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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Es ist ein eigenthümliches Studium, was Beethoven, den Instrumentalisten, wie Mozart, den Dramatiker, befähigte, zu solch unmittelbar packenden Wirkungen zu kommen, ein Studium, von dem in der allgemeinen Musiklehre bisher kaum noch die Rede gewesen, das den werdenden Kunstjüngern kaum noch an’s Herz gelegt worden und dem doch alle großen Meister, in neuerer Zeit insbesondere Wagner, ihre bedeutendsten Erfolge verdanken.

Auch der Musiker kann nämlich, wenn es ihm auch nicht zur Pflicht gemacht worden wie dem bildenden Künstler, dem Romanschriftsteller und dem dramatischen Dichter, des Naturstudiums, der liebevollen Beobachtung des um ihn treibenden Lebens und Webens nicht entrathen, will er realistisch lebendige Kunstwerke erzeugen und nicht der Phrase verfallen. Vollends ist ein Humorist gar nicht zu denken ohne eine solche Beobachtungsgabe, ein solches Ablauschungsvermögen, da er ja auf realem Grunde stehe und die Realität demgemäß vollständig in sich aufgenommen haben muß.

Eine andere Eigenschaft befähigte außerdem Beethoven, sowie in gleicher Weise Haydn, humoristisch zu wirken, eine Eigenschaft, die auch bei Fritz Reuter auf’s Ausgesprochenste sich bemerkbar macht und deren Vorhandensein ganz vorzüglich dazu befähigt, den Humor gesund und rein zu erhalten und vor einer Berührung mit Witz und Satire zu bewahren: In den Werken dieser drei Genannten spricht sich eine angeborene Herzensgüte so unverkennbar aus, daß sie durch deren realistisch komische, wie ideal pathetische Aeußerungen hindurchleuchtet und bei Beethoven oft eine ergreifende Aehnlichkeit mit Jean Paul aufdeckt, der ja auch „unter Thränen zu lächeln“ weiß.

Uebrigens haben wir mehrere Arten des Humors bei Beethoven zu unterscheiden. Herrscht in der achten Symphonie der von Haydn gepflegte naive vor, so lehrt uns das Finale der siebenten den bacchantischen Humor kennen, der vor Beethoven in der Musik noch keinen Ausdruck gefunden und in seinen Wirkungen nicht selten an die Tragik streift. Im Scherzo der neunten sehen wir endlich den dämonischen oder mephistophelischen Humor zur Herrschaft gelangen. Ihre glanzvollste Documentation hat diese Art von Humor wohl in Liszt's genialem Mephistosatze seiner „Faust“-Symphonie gefunden.

Weber und Marschner pflegen vorzugsweise den naiven Humor, während bei Schubert auch von diesem kaum viel zu bemerken, eigentlich mehr eine überquellende, echt Wienerische Lustigkeit zu constatiren ist. Mendelssohn’s gedachten wir schon bei Gelegenheit der „Sommernachtstraum“-Musik und haben hier noch seiner Scherzi zu erwähnen, die allerdings ihrer Zeit durch originelle Gestaltung auffielen, sich aber alle etwas gleichen und ihrem eigentlichen Wesen nach auf den Eisenspuk im „Sommernachtstraum“ zurückführen lassen.

Schumann hat dagegen, besonders in seinen ersten Clavierwerken, eine neue Art des Humors entfaltet, die nicht wenig an E. T. A. Hoffmann gemahnt, durch ein unvermitteltes Nebeneinandersetzen starker Contraste zu reizen weiß und vielleicht mit dem Namen des Phantastischen am treffendsten zu bezeichnen ist. Uebrigens wollen wir nicht verschweigen, daß Schumann in der Charakteristik Treffliches geleistet hat und Bilder aus seinem „Carneval“, z. B. Pierrot, Harlequin etc., ihrer naturgetreuen Zeichnung halber mit Auszeichnung zu nennen sind. Berlioz’ Humor berührt uns Deutsche mehr oder minder grotesk und schlägt nicht selten, wie in der „Symphonie fantastique“, sogar in’s Fratzenhafte um. Doch finden sich in seiner prächtigen Oper „Benvenuto Cellini“ höchst originell wirkende humoristische Effecte.

Da von Wagner’s „Meistersingern“ bereits mehrfach die Rede gewesen, so soll hier noch bemerkt werden, das auch im Siegfried, besonders in den beiden ersten Acten desselben, reizende humoristische Züge verborgen liegen.

Im Uebrigen können wir aber nicht verhehlen, daß von der Masse der heutigen Componisten der Humor wenig gepflegt wird, und daß auch die Empfänglichkeit für seine Wirkungen durch ein gewisses Streben nach langweiliger Wohlanständigkeit in bedrohlicher Weise gefährdet scheint – Humoristische Verwendungen einzelner Instrumente werden oft von allzu vorsichtigen Dirigenten durch Abschwächung um ihre drastische Wirkung gebracht; Rohheit wird gewittert, wo wir nur einen gesunden kräftigen Realismus erkennen können, und ein dem Humor verderbliches Streben nach Glätte und Abgeschliffenheit nicht allein der Form, sondern auch der Empfindung, macht sich mehr und mehr geltend.

