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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Fagottist den Schlußton erschallen läßt? – In Dittersdorfs mit Unrecht fast vergessenem „Doctor und Apotheker“ bietet das zornige Herausstoßen einer sehr hohen Note von Seiten einer würdigen alten Dame, der man so hohe Töne nicht zugetraut hätte und die sich wohl auch nur im höchsten Aerger solchen Luxus gestatten durfte, ein ergötzliches Gegenstück zu dem oben erwähnten tiefen Ton des edlen Bürgermeisters.

Von sehr erheiternder Wirkung können sich ferner geschickt angebrachte Coloraturen erweisen. Die Tabulatur in den „Meistersingern“ und das Ständchen des Beckmesser sollen, als allgemein bekannt, hier nur kurz angeführt werden. Sehr amüsant wirkt bei letzterem bekanntlich der Umstand, daß Vocale oder Diphthonge, die bei langem Hinausziehen einen lächerlichen Effect hervorbringen müssen, wie u-u-u-u, au-au-au-au, zu diesem Behufe am jedesmaligen Ende einer Strophe angebracht sind.

Ueberhaupt ist die Verspottung des Zopfstiles nicht selten mit Glück versucht worden. Am bekanntesten wird sich unseren Lesern wohl die Cantate des „Bürgermeisters von Saardam“ erweisen: „Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen!“

Uebrigens ist der Contrapunkt, da er, mit dem freien Satze verglichen, besonders in der Opernmusik immer einen leicht-pedantisch angehauchten Charakter bekunden wird, an und für sich, und ohne zu Stilverspottungszwecken verwandt zu werden, als ein sehr brauchbares humoristisches Effectmittel zu bezeichnen. Leider haben die Componisten nicht den Nutzen daraus gezogen, welcher sich ihnen dargeboten, und zwar, weil die meisten der auf diesem Gebiete arbeitenden Künstler der contrapunktistischen Technik in zu geringem Grade Herr waren.

Darum wollen wir noch einer rasch verschollenen Oper des ehemaligen Leipziger Concertmeisters Ferdinand David gedenken, „Hans Wacht“ betitelt, in der eine höchst ergötzliche Scene dem Contrapunkt ihre charmante Wirkung verdankt. Eine Stadt wird während des Dreißigjährigen Krieges vom Feinde bedroht und die Rathsherren, welche singen sollen „Wir deliberiren hin und her“, stimmen natürlich eine Fuge an, die zu der steifen mittelalterlichen Tracht vortrefflich paßt und in der That durch keine anders geartete Musik besser hätte ersetzt werden können.

Zu Zeiten Mozart’s, auf den wir hiermit noch einmal zurückkommen müssen, nahm man den Contrapunkt noch sehr ernst, und so erklärt sich, daß der große Meister zur Erzielung scherzhafter Wirkungen sich seiner nur selten bedient hat.

Was Mozart speciell eigenthümlich ist, das sind die gehäuften Wiederholungen gewisser Phrasen. Für gewöhnlich soll, musikalischen Gesetzen zufolge, eine solche thunlichst vermieden und, wenn aus gewissen Gründen beliebt, nicht mehr als drei Mal zur Anwendung gebracht werden. In der großen Leporello-Arie, welche Don Juan’s würdigem Diener Gelegenheit giebt, sich über die unverbesserliche Lasterhaftigkeit seines Herrn in redseligster Weise zu vergessen, findet sich Mozart jedoch bewogen, eine an mehreren Punkten des Musikstückes benutzte Phrase bei jedesmaligem Auftreten fünf Mal zu wiederholen. Der lasterhafte Ritter ist eben nicht zu bekehren; er treibt sein Spiel, wie er’s getrieben, und wird es so treiben bis an’s Ende seiner Tage – dies der Inhalt des zu Grunde liegenden Textes.

Rossini macht dagegen sehr glücklichen Gebrauch von dem überraschenden Wiedereintritt eines Motives. So im zweiten Finale des „Barbier“. Drastischer dagegen gestaltet sich der Effect, wenn eine ganz unerwartete Harmonie oder ein plötzliches Fortissimo vom Componisten zur Erzielung seiner Absicht aufgeboten wird. Das glänzendste Beispiel findet sich hier ebenfalls im „Barbier“, und zwar in der Verleumdungs-Arie des Don Basilio. Der plötzliche Eintritt der neuen Tonart mit gewaltigem Tutti des Orchesters bezeichnet in so genialer Weise das plötzliche Großwerden der Verleumdung, daß wir nur bedauern müssen, daß der Meister durch mehrfache Wiederholung desselben Mittels dieses später in seiner Wirkung wesentlich geschwächt hat.

Auch der charakteristischen Verwendung einzelner Instrumente möge kurz gedacht werden. Als sehr komisch wirkend hat sich von jeher, besonders wenn es ganz isolirt auftritt, das Fagott erwiesen. Von den Hörnern, die an einer gewissen Stelle im „Figaro“, eine höchst komische Rolle spielen, wollen wir nicht weiter reden, auch des bekannten Nachtwächterhornes aus den „Meistersingern“, das nach dem F der Gesänge in Fis einsetzt, weil „noch nie ein Nachtwächterhorn richtig gestimmt gewesen“,[1] nur im Vorbeigehen gedenken und schließlich an den hübschen Effect erinnern, den das Zusammentreffen der beiden Nachtwächterhörner in Mendelssohn’s Liederspiel „Die Heimkehr aus der Fremde“ hervorruft.

