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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die Stelle kam, die mir als Kampfplatz angegeben worden war, konnte ich nichts sehen; ich glaubte schon zu spät gekommen oder falsch gegangen zu sein und war bereits im Begriffe, umzukehren, als ich, etwa vierzig Schritt von meinem Standpunkte entfernt, ein Licht aufleuchten und um dasselbe eine große Menge schwarzer Gestalten gespenstig hin und her huschen sah. Ich ging näher und erblickte nun viele Burschen mit über den Kopf gezogenen Jacken (hier Janker genannt), sodaß ich nicht im Stande war, einem in das Gesicht zu sehen; einige waren sogar in Betttücher gehüllt. Ueber den vermummten Gestalten erhob sich in eigenartiger Weise das Bildniß des heiligen Florian, welcher als Schutzpatron des Löschwesens mit den Attributen eines Feuerwehrmannes über dem Brunnen aufgestellt war. Das Ganze machte einen unheimlichen Eindruck, da Alle, schweigend und nur von einem brennenden Spahne beleuchtet, nach etwas auf der Erde zu suchen schienen. Als sie mich, der allein unverhüllten Hauptes war, gewahrten, erlosch der Spahn. Die Burschen bildeten Gruppen und sprachen leise mit einander. Nachdem ich eine Weile beobachtend dagestanden hatte und Niemand Anstalt traf, zu ringen, trat ich zur größten Gruppe und fragte, ob sie meiner Anwesenheit wegen aufhörten zu rankeln. Wenn sie das thäten, würde ich mich lieber entfernen. Nein riefen Alle, und es dauerte nicht lange, da ertönte aus der Gruppe ein Geräusch, das durch rasches Herausziehen eines Fingers aus dem Munde bei aufgeblasenen Wangen hervorgebracht wurde, dann ein Schnalzen mit den Fingern, was beides als Herausforderung zum Rankeln gilt, wie der neben mir stehende Bueb bereitwillig erklärte. Als sich immer noch Niemand meldete, erscholl, von frischer Stimme gesungen, folgendes „Liedl“ :

„Bin goar ä kloans Büberl
Bin zag (zäh) wie ä Wid (Weide)!
Wenn Einer will rankeln,
Nur außa damit!“

„Wo ist ä frischer (strammer) Bueb?“ rief es nach Schluß desselben von einem andern Punkte.

Als Sänger und Frager sich gefunden hatten, bildeten alle Anwesenden einen weiten Kreis um die Beiden; diese traten einander gegenüber und warfen die Röcke, die bis jetzt ihre Häupter verhüllt hatten, in die Höhe; die Umstehenden fingen diese auf. Nun standen die Kämpfer da, vorwärts gebeugt und mit gebogenen Beinen, der Eine lauernd auf den Anderen, ob er nicht beim Zusammenspringen einen Vortheil erhaschen könne, und dabei immer das Schnalzen mit den Fingern hören lassend, um dadurch den Andern zum Angriffe zu reizen; endlich fuhren sie zusammen, und in demselben Augenblicke lagen sie auch schon auf der Erde, Beide auf dem Leibe und mit in einander verschränkten Armen und Händen, scheinbar regungslos; nur das Keuchen deutete an, wie sehr sich jeder anstrengte, den einen Arm wenigstens zu befreien und mit dem befreiten seinen Gegner auf den Rücken zu bringen. Dabei ertönten aus dem Kreise der Zuschauer ermunternde, mit verstellter Stimme gebrochene Worte wie: „Packt’s fest, Bueben! brav, Bueben!“ u. dergl. m. Plötzlich machte der eine Ringer den einen Arm frei und packte in demselben Augenblicke den Gegner bei einem Beine, schlenderte ihn in die Höhe und warf ihn auf den Rücken.

Nun stoben Beide aus einander; der Sieger ließ einen Jauchzer ertönen; Beide verlangten nach ihren Jankern, verhüllten wieder die Köpfe und verschwanden in der Menge. Während noch über die letzte Partie gesprochen wurde, sang schon wieder Einer:

’S Federl am Hüterl,
Z’ öberst a Gras;
I’ möcht’ gern wissen,
Wie der Haglmoor haaßt.“

Alle strömten hin, wo diese Stimme ertönte, und es dauerte auch nicht lange, so stellte sich dem Sänger, einem untersetzten Burschen von etwa zwanzig Jahren von den Umstehenden mir als Weberfriedl genannt, ein großer ungeschlachter Mensch von etwa dreißig Jahren gegenüber. Weberfriedl hatte, wie mir erzählt wurde, den Abend schon viermal gerankelt und war immer Sieger geblieben, hatte also auch Aussicht für dieses Jahr zum Haglmoor erklärt zu werden. Der Beginn des Kampfes war derselbe wie vorhin. Wieder lagen die Ringer plötzlich auf der Erde mit in einander geschlungenen Händen und Armen. Aber obwohl Beide sich außerordentlich anstrengten, konnte keiner des anderen Herr werden. Die Zuschauer riefen zuletzt: „Laßt’s, Bueben, gebt’s auf!“ u. dergl. m., aber keiner der Kämpfer wollte nachgeben. Endlich als Friedl einsah, daß er in dieser Partie wohl zu einem Resultate nicht gelangen würde, sagte er: „Geb’ mer a Busserl, Bueb! Geben mer’s auf!“ Und als sie sich geküßt hatten und von einander ließen, rief Friedl: „Aber aus machen mer’s döcht.“

