalt und eingebrannt hat (die Thurneiserischen Fenster). Aber seine Farben waren gegen die alten wie todt und verdorben, und wurde die Kunst schon zu seiner Zeit für verloren gehalten, nämlich in Ansehung ihrer Vollkommenheit.“

Bis zu dieser Zeit hatten sich auch die aufgestapelten Schätze der Glasmalerkunst sehr erheblich gelichtet. Der Puritanismus und die Bilderstürmerei der Reformationszeit Kriege und Revolutionen, die Zerstörungswuth der Elemente, endlich die Nüchternheit der Aufklärungsperiode, welcher die Glasgemälde nur als widerwärtige Hemmnisse für das Eindringen des Tageslichts galten, hatten das Ihrige dazu beigetragen.

Die moderne Glasmalerei beruht aus einer praktischen Wiederentdeckung der verlorenen Kunst, welche mit dem Anfang dieses Jahrhunderts zusammenfällt. Ein Dosenlackirer in Nürnberg, Siegmund Frank, traf im Laden eines Glasers mit einem Engländer zusammen, der um Scherben alter Glasgemälde feilschte und die Aeußerung that: der könne sich ein großes Verdienst erwerben, der die einst so hoch entwickelte Kunst der Glasmalerei wieder in’s Leben riefe. Frank griff den Gedanken mit Energie auf und kam über die Porzellanmalerei zum Ziele. Ein Wappenbild, das er 1800 fertig hatte, war die erste Probe, und der nachmalige Premier Wallerstein gründete auf seinem Stammgute gleichen Namens die erste Anstalt für Frank, bis der baierische Hof diesen an sich zog und die Utzschneider’sche Glashütte im aufgehobenen Kloster Benedictbeuren, sieben Stunden von Tegernsee, als Arbeitsstätte Frank’s und seines jungen Gehülfen Ainmüller, die eigentliche Wiege der wiederentdeckten Kunst ward. Als 1845 die Gebäude für eine Anstalt in München fertig waren, übernahm Ainmüller dort das Institut, welches 1876 zum Fortbildungsinstitut für das Kunstgewerbe erweitert wurde. Eine Reaction gegen die malerische Richtung Münchens ging von England aus, wo man mit Erfolg zu der Technik der Alten umlenkte, und das farbensatte, dicke und wellige Kathedralglas der Engländer ohne zu viel Tafelmalerei hat sich heute auch bis München hin Bahn gebrochen.

Jetzt dürfte die schöne Kunst dauernd unverloren bleiben, und Baiern mag stolz darauf sein, dieselbe zwei Mal der Welt geschenkt zu haben.




Nihilismus und russische Dichtung.
Studien von Wilhelm Goldbaum.
2. Alexander Puschkin.

In die Weltpolitik ist Rußland durch Peter den Großen, in die Weltliteratur durch Alexander Puschkin eingeführt worden. Beiden ward dieses Verdienst lange genug nicht blos in Rußland selbst, sondern auch außerhalb der russischen Grenzen nach Gebühr angerechnet, aber Beiden wird es in der Gegenwart von undankbaren Nachkommen verkleinert, welche in ihrer Verwilderung und Einseitigkeit weder für das Genie auf dem Thron noch für dasjenige in der Dichtung ein Verständniß haben. Daß Peter der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_547.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)