Derselbe Meister erzielt eine reizende, durchaus originelle Wirkung in seiner „Sommernachtstraum“-Musik durch Hoboen, welche, Trompeten ersetzend, kleine Fanfaren zu blasen haben, und mit ihrem spitzen, sozusagen durchsichtigen Ton den Elfencharakter in höchst drastischer Weise zur Anschauung bringen.

Allerliebst wirkt auch in der prachtvollen Arie Boieldieu’s „O welche Lust, Soldat zu sein!“ ein kleines Flötensolo, welches sich ganz discret, aber bezeichnend vernehmen läßt, als der liebenswürdige Lieutenant zu den Worten gekommen ist: „Aber eine Liebste hatte ich, wo ist sie?“ Diese Antwort aus dem Orchester heraus, dieses unzweifelhafte Bedenken, „die Liebste sei flöten gegangen“, verdient als ein ebenso feiner wie origineller Zug eine auszeichnende Erwähnung.

Sehr günstig zu komischen Zwecken erweist sich die Tuba, die mit ihrem stierstimmigen Klange in der ernsten Musik gar oft brutal wirkt, vom Humor in Dienst genommen aber höchst brauchbare Eigenschaften entwickelt. Wir erinnern nur an den Mittelsatz der „Sommernachtstraum“-Ouvertüre, in welchem dem elfenhaften Violingeschwirr allerhand tiefe, langsam ausklingende Töne beigemischt werden, die, ursprünglich für das Serpent bestimmt, aber jetzt der Tuba überlassen, an die in den Elfenwald verirrten Tölpel gemahnen.

Früher schon haben die Pauken sich einer liebevollen Berücksichtigung zu erfreuen gehabt. Insbesondere fallen uns hier Beispiele aus Beethoven’schen Symphonien ein, die ihres drastischen Charakters halber wohl in allgemeinster Erinnerung leben werden.

Mit der Erwähnung von Beethoven sind wir auf das Gebiet der Instrumentalmusik gelangt, in welcher, wie schon früher erwähnt, dem Humor keine geringere Entfaltung vergönnt gewesen ist, als in der Oper. Als Großmeister ist hier vor Allem neben Beethoven auch Haydn zu nennen, während Mozart in Sonaten und Symphonien eher geistreich und vornehm, als speciell humoristisch sich zu zeigen pflegt.

Haydn ist bekanntlich vorzugsweise naiv. Während Witz und Satire ihm fremd sind, steckt er doch voll Schalkhaftigkeit und weiß so köstlich und mit so einfachen Mitteln zu amüsiren, wie kaum ein Anderer. Seine Themen selbst sind oft so glücklich humoristisch erfunden, daß es weiterer Zuthaten gar nicht bedarf, um den gewünschten Eindruck hervorzuzaubern. Wer hätte sich nicht vergnügt an dem köstlichen Finale der B-dur Symphonie!

Auch wirkt er oft ganz überraschend durch den Rhythmus. Unvermuthet wird in die symmetrische Periodenfolge ein einzelner überzähliger Tact hineingeworfen, der, obwohl verblüffend, doch in Folge des Vorausgegangenen logisch berechtigt erscheint. Oder eine Fermate, hereingeschneit, man weiß nicht wie, gebietet plötzlich Halt, um nachher desto übermüthiger den Lauf wieder aufnehmen zu lassen. Ein plötzliches Tutti schlägt in die lieblichen Töne der Flöten und Hoboen wie ein Gewitter herein und droht den Satz in’s Tragische zu verkehren, aber es war blos ein Spaß des jovialen Meisters, und das Hauptthema lächelt uns unversehens wieder entgegen.

Bei Beethoven können wir oft nicht anders als uns zu der Annahme bequemen, er habe drollige Vorgänge aus dem alltäglichen Leben in Musik gesetzt, wenn er gleich, und mit sehr viel Recht, im Großen und Ganzen die Programme bis auf die Ueberschriften verschmähte. Am allgemeinsten bekannt ist die Deutung des Hauptthemas aus dem Finale der achten Symphonie, welchem die Worte zu Grunde liegen sollen: „Komm zu Beneke, Beneke, Beneke“ mit der darauf folgenden Antwort: „Gott bewahre, Gott bewahre“ (von der Clarinette geblasen), durch welche Antwort Beethoven sich der verführenden Freunde erwehren wollte. Mag es sich so verhalten oder nicht, gewiß ist, daß, wer die Worte kennt, von der Naturwahrheit der Declamation und Instrumentation dermaßen gepackt wird, daß er sich ihrer nolens volens beim jedesmaligen Anhören wieder erinnern muß. Auch die Deutung des zweiten Satzes, in welchem ein häuslicher Zwist zwischen dem Meister und seiner Zimmerwirthin dargestellt sein soll, will mir äußerst acceptabel erscheinen; so naturgetreu ist das Trippeln der Matrone, ihr Ueberredungseifer und das wüthende Dazwischenfahren des gestörten Meisters dargestellt.

  1. Wagner’s eigene Worte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_530.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)