Gesagt, gethan. Sie standen sich nun wieder gegenüber, trotz der kurz vorhergegangenen großen Anstrengung, aber diesmal gewann Friedl bald den Sieg. Auch andern Mittags, als er mit demselben rankelte, blieb er Sieger. Ich sah noch verschiedene Partien an; jede war von der anderen verschieben.

Die Kämpfer waren wegen der Dunkelheit von den Zuschauern nur schwer, ja zuweilen gar nicht zu erkennen, und es kam sogar einmal vor, daß die Rankler selbst die doch einander so nahe waren, sich nicht erkannten. Im Ganzen, ging es mit einem bewundernswerthen Anstand zu; denn es kam kein einziger Fall vor, bei dem sich ein Bursche unerlaubter Mittel bedient hätte, und auch die Zuschauer benahmen sich immer gut. Ich konnte nicht umhin im Stillen eine Parallele mit unseren Studentenmensuren, mit denen das Ganze so viel Aehnlichkeit hat, zu ziehen.

Gegen zwölf Uhr entfernten sich die Burschen nach und nach immer mehr und krochen in die auf den Wiesen zerstreut stehenden Heustadl, um hier zu schlafen und von der gehabten Anstrengung auszuruhen. Anderen Morgens, den Kirtag, kamen sie dann von allen Seiten herbei; keinem sah man an, daß er gestern vielleicht auf dem Rasen und in Pfützen sich herumgewälzt hatte. Vor der Kirche hielten Händler Bozaner Birnen und Aepfel feil, welche die Burschen kauften, um sie in der kommenden Nacht, wie es Sitte ist, ihrer Gitsche (Mädchen) an’s Fenster zu bringen. Die Händler machen sehr gute Geschäfte; denn ohne fünfzig bis achtzig Birnen oder Aepfel geht kein Bub zu seinem Mädchen. Wenn ich aber erwartete, am Kirchtag selbst etwas Besonderes zu sehen, etwa Tänze und Spiele, so täuschte ich mich sehr. Außer ein paar Rankelpartien, nunmehr bei Tag, und dem schwachen Versuch einiger Bueben bei den Tönen einer Mundharmonika mit einander zu tanzen, bot dieser Tag keinen Unterschied von anderen Sonntagen.

Arm- und Beinbrüche, Leibschäden etc. sind nicht selten die Folge des Rankelns, und wenn die Behörde diese Volksbelustigung trotzdem duldet, so geschieht es, weil eine frühere Unterdrückung derselben Schlägereien und Raufereien der schlimmsten Art hervorrief. Der Ueberschuß von Kraft, welcher im gesunden Volke lebt, will sich nun einmal betätigen – es kommt nur darauf an, daß es in geordneten und gesitteten Formen geschieht. Die Pflege altüberlieferter Volksspiele, wie das Rankeln eines ist, muß daher überall, wo man ihr begegnet, freudig begrüßt werden. Möchten unsere Leser, wenn sie im September dieses Jahres das herrliche Tirol bereisen, das Rankeln in frischer Blüthe finden!

G. Hs.





Die Beutepolitik in der nordamerikanischen Union.

Auf die Feier des 4. Juli, dieses großen nationalen Gedenktages der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, fiel in diesem Jahre ein tiefer Schatten: Eines ruchlosen Mörders Hand hatte sich zwei Tage zuvor gegen das freigewählte Oberhaupt der amerikanischen Nation erhoben; bange Sorge lag über dem „Weißen Hause“ in Washington-City; Trauer und Betrübniß herrschten in dem Herzen des Volkes der Vereinigten Staaten, und das Ausland fühlte den Schmerz mit, der jeden braven Amerikaner bewegte.

Präsident Garfield zählt zu den Edelsten und Besten seiner Nation, und die große Mehrzahl seines Volkes blickte auf ihn mit Vertrauen und freudiger Hoffnung. Nicht in einer Zeit gewaltiger Aufregung, wie am 14. April 1865, wo eine mörderische Kugel dem Leben des edlen Lincoln ein allzu frühes Ende setzte, nicht in einer Zeit, wo nach einem vierjährigen blutigen Bürgerkriege in der nordamerikanischen Union die Gemüther noch leidenschaftlich bewegt und erschüttert waren und die neue Ordnung der Dinge eine blutig-rothe Verschwörung zeitigte, sondern in einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_542.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)