So ist es mir denn eine Freude, hier schließlich auf einen neueren Componisten hinweisen zu können, der von Berlioz seine Anregung empfangen, aber nichtsdestoweniger als fertiger und selbstständiger Künstler uns entgegentritt – ich meine den leider zu früh verstorbenen Peter Cornelius. Seine dem deutschen Publicum noch nicht genügend bekannte komische Oper „Der Barbier von Bagdad“ birgt eine Fülle des feinsten Humors in sich und wird bei gewissenhafter Einstudirung und entsprechender Ausführung ganz sicher zu allgemeiner Anerkennung gelangen.

Möge sie viele Nachfolger finden und die Pflege des Humors für die Componisten unserer Zeit als angenehme Pflicht sich ausweisen!

F. D.




Großstädtische Fernsprechnetze.

Von Franz Mehring.

Pessimistische Philosophen und Socialpolitiker haben sich vielfach mit der Frage beschäftigt, ob die glänzenden Erfindungen des gegenwärtigen Zeitalters wirklich gleich glänzende geistige und sittliche Fortschritte der Menschheit bewirkt und ihr Gedeihen und Wohlbehagen in irgend nennenswerter Weise erhöht haben. Sie sind dabei häufig zu dem Ergebnisse gelangt, daß das lebende Geschlecht im Großen und Ganzen nicht ein größeres, sondern vielmehr ein weit geringeres Maß von irdischem Glücke besäße, als seine Väter und Vorväter besessen haben. Die Frage an sich ist ebenso schwierig wie weitläufig und soll hier nicht näher untersucht werden; nur auf einen Umstand mag hingewiesen werden, welcher es wenigstens erklärt, weshalb im Kopfe von klugen Leuten so düstere Sonderlingsmeinungen entstehen können; es ist die undankbare Geringschätzung, mit welcher die lebenden Menschen heute schon vergessen, welch ungeheueren Fortschritt sie erst gestern in ihrem geschäftlichen Verkehre, in ihrer häuslichen Bequemlichkeit gemacht haben. Wir, denen aus selbsterlebten Tagen noch die langsam rädernde Folter der Postschnecke in den Gliedern liegen sollte, klagen bitterlich über die Langeweile der Eisenbahnfahrten, und wenn sich eine über hunderte von Meilen entsandte Depesche ebenso viele Stunde verspätet, wie sie vor fünfzig Jahren Wochen gebrauchte, um an ihr Ziel zu gelangen, so sind wir untröstlich über einen unersetzlichen Verlust an Zeit. Aber auch in diesem „Uebel wohnt ein Geist des Guten“; der schnelle Ueberdruß an den allen Erfolgen erzeugt eine unersättliche Gier nach neuen, und aus ihr entspringen unaufhörlich die großen Entdeckungen und Erfindungen.

Die noch so junge Geschichte des Telephons (vergl. über die Entwickelung des Fernsprechers „Gartenlaube“ 1877, Nr. 47) bietet dafür schlagende Beweise. Es sind erst fünf Jahre verflossen, seitdem der Professor Graham Bell aus Boston auf der Weltausstellung in Philadelphia die ersten Versuche mit seinem Fernsprecher öffentlich anstellte; damals sah eine halb staunende, halb ungläubige Welt in der Entdeckung, sich auf viele Meilen von Mund zu Mund zu verständigen, fast mehr eine geistreich theoretische Spielerei, als eine praktische Erfindung von unabsehbarer Tragweite; heute ist schon das Telephon ein unentbehrliches Verkehrsmittel in der gesammten Culturwelt geworden. In gleichem Maße dient es öffentlichen, wie privaten Zwecken. Einerseits wird es benutzt, das „weltkugelumspinnende“ Telegraphennetz durch feinere und schmälere Adern fester zu schürzen - allein im deutschen Reiche sind durch Fernsprecher weit über tausend Ortschaften, die wegen der ungleich kostspieligeren Herstellung und Bedienung eigentlicher Telegraphen sonst noch lange abseits des allgemeinen Verkehrs geblieben wäre, an die großen Drahtleitungen gekettet – andererseits vermittelt der Fernsprecher in großen Geschäftsbetrieben und Haushaltungen den mündlichen Verkehr vom Comptoir zum Fabriksaale, vom Boudoir zur Küche, von Flügel zu Flügel, von Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer. Eine dritte, weittragende Benutzung des Telephons, die in eigentümlicher Weise den öffentlichen und privaten Verkehr verbindet, sind die großstädtischen Fernsprechnetze, die in der nordamerikanischen Union, in England, Frankreich, Belgien, Holland zahlreich bestehen, auch im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_531.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)